Nazis im Che-Guevara-Shirt

Sie übernehmen die Klamotten und Symbole der

Linken und geben sich einen revolutionären Habitus:

Die ultrarechten Autonomen Nationalisten wollen

auch im Rheinland Jugendliche rekrutieren

 

Eine Gruppe schwarz Gekleideter rückt im Gleichschritt vom Bahnhof in Pulheim Richtung Marktplatz vor. Sie tragen Kapuzenpullis, Baseballkappen und Palästinensertücher. Ein Banner mit der Parole »Die Revolution beginnt auf der Straße« schieben sie vor sich her. Der Staatsschutz bildet ein Spalier um sie herum. Einen solchen Polizei-Aufmarsch hat Pulheim vermutlich noch nie erlebt. Aus den Lautsprechern tönt Punk-Rock. Am Markt­platz angekommen, brüllen sie »frei, sozial und national« – als Begrüßung für die anderen, die sie dort treffen. Einige sind vermummt, einer von ihnen hat einen roten Iro. Er ist ein Neonazi – im linken Gewand.

Am 8. Mai, dem Tag der Befreiung, rollt ein Neonazi-Aufmarsch über Pulheim herein. Keine Springerstiefel, keine Glatz­­köpfe, keine Bomberjacken weit und breit. Nur zwei schwarze Blöcke, die sich in einer Sichtweite von fünfzig Metern gegenüber stehen: Der braune Mob und linke Gegendemonstranten, optisch sind sie kaum voneinander zu unterscheiden. »Dass Neo­nazis im autonomen Style für die ›nationale Revolution‹ antreten, ist ein neues Phänomen«, sagt Hans-Peter Killguss von der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextre­mismus.

Die Tarnung der braunen Schläger

Die rechte Szene verändert sich: Neben dumpfen Skinheads marschieren seit einigen Jahren auch Autonome Nationalisten (AN) auf. Die ANs kopieren den Habitus ihrer politischen Gegner, der Linken. Sie benutzen das Fahnen-Symbol der Antifa, hören Ton Steine Scherben, sprühen neo­nazistische Graf­fiti an Hauswände. Mit diesem perfiden Verwirrspiel versuchen sie, in Jugend­kulturen vorzudringen und dort Anhänger zu rekrutieren. Äußerlich nehmen sie Abstand vom Brutalo-Look, um für die jugendliche Masse attraktiver zu sein. »Sie sehen vielleicht schicker aus, aber sie kennen nur Hass. Die ANs sind bekannt für ihre extreme Gewaltbereitschaft«, betont Killguss. Die braunen Schlä­ger tarnen sich, sie geben sich als coole Rebellen, ihr rechtes Weltbild ist aber immer noch das alte: »Es spielt keine Rolle, welche Musik man hört, wie lang man seine Haare trägt oder welche Kla­motten man anzieht«, schreibt der AN-Zirkel Wuppertal/Mettmann in einer Selbstdarstellung. »Wir setzen uns dafür ein, alle relevanten Teile der Jugend zu unterwandern und für unsere Zwecke zu instrumentalisieren.«

Auch die Sicherheitsbehörden sind alarmiert. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat jetzt bei der Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichts mit Blick auf die Mai-Krawalle in Hamburg, die maßgeblich von ANs provoziert wurden, von »einer neuen Qualität« rechtsextremer Gewalt gesprochen. Einem Lynch-Mob gleich haben sie sich auf linke Demonstranten, Polizei und Journalisten gestürzt. Noch im Mai 2007 haben die Verfassungsschützer sie als »militante Randerscheinung« eingestuft. Vor einem Jahr ging die Behörde von 200 Anhängern bundesweit aus, heute schon von doppelt so vielen, überwiegend im Alter zwischen 18 und 25 Jahren.
Alexander Häusler von der Arbeitsstelle Neonazismus der Fach­hochschule Düsseldorf schätzt die Szene jedoch deutlich größer ein: »Mangels besserer Kenntnis spricht der Verfassungs­schutz von einer ›Randerscheinung‹. Bislang hat die Behörde sie völlig verkannt, erst nach den Ausschreitungen sind sie wachsam geworden.«

Immer mehr AN-Gruppen im Rheinland

Nach Berlin, München und dem Ruhrgebiet machen sich die rechten Schläger nun auch im Rheinland breit. Im August 2007 schlossen sich die AN-Gruppen aus Düren, Aachen, Köln, Pulheim und Leverkusen zur Aktionsgruppe Rheinland zusammen – Pulheim und Leverkusen zählen zu den Hochburgen. Vor zwei Jahren tauchten in Pulheim erstmals Aufkleber mit Parolen wie »Pulheim bleibt braun« oder »Schluss mit Multi-Kulti« auf. Seitdem kommt es immer häufiger zu rassistischen Schmierereien, offenen Drohungen und brutaler Gewalt. Vor einem Monat wurden zwei Jugendliche, die rechte Aufkleber entfernen wollten, in der Nähe des Escher Sees niedergeknüppelt. »Diese Militanz ist für die Kölner Region neu. Das kennt man bislang nur aus Dortmund oder Berlin«, betont Hans von Loeben vom Jugendclub Courage, der die Neonazi-Szene seit Jahren beobachtet. Das antirassistische Netzwerk Buntes Pulheim geht von 15 bis 30 Aktiven aus. »Die Szene wächst bundesweit und sie wird deutlich aktiver. Im Internet tauchen ständig neue Namen auf. Möglicherweise sind aber auch Doppelmitgliedschaften darunter«, beurteilt Häusler die Entwicklung der ANs.

So revolutionär der Style, so mickrig der Inhalt: »Ihr intellektuelles Niveau ist marginal. Sie verwenden Versatzstücke des NS-Regimes, zeigen aber keinerlei analytische Stringenz«, weiß Häusler. Bei den »bürgerlichen Rechtsradikalen« wie etwa Pro Köln, die sich bei offiziellen Veranstaltungen gerne sauber geben, kommen sie mit ihrer unverhohlenen Militanz nicht gut an – zu groß ist die Angst, potenzielle Wähler zu verschrecken.
Auch die Pulheimer Rechten stellen sich bewusst in nationalsozialistische Traditionen. In der Nacht zum 17. August, dem Todestag von Rudolf Heß, war die ganze Stadt mit Hakenkreuzen und Glorifizierungs-Parolen des Hitler-Stellvertreters beschmutzt. Und auch beim Aufmarsch am 8. Mai ist die braune Gesinnung hinter dem linken Gewand zu erkennen – wenn man genau hinschaut. Ein Rechter mit Che-Guevara-Shirt hat seine Baseballkappe mit Buttons zugepflastert. Auf einem Sticker prangen der Reichsadler und die schwarz-weiß-rote Fahne. Auf einem anderen steht: »Opa war in Ordnung.«