»Intimhygiene ist mein Lebensthema«

Die Kölner TV-Moderatorin Charlotte Roche hat »Feuchtgebiete« geschrieben, einen Roman über Hämorrhoiden und weibliche Selbsterkundung. Mit Michael Aust spricht sie über Tabus, romantische Körper­ideen und ihren Abschied vom Fernsehen

StadtRevue: Frau Roche, »Feuchtgebiete« erscheint passend zu Ihrem dreißigsten Geburtstag im März. Hatten Sie das Ziel, bis dreißig einen Roman zu schreiben?

Charlotte Roche: Überhaupt nicht! Obwohl – das klingt eigentlich ganz gut. Ich habe schon lange gedacht, dass ich einen Roman schreiben möchte. Aber es hat sieben Jahre gedauert, bis ich eine Idee gefunden habe.

Gleich im ersten Satz Ihres Debüts taucht das Wort Hämorrhoiden auf ...

Total schwierig. Ein absolutes Tabu.

... außerdem geht es um Analfissuren, Intimwaschlotionen und »Muschihygieneselbstexperimente«. Machen Sie gerade eine anale Phase durch, Frau Roche?

Das ist genau die böse Frage, die ich befürchtet habe! Ich habe große Angst, dass Leser sagen: Was kann ich dafür, dass Charlotte ­Roche ihre anale Phase nicht ausgelebt hat? Für mich ist das Buch sehr nahe am Leben. Ich habe mich hingesetzt und versucht, über wahrhaftige Dinge des Menschen zu schreiben. Ich wollte das, was wir in uns haben und was einen großen Teil unseres Lebens ausmacht – der eigene Körper, Selbstbefriedigung, Hygiene, dieses ganze Toiletten-Doppel­leben – nach außen stülpen. Aber ich muss zugeben: Ich finde es auch schwierig, manche Stellen aus meinem Roman laut auszusprechen.

Eine gewisse Hemmung, über Untenrum-Themen zu sprechen, ist ja nur menschlich. Warum haben Sie Ihre überwunden?

Ich habe gedacht, wenn ich schon über Smegma und Schleim und Sex reden will – dann richtig. Und nicht nur vorsichtig angedeutet wie in einem 50er-Jahre-Film, nicht wegblenden und verkraftbar machen. Ich wollte hingucken und vollkommen beschreiben so gut ich kann.

Die Handlung des Romans dreht sich um die 18-jährige Helen, die nach einer missglückten Intimrasur im Krankenhaus liegt und dort alle Bereiche ihres Körpers in Augenschein nimmt, die als »unmädchenhaft« gelten. Wie kam Ihnen die Idee zu so einem Plot?

Intimhygiene ist ein Lebensthema von mir. Ich habe vor vielen Jahren mal die Schauspielerin Kim Catrell interviewt und mit ihr lange darüber geredet, warum Frauen ganzrasiert sind und wieso sie versuchen, ihre Gerüche zu übertünchen. Damals habe ich angefangen, Material zu sammeln und einen Ordner »Körperhygiene« angelegt. Der ist irgendwann völlig explodiert.

Ihre Hauptfigur Helen sagt: »Hygiene wird bei mir kleingeschrieben«. Was ist denn so schlimm an Hygiene?

Insgesamt nichts. Ich finde es okay, wenn man mal duscht. (lacht) Aber die Ausgangsfrage meines Buchs ist: Warum gibt es Parfüm? Mir wurde in der Schule beigebracht, dass Frauen sich verlieben oder Kinder zeugen wollen, weil man einen Mann riecht. Warum praktizieren dann manche Menschen diesen Sauberkeitswahnsinn? Die übertünchen den Schweiß unter ihren Achseln und besprühen sich mit Parfüm. Was versuchen die zu verstecken? Viele Leute haben Probleme, Menschen kennen zu lernen, aber töten all diese tieri­schen tollen Duftkissen, die wir haben. Die Idee für meinem Roman war, eine Helen zu erfinden, die damit absolut locker und superextrem umgeht. Die ihren Muschigeruch benutzt, um Männer kennen zu lernen. Das finde ich eine schöne, romantische Körperidee.

Ihr Buch enthält sehr explizite Sprache. Sie gelten als Popfeministin und waren mal auf dem Cover von Emma. Wie stehen Sie zur neu aufgelegten »PorNo«-Kampagne von Alice Schwarzer?

Ich wehre mich nicht gegen das Wort, aber mir wurde von Experten bestätigt, dass in meinem Buch keine Pornografie vorkommt. Ich bin übrigens gegen Alice Schwarzers PorNo-Kampagne. Sie geht davon aus, dass Frauen in Pornofilmen erniedrigt werden. Sehe ich nicht so – es gibt Pornos, in denen Frauen erniedrigt werden, und viele andere, in denen das nicht passiert. Auch den Schluss, den Emma zieht, finde ich falsch: Dass Männer, die Pornos gucken, Frauen im echten Leben schlecht behandeln. Ich kenne viele liebende Familienväter, die gerne mal einen Porno gucken, um geil zu werden. Warum auch nicht?

