»Tanzen, als ob niemand zuschaut«

Der Aktionstag Shake it öffnet Perspektiven auf das Empowerment-Potential von Tanz

Wie können Tanz und verschiede-ne Körperpraktiken ein positives Körpergefühl stärken? Die Organisatorinnen von »Skake it!«, Henrike Koll-mar vom NRW Landesbüro Tanz und Johanna Schmitz, Mitarbeiterin des Mädchen*treffs in der Alten Feuerwache, reden über Körperbilder, Selbstliebe und Tanz als subversive Strategie.

 

Das Programm eures Aktionstages liest sich wie ein Konvolut aus Queer Theory, Popkritik und Feminismus. Ein großes Vorhaben, oder?

 

Henrike Kollmar: Gerade diese Vielfalt an Themen macht den Tag spannend! Uns interessiert die Frage, wie Tanz subversiv genutzt werden kann, um normative Rollenbilder aufzulösen und einen anderen, genussvollen Umgang mit der eigenen Körperlichkeit zu finden. Die Entscheidung, den Tag für ein möglichst breites Publikum zu öffnen, stand dabei von Anfang an fest.

 

Johanna Schmitz: Das ist auch das Besondere an unserer Tagung: Dass sie eben nicht nur eine spezielle Zielgruppe anspricht, sondern einen Raum schaffen will, in dem sich verschiedene Perspektiven begegnen können. Uns war wichtig, dass sowohl professionelle Tanzschaffende als auch interessierte Teilnehmende gleichberechtigt Gehör finden und miteinander etwas in Bewegung bringen.

 

Mit Rednerinnen wie Sonja Eismann, Mitherausgeberin des Missy Magazines, und der Journalistin und Buchautorin Mithu Sanyal konntet ihr wichtige Stimmen der aktuellen Feminismusdebatte gewinnen. Was wird uns am Tag selbst erwarten?

 

Schmitz: Organisatorisch wird es drei Blöcke geben. Vormittags geben Expertinnen aus dem Bereich Tanz, Pädagogik und Kultur-wissen-schaften inhaltliche Inputs — unter anderem zu den Themen Body-positivity, Körperbilder und Empowerment. Nachmittags finden Workshops statt, in denen die Teilnehmenden sich im Tanz kritisch mit Körperbildern auseinandersetzen können.

 

Kollmar: Abends zeigen wir das Solo »Seismic Dancer« der Choreografin und Tänzerin Doris Uhlig. Der Körper wird zum Zentrum von Aktion und Veränderung: Sie rüttelt Körperbilder geradezu auf. Zusammen mit einem Techno-DJ reflektiert die Tänzerin aus Wien das Motto »Shake it!« auf ihre eigene Weise — mit einer ganzen Menge Power und Selbstbwusstsein.

 

Bereits seit September läuft im Mädchen*treff der Workshop der Breakdance-Künstlerinnen Bgirl Lui und Frida Frost. Welche Rückmeldung bekommt ihr?

 

Schmitz: Der Kurs eröffnet für viele Mädchen einen ganz neuen Spielraum — im Spüren und Erleben des eigenen Körpers. Gerade in der Pubertät ist das Hadern mit dem eigenen Äußeren ja sehr präsent: Wie sehen mich die anderen? Darf ich mich so bewegen oder passt mein Körper nicht dazu? In unserer täglichen Arbeit läuft die kritische Sensibilisierung für normative Körperbilder oft auf kognitiver Ebene, der Tanzkurs ermöglicht da einen neuen Zugang: Es geht darum zu tanzen, als ob niemand zuschaut. 

 

Seit Ende letzten Jahres kann im Geburtsregister »divers« neben »männlich« oder »weiblich« eingetragen werden. Sind wir in Sachen Fluidität der Geschlechter nicht schon viel weiter

 

Schmitz: In den letzten Jahren ist viel in Bewegung gekommen. In meiner täglichen Arbeit stelle ich aber noch fest, wie wirkungsmächtig normative Rollenbilder bei der Beschäftigung mit dem eigenen Körper sind. Bei unserer Arbeit ist es uns wichtig, kategoriekritisch zu denken, also Kategorien wie »männlich« und »weiblich« infrage zu stellen — und gleichzeitig Diskriminierung aufzudecken. Ein weiblich wahrgenommener Körper wird besonders betrachtet und bewertet. Das muss in aller Deutlichkeit benannt und reflektiert werden.

 

Kollmar: Für mich spielt auch die Frage nach der Selbstoptimierung eine wichtige Rolle in diesem Diskurs. Die widersprüchlichen Anforderungen sind enorm: Eine Frau muss natürlich sein, gleichzeitig diszipliniert im Umgang mit ihrem eigenen Körper Ein genussvoller Umgang bleibt da oft auf der Strecke. Dabei sollte es doch gerade darum gehen, unsere Diversität wertzuschätzen. 

 

Gerade die Queer Theory, die das binäre System von Männlichkeit und Weiblichkeit aufzulösen versucht, wurde in der Vergangenheit häufig dafür kritisiert, körper- und auch lustfeindlich zu sein. Wie geht ihr selbst mit dieser Problematik um?

 

Schmitz: Im theoretischen Diskurs ist es nicht schwer, Kategorien kritisch zu hinterfragen. Gerade, wenn es um Geschlecht und Ausgrenzungsmechanismen geht, ist das auch wichtig. Trotzdem bleibt am Ende das Paradox der eigenen Leiblichkeit. Ich finde es wichtig, auch diese Erfahrung zu thematisieren — und den Körper als Vehikel zu nutzen, um normative Zuschreibungen sichtbar zu machen und umzudeuten. Für mich ist das ein spannendes Experimentierfeld, in dem man sich immer auch mit den eigenen Annahmen auseinandersetzen muss.

 

Kollmar: Die Ambivalenz sehe ich auch, aber gerade im zeitgenössischen Tanz gibt es kategoriekritische Versuche schon seit Mitte der 90er Jahre. Künstlerinnen setzen sich seit langem mit Stereotypen im Tanz auseinander. Das geht soweit, dass man die Person auf der Bühne überhaupt nicht mehr eindeutig als männlich oder weiblich identifizieren kann. Es gibt aber auch die andere Seite, das unbewusste Tradieren von Körperpraktiken. Mit »Shake it!« wollen wir einen Impuls setzen — hin zu einer künstlerischen Aneignung von Tanz als Empowerment.