Teilt nicht nur Hostien aus: Kardinal Meisner bei der Arbeit

Gehorsam geht’s voran

Für Papst Johannes Paul II. stand von Anfang an fest, wer neuer Erzbischof von Köln werden sollte. Die Wahl des Erzbischofs durch das Kölner Domkapitel wurde damit zur Farce. Erst gab es keine Mehrheit für einen Kandidaten, dann brauchte es die Unterstützung der deutschen Politik, dass mit einer neuen Wahlordnung überhaupt weiter gewählt werden konnte. Und nach einigen Interventionen des Vatikans fiel die Wahl dann auch nach den Wünschen des Papstes aus. Kardinal Joachim Meisner wurde am 20. Dezember 1988 zum Erzbischof von Köln ernannt.

Doch die deutschen Katholiken waren darüber aufgewühlt, wie der Vatikan seine Vorstellungen gegen die Ortskirche durchgedrückt hatte. Den neuen Erzbischof focht das nicht an: Was zwischen Domkapitel, Landesregierungen und Heiligem Stuhl gelaufen sei, interessiere ihn nicht, erklärte Meisner der Öffentlichkeit. Entscheidend sei für ihn die Ernennung durch den Papst. Und dem habe er Gehorsam zu leisten. Obwohl auch er lieber in Berlin geblieben wäre, wo er vorher Bischof war. Und da der neue Mann in Köln auch gerne Anekdoten aus Rom erzählt, ließ er das Publikum an seiner Unterhaltung mit dem Papst teilhaben: »Ich habe mit dem Heiligen Vater so gesprochen, wie Sie sich das nicht vorstellen können, und habe gesagt: Heiliger Vater, ich will alles sagen dürfen, was ich denke, aber dann tue ich auch alles, was Sie sagen.«

Markige Worte und frischer Stoff für die Stunksitzung

In Kardinal Meisners Kirchenbild sind die entscheidenden Figuren der Papst, die Bischöfe und die Priester, wobei die Unteren den Oberen eben diesen Gehorsam entgegenzubringen haben. Das restliche Kirchenvolk hat natürlich auch folgsam zu sein, nur kann man das leider von ihnen nicht einfordern, es sei denn sie sind Angestellte des Erzbistums. Dann hat der Bischof über das kirchliche Arbeitsrecht Sanktionsmöglichkeiten.

Den anderen redet der Kardinal mit markigen Worten immer wieder ins Gewissen. Es drängt ihn zu warnen, und weil er sich dabei für einen begnadeten Redner hält, hat er wohl nicht mehr viele um sich herum, die ihm vorher die NS-Vergleiche aus dem Manuskript redigieren. Das gibt immer wieder frischen Stoff für die Stunksitzung, wo die, die mit der Kirche nichts am Hut haben, einmal mehr belustigt den Kopf schütteln. Und die, denen die Kirche wichtig und der Kardinal peinlich ist, können einmal im Jahr befreit lachen. Ändern tut das freilich nichts.

Der Kardinal sieht sich verantwortlich für sein Erzbistum und dabei zuförderst für die Priester. Diese Alleinzuständigkeit als »oberster Lehrer« seiner Diözese schmeichelt vermutlich seinem Narzissmus – und macht ihm vielleicht auch Angst: Denn es gibt zu wenige Priester, und die, die es gibt, tun nicht immer das, was Meisner für richtig hält. Freilich gibt es unter den Priestern diejenigen, die bereitwillig und tief gläubig die Verantwortung für ihr Leben an den Bischof delegieren. Das sind – kein gutes Zeichen für die Zukunft – eher die jüngeren als die älteren Priester.

Das Prinzip der »vorauseilenden Angst«

Aber es gibt auch diejenigen, denen ihr Kardinal ebenso peinlich ist wie vielen anderen Katholiken. Die müssen im Zaum gehalten werden: Fast jeder Priester kann Geschichten erzählen von sich selbst oder Kollegen, die mal bei Meisner antanzen mussten und von ihm wenig freundlich angewiesen wurden, dieses zu unterlassen oder jenes zu tun. So regiert in vielen katholischen Gemeinden – wie es ein Priester mal genannt hat – die »vorauseilende Angst«. Besser nichts tun, was im Kölner Generalvikariat auf Missfallen stoßen könnte. Viele Priester und Bistumsangestellte richten sich in ihrer kleinen kirchlichen Nische ein und lassen den Kardinal einen guten Mann sein – fälschlicherweise hält man das im Rheinland manchmal schon für Widerstand. Außerdem blicken viele gespannt auf den 25. Dezember, dem Tag an dem der Erzbischof seinen 75. Geburtstag feiert und laut Kirchenrecht in Rom seinen Rücktritt anbieten muss. Freilich aber kann Papst Benedikt dem Kardinal auch eine Verlängerung gewähren.

So steht nach zwanzig Jahren Meisner in Köln die Erfahrung, dass der Gehorsam, den die Kirchenoberen einfordern, zwar von der Mehrheit souverän missachtet wird, aber nicht von den entscheidenden Akteuren im kirchlichen System. Anders gesagt: Köln kann offensichtlich einen Kongress von Rechtsradikalen verhindern, aber keinen Kardinal Meisner. Das kann nur den neuen Papst ermutigen: Der bekommt auch beim nächsten Mal seinen Kandidaten durch.




Der WDR sendet ein einstündiges Radio­feature von Christoph Fleischmann:
»M – eine Kirche hat einen Bischof.
Kardinal Joachim Meisner und das
Erzbistum Köln« am 21. Dezember um 11.05 Uhr und am 22. Dezember um 20.05 Uhr auf WDR 5.