Bilder zum Denken bringen

Werner Ružička leitet seit über dreißig Jahren die Duisburger Filmwoche — und findet, dass früher nicht immer alles besser war

Die Duisburger Filmwoche ist ein international einzigartiges Dokumentarfilm-Festival. Können Sie kurz beschreiben, was es so besonders macht? Wir machen eigentlich nur das Naheliegende: Jeden Film und seine Macher in den Mittelpunkt stellen. Kein Chi-Chi, keinen Glamour. Und vor allem: keine Konkurrenzveranstaltungen oder »Nebenreihen«.

 

Konkret heißt das, es laufen keine Filme parallel und nach jedem Film folgt eine längere Diskussion mit der Filmemacherin oder dem Filmemacher. Könnte man das Credo des Festivals also so zusammenfassen: Konzentration statt Beliebigkeit, Qualität statt Exklusivität? So ist es! Und wenn man »Credo« mit »Glauben« übersetzt: Ja. Wir glauben an jeden einzelnen Film, an seine Außergewöhnlichkeit und seine Einzigartigkeit — unabhängig davon, ob sein Thema gerade angesagt ist.

 

Die Duisburger Filmwoche wurde 1977 gegründet, Sie leiten sie seit 1985: Lässt sich in groben Zügen sagen, wie sich der deutschsprachige Dokumentarfilm in dieser Zeit ästhetisch entwickelt hat? Er ist bildbewusster und -mächtiger geworden, hat sich von der Textlastigkeit der frühen TV-Formate befreit. Er bringt die Bilder zum Denken, oft in Bindung zu benachbarten Künsten. Oft regen Bilder in unserer Wahrnehmung Bereiche an, die nicht durch Begrifflichkeiten verpflastert sind. Und stimulieren damit Assoziationen und »Links«, die jenseits linearer Logik sind. Und kommt dann Musik mit ihren Sounds dazu, dann kann das zu Symbiosen kommen, die ganz ordentlich flashen. Wir haben einige solcher Filme im Programm. Festschnallen!

 

Wie hat sich die ökonomische Situation für Dokumentarfilmer geändert? Es gibt — leider — einen großen Widerspruch zwischen dem ästhetischen und politischen Potential und den zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen. Gründe liegen sicher in der quotenfixierten Formalisierung fast aller TV-Sender — die Ausnahmen sind zu rühmen.

 

Sind die Streamingdienste da eine Hoffnung? Wenn sich die richtigen Akteure zusammentun — durchaus. Es gibt ja auch schon behutsame Ansätze. Frage ist natürlich, ob
und wann sich »Nischenmärkte« rechnen.

 

Das Ruhrgebiet war für den deutschen Dokumentarfilm immer ein ganz wichtiger Bezugspunkt, mir scheint, dass auch hier längst eine Internationalisierung eingesetzt hat: Deutsche Dokumentarfilmer mit und ohne Migrationshintergrund suchen ihre Themen auf der ganzen Welt. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Die Filme sind weltreicher geworden — das muss auch so sein angesichts der Mondialisierung und Komplexität der Verhältnisse. Aber daneben gibt es weiterhin Filme, die sich auf einen Menschen, einen Raum, eine Idee fokussieren. Beides wird gebraucht.

 

Die Duisburger Filmwoche zeigt nur Filme aus dem deutschsprachigen Raum. Wie sehen Sie das Binnenverhältnis zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz. Gibt es unterschiedliche Traditionen, Qualitäten? Wir haben eine Diskussion angesetzt, die genau diesen Fragen nachgeht — das 3sat-Extra »Dreiecke«. Natürlich sind die Traditionen verschiedene, aber in Annäherung und Abgrenzung hoch produktiv. Um Karl Kraus zu paraphrasieren: Das eigentlich Trennende ist die gemeinsame Sprache.

 

Es gibt immer wieder die Klagen, früher wäre in Duisburg kontroverser und politischer diskutiert worden. Ich habe eher die Vermutung, dass heute weniger dogmatisch geredet wird und näher am Film selber. Wie sehen Sie das aus Ihrer Warte? Früher war eben nicht immer alles besser. Es gab durchaus Diskussionen, wo die Fetzen flogen — aber viel mehr flog da auch nicht. Früher war es einfacher und naheliegender, in Antagonismen zu argumentieren. Heute sind die Filme komplexer, so wie ihre Themen es sind — und da helfen weder im Filmischen noch im Diskursiven die einfachen Modelle weiter.

 

Vielleicht entwickeln sich die Diskussionen auch parallel zu den Filmen: Sie haben neutral von weniger »Textlastigkeit« beim aktuellen Dokumentarfilm gesprochen.  Ich würde sagen, sie sind offener. Ein Film wie »Aggregat« von Marie Wilke, der in diesem Jahr in Duisburg gezeigt wird, zeigt den aktuellen Stand der Demokratie in Deutschland, aber ohne eine direkte politische Agenda. Ja, die Filme fordern — zu Recht — eine produktive »Mitarbeit«. Im Sehen wie im Reden. Also ein »Handeln«, so heißt ja auch das Motto der diesjährigen Filmwoche. Die Agenden sind individueller Auftrag für jeden.

 

Dieses Jahr wird Ihr letztes Jahr als Leiter der Filmwoche sein. Gibt es irgendeinen Film, eine Diskussion oder einen Gast, die/der Sie besonders geprägt hat? Immer noch und immer wieder Harun Farocki. Nicht nur bei mir schwingen und wirken Erinnerungen an sein Werk und seine intellektuelle Präsenz nach.