Wir sind aus einer anderen Zeit

Michael Lentz hat einen verstörend guten Roman über das Exil geschrieben

Fremd ragt »Pazifik Exil« von Michael Lentz aus der Herbstproduktion deutscher Verlage he­raus: ein historischer Roman über ddie Zuflucht deutscher Schriftsteller, Künstler und In­tel­lek­tueller an der Westküste der USA. Lentz, der als Lyriker, ausgewiesener Verfasser von ex­peri­men­tel­len Prosatexten sowie durch seine Musikperformances bekannt geworden ist, hat mit » Pazifik Exil« ein imposantes Werk vorgelegt, das nicht mehr und nicht weniger als die große Geschichte der Vertreibung des besseren Deutschland durch die Nazis erzählt.

In den drei Teilen des Romans, der in Frankreich mit der Vorbereitung auf die Überfahrt beginnt, dann vom Überleben in den USA handelt, um abschließend das Leben nach dem II. Weltkrieg darzustellen, spannt der Autor einen weiten Bogen. Das Personal reicht von Schönberg über Brecht bis zu Werfel und den Mann-Brüdern (und Kindern). Auf Schritt und Tritt merkt man dem Roman an, dass er vor dem Hintergrund eines großen Wissens über die Exilerfahrungen und entsprechender Lektüre verfasst worden ist. Doch am Ende springt kein staubtrocken-gelehrter Professoren-Roman heraus, sondern ein dicht gewebter Erzähltext, der Gesprächspassagen unterschiedlicher Figuren mit einer Vielzahl innerer Monologe zu arrangieren versteht. Diese gewähren Einblick in die komplizierten Charaktere wie in deren ambivalente Beziehungen zueinander.

Lentz gelingt es, einen Beitrag wider die Auratisierung des ideologisch aufgeladenen Exilbildes zu leisten, indem er die Rivalitäten, Eifersüchteleien und Idiosynkrasien der Künstler in den Mittelpunkt rückt. Er hat einen Maßstäbe setzenden Roman geschrieben, der sich an einer »Ästhetik des Widerstands« abarbeitet. Er umkreist bei allen Protagonisten das Problem einrseits der Sprach-Form, also des künstlerischen Ausdrucks, und andererseits des po­litisch-gesellschaftlichen Gehalts: Wie ist die existentielle Erfahrung des Exils, die Entwurzelung und Entfremdung, mit aufklärerischen Ansprüchen zu vermitteln?

Offensichtlich ist Lentz daran gelegen, gerade die Widersprüche aufzuzeigen – der Temperamente und Ansichten wie der künstlerisch-ästhetischen Resultate. Dies verbunden mit der weitergehenden Intention, Erinnerungsarbeit im Medium des Erzählens zu leisten. Schon damit sich am Ende nicht der Eindruck bestätigt, den Katia Mann, der das letzte Kapitel – und Wort – vorbehalten ist, als ernstzunehmende Angst vor dem Vergessen beschwört: »Wir sind halt aus einer anderen Zeit, müssen wir uns eingestehen. Das scheint auch der Blick der anderen zu bedeuten, den wir als mitleidig empfinden, auch wenn er vielleicht nur gleichgültig ist. Die Zeit ist abgelaufen, wir sind nur unsere eigenen Überhänger.«

Michael Lentz: Pazifik Exil.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2007, 464 S., 19,90 Euro.
Lesung: Mo 19.11., Literaturhaus, 20 Uhr.