»Wenn ich Pro Köln höre, kriege ich Gänsehaut«

Seit Jahren setzt sich Tayfun Keltek für die Integration von Migranten ein. Ein Gespräch über das gesellschaftliche Klima, neue Feindbilder und Spaziergänge durch Köln.

StadtRevue: Herr Keltek, Sie wohnen seit 1972 in Köln. Hat sich das gesellschaftliche Klima in der Stadt seit dem Aufkommen von Pro Köln verändert?

Tayfun Keltek: Die Stimmung in Köln hat sich zunehmend verschlechtert. Schuld daran ist die unsachliche Verknüpfung des Islams mit der blinden Debatte um politischen Fanatismus, Zuwanderung und Integration. Rechte Gruppierungen wie Pro Köln nutzen diese Stimmung als Nährboden und betreiben Hetzjagd. Sie versuchen, vorhandene Ängste der Menschen zu instrumentalisieren, schüren Feindseligkeiten und vergiften so das gesellschaftliche Klima. Der Islam ist zum neuen Feindbild geworden und hat den Kommunismus abgelöst. Menschen, die seit Jahren friedlich in Köln leben und sesshaft geworden sind, werden zu Sündenböcken gemacht. Plötzlich fühlt man sich bei einem Spaziergang durch Köln ausgegrenzt – weil man schief oder böse angeschaut wird.

Wie funktioniert Ihrer Meinung nach geglückte Integration?

Eigentlich ist alles ganz einfach: Wer nicht zu seiner Herkunft und Kultur stehen darf, kann keine gesunde Identität entwickeln. Wer aber kein gesundes Selbstbewusstsein hat, kann sich nicht für neue Formen des Zusammenlebens öffnen. Deshalb müssen wir allen Menschen das Gefühl geben, dass wir sie in Köln willkommen heißen – und zwar in ihrem Anderssein. Da genügt es nicht, Moscheen zu bauen. Erst wenn man alle Ungerechtigkeiten beseitigt, werden sich die Migranten gleich behandelt fühlen. Die erste Prüfung haben wir aber bestanden: die Wahl in Hessen. Die Anständigen müssen sich lauter in der Öffentlichkeit melden anstatt Leuten wie Roland Koch das Feld zu überlassen.

Die Strategie der Pro-Bewegung besteht darin, sich als Biedermänner zu tarnen. Trägt da nicht die politische Mitte eine besondere Verantwortung?

Ohne wenn und aber: Ja! Jetzt sind die großen Parteien gefragt. Deutschland – und Köln auch – hat das Problem des Rassismus, das wir alle bekämpfen müssen. Rechtsextreme wie Pro Köln sind nur die Spitze des Eisbergs. Was darunter liegt, ist viel entscheidender. Das heißt aber auch, dass wir eben nicht nur alle radikalen Organisationen bekämpfen müssen, sondern die Vorurteile, die mitten unter uns schwelen.

Haben sich die etablierten Parteien beim Aufkommen von Pro Köln falsch verhalten?

Eindeutig falsch ist die Position, die die Ehren­felder CDU stellenweise in der Moschee­debatte eingenommen hat. Mit ihren Parolen, die Minarette sollen kleiner und der Bau weniger pompös werden, haben sie Pro Köln sogar gestützt. Allerdings finde ich auch, dass die Politiker im Rat geschickt reagieren, indem sie den fünf Pro-Leuten keinen Raum geben, ihre Propaganda auszuspielen. Dadurch merken die Kölner, dass die Partei keinerlei Substanz hat. Wenn ich in Sitzungen Anfragen von Pro Köln höre, kriege ich Gänse­haut.

Aber hätte man, anstatt Pro Köln nur auflaufen zu lassen, nicht offensiver gegen sie vorgehen sollen?

Das ist schwer zu beurteilen. Die Gefahr liegt darin, dass viele Gegner erst dann wichtig werden, wenn man sie zum Gegner erklärt. Andererseits muss man natürlich handeln.

Oft wird der Vorwurf erhoben, dass die Ratsparteien zu lange die Sorgen der Bevölkerung nicht ernst genug genommen haben. Haben die Politiker, aus Angst den fragilen Moschee-Kompromiss zu gefährden, zu wenig mit den Bürgern gesprochen?

Anfangs wurde in Köln viel zu wenig geredet. Die Politiker müssen laut werden und sagen was richtig ist – auch wenn sie damit vielleicht einige Leute vor den Kopf stoßen. Das wurde in der Debatte um den Moscheeneubau in Ehrenfeld anfangs versäumt, die Bürger fühlten sich überrannt. Später wurde einiges nachgeholt, vor allem von der Ehrenfelder SPD und Bürgermeister Josef Wirges. Sie gingen auf die Ehrenfelder zu und organisierten zum Beispiel Info-Veranstaltungen – das hätte allerdings schon früher passieren müssen.

Wenn ein Streit um Minarette, Karikaturen oder Scharia aufflammt, liegt immer Hysterie in der Luft. Warum?

Die Behandlung des Islams in der Öffentlichkeit ist sehr oft undifferenziert, manchmal sogar bösartig. Ich bin kein religiöser Mensch und mir geht es nicht darum, die Religion zu verteidigen. Mir geht es darum, wie einige Menschen durch diese Art von Diskussionen benachteiligt und kaputt gemacht werden. Der 11. September ist ein trauriger Meilenstein in dieser Entwicklung. Was geschah, war grauenvoll. Schlimm ist aber auch, dass seitdem pauschale Verurteilungen oftmals auf der Tagesordnung stehen – auch in Köln. Viele Medien, vor allem die Boulevardpresse, unterstützen dies durch unkritische Äußerungen.

Der 11. September 2001 ist lange her – verändert sich das Meinungsbild langsam wieder?

Leider gibt es in Teilen der Bevölkerung nach wie vor die Auffassung, dass Migranten nicht dazugehören und hier nichts zu suchen haben – obwohl sie vielleicht in der dritten oder vierten Generation hier leben. Durch den Bau neuer, großer Moscheen kann man ihre Existenz nicht mehr so einfach leugnen. Das wird vielen erst jetzt bewusst, deswegen die ganze Hysterie. Die Menschen werden nicht weggehen, sie werden bleiben.

Zur Person
Tayfun Keltek wurde 1947 in der Türkei geboren und lebt seit 1971 in Köln. 1987 hat er die Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen mitgegründet. Seit vier Jahren ist er Vorsitzender des Kölner Integrationsrats. Dauerhaft woanders zu leben, kann Keltek sich nicht vorstellen: »Ich bin Kölner«. Dieses Lebensgefühl möchte er allen in Deutschland lebenden Migranten mitgeben. »Wir dürfen nicht nachgeben, wenn Rechtsradikale sagen, dass wir nicht hierher gehören. Ich bin kein Ausländer und ihr auch nicht.« Im Jahr 2000 wurde er für sein ehrenamtliches Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt, kürzlich erhielt er den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen. Keltek ist Mitglied der SPD.