Die Lesbarkeit des Alltags

Der in Köln lebende Autor Christian Bernhardt hat beim

diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teilgenommen

Am 1. Juli ist in Klagenfurt der Ingeborg Bachmann-Preis verliehen worden, die wichtigste Auszeichnung für neue deutschsprachige Literatur; Gewinner in diesem Jahr war der Lyriker Lutz Seiler. In seiner Form ist dieser Wettbewerb, bei dem die Autoren ihre Texte selbst lesen und sich der Kritik durch eine Jury stellen müssen, einmalig. In den letzten Jahren gab es neben der obligatorischen Schwemme Berliner Autoren immer wieder auch Kölner Schriftsteller, die nach Klagenfurt eingeladen wurden. In diesem Jahr war Christian Bernhardt dabei, seit 1994 in Köln ansässig. Vor drei Jahren hat er seinen ersten Roman »tagelang« im Münchener Liebeskind Verlag veröffentlicht: eine nüchterne, aber subtile Beschreibung von Belanglosigkeiten, die bei näherem Hinsehen Abgründe im Leben ihrer Figuren offenbart. Seine von ihm selbst als »stilhafte Stillosigkeit« bezeichnete sprachliche Form setzt Bernhardt fort in dem Text, den er in Klagenfurt vorgetragen hat: »was sie hier haben«.

StadtRevue: Du hast vergangene Woche am Bachmann-Wettbewerb teilgenommen. Wie hast Du die Atmosphäre dort empfunden?

Bernhardt: Schul- oder Betriebsausflug, die meisten kennen sich, die literarische Szene ist überschaubar. Für die Wettbewerbs-Teilnehmer ist es natürlich so eine Art Prüfungssituation. Man sitzt da auf der Bank, alphabetisch geordnet, zieht sein Los und muss später antreten zur »mündlichen Prüfung«. Man liest dann und muss anschließend schweigen, das Urteil über sich ergehen lassen.

Muss man wirklich schweigen?

Nein, man muss nicht, aber es ist so eine Art ungeschriebenes Gesetz. Dein Mikro ist eingeschaltet, und du kannst ja machen, was du willst, wenn es sein muss, auch dein nicht ausgetrunkenes Wasserglas jemand ins Gesicht schütten. Ich habe es allerdings vorgezogen, mein Wasser auszutrinken. Es hat ziemlich gut geschmeckt.

Man kann manchmal den Eindruck gewinnen, es ginge eher um einen Wettbewerb der Kritiker, die sich in ihren Lob- oder Schmähreden rhetorisch überbieten wollen.

Ja, diesen Wettbewerb gibt es dort auch. Jeder der Juroren will, dass der oder die von ihm Vorgeschlagene auch den Preis gewinnt. Und die Juroren zeigen natürlich auch sich selbst und ihre Qualitäten.

Gab es so etwas wie eine Solidarität unter den AutorInnen, oder war das Konkurrenzbewusstsein bestimmend?

Das ist so eine Mischung. Die Meisten fühlen sich schon untereinander solidarisch, als »Opfer« dieser Prüfungsmaschinerie, in der sie jetzt drin sind, andererseits ist es auch eine unterschwellige Konkurrenz. Man kann schließlich 25.000 Euro und Ruhm gewinnen.

Findest Du den Wettbewerbsmodus gerecht und sinnvoll?

Ich denke, der Wettbewerb bedient bestehende Formen. Die meisten Juroren sind sicher gut vernetzt mit Verlagslektoren, deshalb ist es wohl auch ein Stück weit eine Marketingveranstaltung der Verlage. Ausnahmen gibt es sicher, und für jeden Autor bietet der Wettbewerb, ob Gewinn oder nicht, eine starke Medienpräsenz. Andererseits kann man natürlich auch ganz bitter untergehen. Sicher könnte man mit so einem Wettbewerb mehr provozieren, man könnte auch konkret zum Experimentieren aufrufen oder ein aktuelles Thema stellen.

Dein Text wurde sehr kontrovers diskutiert. Hast Du mit so unterschiedlichen Reaktionen gerechnet?

Nein, ich dachte, ich gewinne. (lacht) Ich habe aber nicht so viel über die Jury und ihre Vorlieben nachgedacht und dachte, mein Text ist super.

Einige Juroren haben sich bei Deiner Lesung gelangweilt. Dein Text zielt aber doch gerade auf Erfahrungsqualitäten unterhalb der Langeweile und des Alltags.

Ich glaube, einige Juroren haben den Text vielleicht nicht gemocht oder ein Problem damit gehabt. Ich habe etwas darüber nachgedacht, bin aber noch zu keinem Ergebnis gekommen. Jedenfalls dachte ich nicht, dass man ihn langweilig finden könnte. Diese sehr alltäglichen Sachen, die ich in dieser Geschichte beschreibe, das Einkaufen und so weiter, ist ja normalerweise schon langweilig. Ich habe das aber symbolisch codiert, damit es eine andere Bedeutung bekommt. Ich habe versucht, den Alltag lesbar zu machen. Wenn da »Totes Meer Shampoo« steht, dann hat das eine Bedeutung.

In Deinem Klagenfurter Text redet der Erzähler von gekachelten Häusern und der Stadt, die »so schön kaputt und vorübergehend« sei. Entspricht das Deiner Sicht auf Köln? Macht diese Stadt für Dein Schreiben einen Unterschied?

Sicher wird man von der Stadt ­beeinflusst, in der man gerade lebt. Hier wirkt alles zerbrochen, man sieht die Teile der Vergangen­heit, hat aber nicht diese sichtbar schwere Erblast einer Stadt wie beispielsweise Wien. Der Rolf-Dieter Brinkmann hat sich ja beklagt, dass hier alles kaputt war. Gerade das kann man aber auch gut finden.

Gibt es so etwas wie eine literarische Szene in Köln, an der Du teilnimmst?

Im Vergleich zu anderen Orten ist die Szene hier recht klein. Acht der Klagenfurter Autoren kamen aus Berlin. Ich tausche mich mit anderen Autoren aus, aber es gibt hier nicht so etwas wie eine stilbildende oder -suchende Szene.

Abschließende Frage: Wie gefällt Dir der Klagenfurter Siegertext von Lutz Seiler?

Er war ganz gut geschrieben. Als ich noch Germanistik studiert habe, hätte ich ihn vielleicht interessant gefunden.

Im Netz:
Videoporträt von Christian Bernhardt, seine Lesung in Klagenfurt mitsamt anschließender Diskussion auf: bachmannpreis.orf.at