Echt kölsch, oder?

Das Festival Politik im Freien Theater präsentiert fünf Köln-Projekte

Die eigene Stadt im Theater zu thematisieren, ist seit einigen Jahren für viele Gruppen, Ensembles und auch etablierte Bühnen zum Programm geworden. Anstatt immer wieder den Kanon durch­zudeklinieren, werden längst ortsspezifische Räume und Themen ins Visier genommen. Festivals mit (inter)nationalem Zuschnitt tun sich da wesentlich schwerer. Auch deswegen ist die Neuerung beim Festival Politik im Freien Theater zu begrüßen: Erstmals wird es neben dem normalen Programm mit Produktionen aus dem deutschsprachigen Raum einen Schwerpunkt zur veranstaltenden Stadt geben. (Zwei­te Festival­neuerung ist ein Block mit internationalen Produktionen.)

»Made in Köln« zeigt vier Uraufführungen, die die Stadt zum Thema haben sowie eine neu kon­zipierte Stadtexpedition. Der Reiz liegt nicht nur im Köln-Bezug, sondern in der Mischung aus einheimischen und Berliner Gruppen und ihrer unterschiedlichen Wahrnehmungen der Stadt.

Unser Blick auf Städte ist geprägt vom Verhältnis zwischen Peripherie und Zentrum. Doch wer sich einmal ohne Navi und Karte im Ruhrgebiet verirrt hat, weiß, wie brüchig solche Ordnungsmuster sind. Lost in transition wäre auch eine Beschreibung für die Stadterkundung, die Boris Sieverts in den »Kölner Norden« unternimmt. »Reise in die raue Stadt« nennt er seine Unternehmung, die den Großraum Nippes als Territorium zwischen Brache, Zoo, Wendehammer, Industrie­fläche, Einfamilienhaus und Garagenhof erwandert. »Die wilden Peripherien der großen Städte sind eines der letzten großen Abenteuer«, sagt Sieverts.

Schnitzeljagd durch die Stadt

Einen Ausflug ganz anderer Art unternimmt dagegen die Berliner Gruppe Matthaei & Konsor­ten. Sie geht den Wanderbewegungen eines individuellen Lebens im Kölner Stadtraum nach. »Kurz nachdem ich tot war« ist eine urbane Feldforschung an unspek­ta­kulären Orten wie privaten Woh­nungen, Arbeitsstellen oder Straßenkreuzungen. Der Zuschauer wird auf eine dreistündige Schnitzeljagd durch die Stadt geschickt, deren Stationen sich allmählich zu einer Biografie von den 30er Jahren bis heute zusammenschließen. Ob dieses Leben jemals so gelebt worden ist oder ob es sich um einen kölschen Avatar handelt, bleibt dabei zweitrangig. »Echt!« lautet denn auch das diesjährige Festivalmotto, das für eine Stadt, die fast ausschließlich aus Zugereisten besteht, kaum besser erdacht sein könnte.

Die Fragen nach Authentizität und dem Dokumentarischen auf der Bühne haben in den letzten Jahre die freie Theaterszene immer wieder angetrieben. Ob bei den Texten, den Akteuren oder den Räumen, überall wurden Zweifel am Fiktionalen laut. Das Duo Hofmann & Lindholm arbeitet seit 1999 mit sogenannten Alltags­komplizen (Nicht-Schauspielern) und untersucht in seinen Stücken soziale Strukturen nach Spielräumen für Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheit. Doch so strikt sachlich der Ton in ihren Performances sein mochte, letztlich blieb immer ungeklärt, ob hier Wirklichkeit fiktionalisiert oder nicht eher Erfundenes authenti­fi­ziert wird. In ihrer »Serie Deutschland. Etappe Köln-Bonn« spüren sie diesem Verhältnis auf ganz andere Weise nach. Unser kollektives historisches Bewusstsein orientiert sich bekanntlich an offiziell zertifizierten Bildern der Geschichte: Kennedys Rede in Berlin, Brandts Kniefall in Warschau, Kohls Händchenhalten mit Mitterand in Verdun. Hofmann & Lindholm haben aus dem Bildfundus der politischen Geschichte im Rheinland nach 1945 Beispiele ausgewählt und stellen sie mit Bonner und Kölner Bürgern nach: Sie fragen nach den Bedingungen und der Ikonografie, die unser Geschichtsbild bestimmen.

Partizipation ist auch das Stich­wort der Gruppe Drama Köln. Sie schickt ein goldenes Wunschmobil auf Tour durch die Stadt und lässt es vor zig Orten, Ein­kaufszentren, Schulen, Wo­chen­märkten, Bordellen eine Wei­le halten. Die Anwohner können im Mobil schriftlich »LauteR Kölner Wünsche« hinterlegen. Damit diese Wünsche nicht die Nervenbahnen vergesslicher Politiker blockieren oder im Nirvana muffiger Ortsvereine verkümmern, werden sie anschließend von ei­nem Autorenteam zu Reden an die Öffentlichkeit umgeschrieben. Diese Texte sollen dann in Zeitungen abgedruckt und in mehreren Aktionen im Stadtraum verkündet werden (Regie: Philine Velhagen). Laut werden, Stimme geben ist das Motto. Darin liegt eine große Herausforderung, muss man sich den Kölner doch als wunschlos glücklichen Menschen vorstellen. Das rheinische Toleranzverdikt sorgt dafür.

So kann es auch sein, dass die Kölner die Anwesenheit der Grup­pe One-Hit-Wonder noch nicht be­merkt haben. Deren Credo lautet, dass »das Theater nur in das tatsächliche Leben eingreifen kann, wenn es auch dort stattfindet«. Und es findet bereits statt. One-Hit-Wonder sind in der Stadt, treten auch schon auf und präsentieren sich in der Öffentlichkeit – nur nicht unter ihrem Namen, auch nicht als Theatergruppe. Ihr Gig »Rockplastik XXL« am 23.11. in der Live Music Hall ist dann nur noch der Schlusspunkt, nicht nur unter ihre sechswöchige Aktion, sondern auch des Festivals.


Der Kölner Norden / Boris Sieverts – Büro für Städtereisen, 15., 16., 22.11., jeweils 9-19 Uhr
(Anmeldung: 0171/416 05 72)

Kurz nachdem ich tot war / Matthaei & Konsorten, Treffpunkt Hallmackenreu­ther, 14., 18., 19., 21.11 ab 18 Uhr, 15., 16., 22., 23.11 ab 14 Uhr (Anmeldung: 951 590-23)

Serie Deutschland / Hofmann & Lindholm, Untergrund in der Maastrichter Str. 49, 14.11 ab 19 Uhr, 15.-23.11, 15-21 Uhr

Lauter Kölner Wünsche / Drama Köln, öffentlicher Raum, während des gesamten Festivals

Rockplastik XXL / One Hit Wonder, Live Music Hall, 23.11. 19.30 Uhr. Tickets: 0221/2801

Alle anderen Termine des Festivals: siehe Tageskalender.