Lebendig begraben im eigenen Leib

Der bildende Künstler und Filmregisseur Julian Schnabel pflegt eine seltsame Vorliebe für Figuren in Gefangenschaft. Sein Porträt des Malers Jean-Michel Basquiat stilisiert dessen Drogensucht zum selbstgewählten Gefängnis eines gesellschaftlichen Außenseiters, der kubanische Schriftsteller Reinaldo Arenas aus »Before Night Falls« erlebt die soziale Revolution Fidel Castros hinter Gittern, und nun hat Schnabel die Krankengeschichte des vor elf Jahren verstorbenen Jean-Dominique Bauby verfilmt. Bauby war Chefredakteur des französischen Modemagazins Elle, als er 43-jährig einen Hirnschlag erlitt und zum Gefangenen seines eigenen Körpers wurde. Während sein Verstand, sein Gehör und seine Sehkraft unbeschadet blieben, war sein Leib beinahe vollständig gelähmt.

Auch für den, der weiß, was ihn in »Schmetterling und Taucherglocke« erwartet, ist der Beginn des Films ein Schock: Schnabel zeigt das allmähliche Erwachen Baubys aus dessen subjektiver Perspektive, man sieht durch seine Augen, hört seine innere Stimme und vernimmt mit ihm die erschütternde Diagnose. Besonders furchtbar wird es, als ein aufgeräumt plaudernder Chirurg Baubys rechtes Auge zunäht, um einer drohenden Entzündung vorzubeugen. Für einen unendlich scheinenden Augenblick schließt sich die Kameralinse und das Licht auf der Leinwand erlischt.
In den ersten zwanzig Minuten ziehen Julian Schnabel und sein Kameramann Janusz Kaminsky sämtliche optische Register, um die nach zweiwöchigem Koma noch ziemlich benommene Wahrnehmung Baubys in Bilder umzusetzen. Es ist eine grandiose Szenenfolge, ein poetischer Strom verwischter Augenblicke, der allerdings wenig mehr als eine selbstgenügsame Spielerei wäre, wenn sich mit dem Gesichtsfeld des Films nicht auch seine thematische Perspektive öffnen würde.

Während die Krankenakte des prominenten Patienten aufgeblättert wird, klammert sich Bauby an das, was ihm geblieben ist: seine Erinnerungen, die Eindrücke der Welt und die Gabe der Reflexion. Er lernt, sich mit Hilfe seines linken Augenlids zu verständigen, und diktiert auf diese Weise ein ganzes Buch: Seine Assistentin trägt ihm die nach ihrer Häufigkeit geordneten Buchstaben des Alphabets vor, und er signalisiert mit einem Blinzeln, welcher Buchstabe an der Reihe ist. Am Ende steht ein beinahe versöhnliches Vermächtnis: Bauby lässt in den Momenten schöpferischer Freiheit die Mauern seines Gefängnisses hinter sich, und Schnabel ehrt diese Leistung mit seiner eigenen Erfindungskraft.


Infos

Schmetterling und Taucherglocke
(Le Scaphandre et le papillon) F/USA 07, R: Julian Schnabel, D: Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner, Marina Hands,
114 Min. Start: 27.3.