Zum Hirn durchpusten: »Happiness Avenue«

Wildes Japan auf Super8

Filmgeschichte auf Kölner Leinwänden: Die Lichtspiele Kalk zeigen japanische DIY-Kurzfilme

In der seit ein paar Monaten laufenden Schau (digitalisierter) japanischer 8mm-Filme in den Lichtspielen Kalk läuft im Dezember Hirano Katsuyukis »Happiness Avenue« (1986) — und damit eines der bedeutendsten Werke der gesamten bekannten wie unbekannten Filmgeschichte. Genug Anlass, einmal ausführlicher auf dieses Unterfangen einzugehen: Vor zwei Jahren präsentierte das Internationale Forum des Jungen Films auf der Berlinale eine Reihe mit Werken, welche in den zum Wahnsinn tendierenden 80er Jahren in Japans damals brodelnder 8mm-Filmszene entstanden. Anders als in unseren arg kunstverschulten Breiten gab es dort bis vor wenigen Jahren keine spezialisierten Ausbildungsstätten für angehende Filmschaffende. Wer das Handwerk lernen wollte, musste die ersten Schritte mit der eigenen Heimkinoausrüstung tun — und hoffen, bei einem der vielen Amateurfilm-Wettbewerbe einem der dort stets herumlungernden Talentsucher aufzufallen. Mit Glück bekam man einen Job als Assistent bei den Profis, und das bedeutete gemeinhin: bei einem pink eiga, einem Softcore-Sexfilm.

 

Von Mitte der 80er bis in die frühen 90er Jahre schlugen diesen Weg in Japan fast alle ein, die später international berühmte Regisseure wurden, darunter Mainstream-Edelhandwerker Ogata Akira (»Tokyo Cabbageman K«, 1980), Arthouse-Axiom Suwa Nobuhiro (»Hanasareru Gang«, 1984) und auch Underground-Anarcho Yamamoto Masashi (»Saint Terrorism«, 1980) — um nur die zu nennen, von denen in den vergangenenMonaten Filme in Kalk gezeigt wurden. Die Lichtgestalt aber war Hirano Katsuyuki. Er galt in den 80er Jahren als Super8-Superstar und als next big thing selbst in den gediegeneren Filmmagazinen. Dann ging er allerdings einen Weg, auf dem ihm niemand folgte: Er wurde zu einer Ikone des Videopornos, wobei er auch da seinen surrealistischen Tendenzen freien Lauf ließ. Die sinnfreie Raserei, die Feier allen Körperlichen, mit der schon »Happiness Avenue« die Hirne durchpustet, findet man auch in vielen seiner Pornos — plus: eine autobiographische Note, denn Hirano spielt oft an der Seite seiner jeweiligen Lebensgefährtin die Hauptrolle. Tagebuch, surrealistisches Experiment, Pornographie: In »Shiro — The White« (1999) kommt alles zusammen. Den Film wünsche ich mir zu Weihnachten in Kalk.

 

Di 2.12., Lichtspiele Kalk, 21.30 Uhr. Info: lichtspiele-kalk.de