Sie machen auf der lit.Cologne eine Veranstaltung zum Thema »Radikale Literatur«. Ist Ihr Roman radikal?

Radikal heißt ja: an die Wurzel gehend, sich um das Wesentliche drehend. In diesem Sinne ist mein Buch hundertprozentig radikal. Weil es so körperlich ist und nichts verschweigt. Es handelt viel vom Schmerz in der eigenen ­Fami­lie, darum, wie schrecklich Schweigen für Kinder ist. Mein Lieblingsbeispiel sind ­Hämor­rhoiden, die werden nämlich vererbt. Jeder, der Hämorrhoiden hat, geht früher oder später zum Proktologen und wird gefragt: Haben Ihre Eltern Probleme mit ­Hämor­rhoi­den? Und praktisch jeder Patient sagt: Weiß ich nicht. Jeder Mensch mit ­Hämor­rhoiden denkt, er sei der einzige. Das ist ein Beweis dafür, dass Tabubruch manchmal ganz schön sinnvoll ist.

Wenn das die Botschaft ist, warum haben Sie kein Sachbuch geschrieben?

Hatte es am Anfang werden sollen. Aber das wäre womöglich eine Art Kampfschrift für die deutsche Frau geworden, mit streng erhobe­nem Zeigefinger. Das wollte ich nicht. Daher die Idee, einen Roman zu schreiben und ­jemand anderen das machen zu lassen, was ich meine.

Haben Sie Verständnis für Menschen, die sagen: Über Analfissuren möchte ich gar nichts lesen?

Absolut. Ich bin nicht so verrückt und erwarte, dass mich jeder für das Buch liebt. Der eine wird vielleicht mit der Bakterienbeschreibung Probleme haben, der andere mit dem Bericht über die Schmerzen bei der Operation. Die Redakteurin einer Frauenzeitschrift soll das Buch nach ein paar Seiten wütend in die Ecke geworfen und gefragt haben: Was soll ich mit dieser kranken Scheiße? Ich laufe nicht hinter denen her und lese das vor.

Aber Sie gehen jetzt auf Lesereise.

Da werden wahrscheinlich bei gewissen detail­verliebten Beschreibungen Leute aufstehen und gehen.

Ab welchem Alter darf Ihre fünfjährige Tochter »Feuchtgebiete« lesen?

Ab 25. Meine Tochter weiß nichts von dem Buch und auch nicht, dass ich beim Fernsehen bin. Ich würde sie von dem Buch germe möglichst lange fernhalten. Es ist ja für ein Kind erst mal ekelhaft, eine sexuelle Mutter zu haben. Aber ich finde, ein Erwachsener darf sexuell sein, auch wenn er Kinder hat. Man muss nur eine Grenze ziehen zum Kind. Ich bin mit meiner Tochter vollkommen spießig. Ich kläre sie auf und lasse sie ansonsten mit unserer Erwachsenensexualität in Ruhe.

Wann kommt Ihr nächster Roman – mit vierzig?

Vielleicht mit 31? Ich bin viel auf Lesereise, da ist man den ganzen Tag irgendwo, wo man nicht unbedingt sein will – sagen wir in Bielefeld –, und kann die Zeit gut zum Schreiben nutzen. Schreiben ist herrlich: Man muss nicht weg, wie beim Film, und kämpft nicht gegen einen Chef, wie beim Fernsehen.

Verabschieden Sie sich gerade vom Fernsehen?

Es sieht so aus. Letztes Jahr habe ich nur die Berlinale moderiert, dieses Jahr mache ich nichts außer einer kleinen 3sat-Reihe im Herbst. Fernsehen kann bei mir gerne immer weniger werden.


Die Frau und das Buch

Charlotte Grace Roche wurde am 18. März 1978 in ­England geboren und wuchs am Niederrhein auf. Für ihre Arbeit als TV-Moderatorin, u.a. für Viva II und Arte, wurde sie mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Sie lebt in Köln, ist verheiratet und hat eine Tochter.

2002 veröffentlichte Roche die Textsammlung
»Beim Barte des Proleten«. »Feuchtgebiete« ist ihr erster Roman. Nachdem der Verlag Kiepenheuer & Witsch, mit dem die Autorin schon einen Vertrag hatte, das drastische Manuskript nicht drucken wollte, ist es jetzt bei DuMont erschienen (220 S., 14,90 Euro).

Lesung: Charlotte Roche liest aus
»Feuchtgebiete«, Fr 28.3., Alter Wartesaal, Johannisstraße 11, 20 Uhr. Der Termin ist wegen der Karfreitagsregelung vom 21. auf den 28.3. verschoben worden.