Paris, Tucson

Die amerikanisch-französische Sängerin Marianne Dissard kommt nach Köln

»L’entredeux« – der Titel von Marianne Dissards Debütalbum mag ein wenig gewollt daherkommen, dennoch trifft er den Nagel auf den Kopf. Diese Platte ist das Produkt zweier Welten, zwischen denen die Sängerin sich bewegt: USA und Frankreich. Ob man die Songs als französische Chansons im Americana-Gewand betrachtet oder als amerikanischen Folk mit französischen Texten – der Charme entsteht durch den Bruch, durch das Miteinander und durch die Verschmelzung.

Es wirkt beinahe logisch, dass Dissard 39 Jahre alt werden musste, um diese Pole in musikalischen Einklang miteinander zu bringen. Zumal ihr künstlerischer Werdegang erst sehr spät in Musik mündete: Nachdem sie 1985 mit ihrer Familie von Frankreich nach Phoenix, Arizona umgezogen ist, beginnt sie 1989 ein Filmstudium in Los Angeles, wo sie im Apartment von Giant-Sand-Mastermind Howe Gelb wohnt. »Drunken Bees«, ihre erste große Dokumentation, ist dann auch ein Film über Giant Sand. Dissard bleibt in Tucson, der Heimatstadt der Band, und taucht immer tiefer ein in die Musikszene der Wüstenstadt. Dort trifft sie nicht nur den Musiker und ihren späteren Ehemann Naïm Amor, für den sie beginnt Songtexte zu schreiben, sie freundet sich auch mit Joey Burns an, Bassist bei Giant Sand und späterer Calexico-Gründer. Ihre erste Gesangsperformance liefert Dissard 1999 für den Song »Ballad Of Cable Hogue«, der sich in der Folge zu einem der größten Hits von Calexico mausert.

Es vergehen weitere Jahre, bis Joey Burns die Französin schließlich zu einem Soloalbum überredet. »Da ich keine Instrumente spiele, gab ich ihm die Texte und er schrieb die Musik. Ich hatte ihm außerdem eine CD gebrannt: zu jedem Text ein schon bestehender Song, der die ungefähre Richtung vorgeben sollte«, beschreibt Dissard den Songwriting-Prozess. »Nick Drakes ›River Man‹ war beispielsweise die Grundlage zum Text von ›Le lendemain‹, es gab aber auch Songs von Soft Machine, Nico oder Nina Simone, von denen wir ausgegangen sind.« Lediglich für die drei Songs, die Naïm Amor beisteuerte, waren derartige Referenzen nicht von Nöten: »Naïm und ich verstehen uns auf eine eher organische Weise, schließlich arbeiten wir nun schon seit 13 Jahren zusammen.«

Zwei Klangwelten verschmelzen

Bei den Aufnahmen waren neben Burns und Amor auch Ca­lexico­-Schlagzeuger John Convertino so­wie jede Menge Streicher involviert. Herausgekommen ist eine geschmackssichere Songkollektion. Dissard rezitiert ihre Texte lässig in ungebrochen französischer Tradition: deutlich artikuliert, aber un­angestrengt gesungen. Der Sound changiert zwischen Calexico-typischen Wüstenballaden, inklusive der flirrenden Tremolo-Gitarren, und modernen Chanson-Adaptionen. Am schönsten wird es, wenn die Grenzen verwischen und man einen Klang oder eine Stimmung plötzlich nicht mehr eindeutig einer Seite zuschlagen kann. Dann ist die Musik nicht mehr zwischen den Welten, sondern in beiden zu Hause.

Die Entscheidung für französische Texte ist für Dissard ohnehin eher eine persönliche denn eine musikalische gewesen: »Es war ja das erste Mal, dass ich nicht für andere, sondern für mich selbst schrieb. Ich empfand das zunächst als furchtbare Selbstentblößung. Zudem durchlebte ich damals eine sehr sorgenvolle Zeit, und die Dinge, die ich zu sagen hatte, konnte ich nur in meiner Muttersprache ausdrücken. Obwohl ich mehr als die Hälfte meines Lebens in den USA verbracht habe, ist Französisch für mich immer noch die Sprache des Herzens.« So kann sich zwar ein jeder am Klang der Worte erfreuen, dem größten Teil des Publikums bleibt die Bedeutung aber verborgen. Zum Beispiel die skurrile Geschichte von dem Paar, das sich in seinem Liebesspiel nicht stören lässt, obwohl ständig irgendwelche komischen Leute und Haustiere durchs Schlafzimmer latschen (»Les draps sourds«). Oder der tieftraurige Text von »Cayenne«, der davon handelt, jemandem, den man liebt, für immer auf Wiedersehen sagen und Glück wünschen zu müssen. Die Autorin selbst betrachtet ihre Texte als dezidiert cineastisch: »Teilweise sind sie wie Kurzfilme. Sehr konkret.«

Marianne Dissard ist davon überrascht, wie viel Spaß ihr das Singen inzwischen bereitet: »Zunächst dachte ich, Singen sei einfach eine etwas direktere Art und Weise, meine Poesie rüberzubringen. Jetzt merke ich, dass es sich dabei um eine ganz eigene Ausdrucksweise handelt, die für mich genauso wichtig geworden ist wie das Schreiben. Meine Großeltern wohnten in einem kleinen Dorf in den Pyrenäen. Gesang war dort wichtiger Bestandteil der Kultur: Die Leute sangen auf Hochzeiten, Beerdigungen, auf Festen und zum Essen, und zwar meist a cappella und im lokalen Dialekt. Bis heute findet dort jedes Jahr ein großes Chanson-Festival statt, um die Überreste einer Kultur zu bewahren, die einer Zeit vor der Tonaufnahme, dem Radio und dem Fernsehen entstammt.«
Wie schön, dass die Idee dieser Kultur ihren Weg bis nach Arizona gefunden hat, um dort das mittlerweile ehrwürdige Genre des Wüstenrock neu zu beleben.

Tonträger: »L’entredeux« (Le Pop/Groove Attack), bereits erschienen
Konzert: Sa 1.11., Wallraf-Richartz-
Museum mit Naïm Amor, 23 Uhr
Im Rahmen der Langen Nacht der Kölner Museen am 1.11.08