Vom Lokalmatador zum Existenzkämpfer

Glatter, heller, größer: Verrucht ist die Fitnessbranche schon lange nicht mehr. Horst Brinkmeier, einer ihrer Pioniere, war es noch nie. Dennoch scheint die Zeit über die Box- und Fitness-Ikone hinwegzugehen.

Sieben – Acht – Neun: Würde Horst Brinkmeier noch boxen, dann wäre er angezählt. Schwer angezählt, wie es im Box-Jargon heißt, wenn der Fighter am Boden liegt und der Ringrichter ihm nur noch wenige Sekunden Gnadenfrist bis zum Abwinken lässt. Brinkmeier, der fünfmalige deutsche Meister im Weltergewicht, der in 112 Amateur- und 41 Profiboxkämpfen nie k.o. gegangen ist, steht nun, mit 59 Jahren, kurz vor dem (beruflichen) Aus.
Fast 30 Jahre lang hat er, gemeinsam mit Ehefrau Inge, (»die Liebe meines Lebens«) die Kölner »Fit-getrimmt«. Erst in der Brüsseler und dann in der Aachener Strasse, wo die Brinkmeiers seit 16 Jahren residieren. Als noch keiner wusste, was ein Waschbrettbauch ist, trug er den seinen schon im Stadionbad spazieren. Es liegt sicher nicht nur an Brinkmeier, dass der Rheinländer Mut zu »Muckis« zeigt, doch seinen Anteil daran hat er allemal. Neben Box-Profis war es vor allen Dingen die Prominenz, die sich im »Sport-Fitness und Freizeitpark« an Hanteln und Kardiogeräten stählte. Verona, Dieter, »der Arnold«, »der Tiger«, der Henry, alle kamen, und selbst der Oberbürgermeister (Norbert Burger) war da. Mancher blieb zwar nur ein Pressefoto lang, doch Brinkmeier, dem man immer einen gesunden Geschäftssinn nachgesagt hat, störte das nicht. »Ich musste die Prominenz nie bezahlen!« Zu Brinkmeier kam man freiwillig: »Ich war der Champ!« Sogar zu einem Eintrag in Nat Fleischers Box-Bibel »The Ring« hat er es gebracht.

Multikulturelle Fitness auf 300 m²

Doch seit ein paar Wochen ist Brinkmeier nicht mehr der Herr im Haus. Nachdem er die Miete des 1.200 Quadratmeter großen Ladenlokals nicht mehr bezahlen konnte, wurde ihm gekündigt. Der neue Mieter der Räumlichkeiten (»Muskelkater«) überlässt ihm ein Notquartier im Hinterhaus, sowie den Box-Keller – aber nur noch bis zum 15. Mai. War es im alten Laden bereits beengt, so ist der Platzmangel nunmehr so groß, dass sich Brinkmeier von einem Teil der Fitnessgeräte trennen muss. Das ausgemusterte Inventar wartet im Hinterhof auf neue Besitzer oder die Rettung. Doch weil beide nicht kommen, rosten die einst teuren Geräte vor sich hin.
Der 300 Quadratmeter große Fitness-Raum ist allabendlich gut besucht, das multikulturelle Publikum wirkt austrainiert. Bizeps an Bizeps werden laut schnaufend die Gewichte gestemmt. Die 40 Trimm-Dich-Geräte sind voll besetzt. Man fragt sich, wie ein derart florierendes Geschäft in Geldnöte kommen kann.
»Mir war schon seit Jahren klar, dass der Laden nicht profitabel zu betreiben ist«, sagt Brinkmeier, »dafür war die nutzbare Fläche eigentlich immer zu klein«. Um Gewinn zu machen, reichten die 1.000 Mitglieder nicht aus, und mehr Leute konnte er wegen des Platzmangels nicht aufnehmen. Eine teuflische Spirale, der sich Brinkmeier jedoch nicht entziehen konnte, weil er alles, was er besaß, in den Laden gesteckt hatte. Selbst die Lebensversicherung hat er beliehen. Die Schulden schob er, solange es ging, vor sich her. Trotzdem hat er dabei immer den gut gelaunten Entertainer gemimt. »Boxen ist wie Pokern«, hat Brinkmeier erkannt, »wenn der Gegner merkt, was mit dir los ist, bist du verloren.« Sogar beim »Box-Kampf des Jahrhunderts«, zwischen Stefan Raab und Regina Halmich, hat Brinkmeier mitgewirkt: als Ringrichter. Aufgeben will er auch jetzt noch nicht (»no fight – no money!«) und sucht 1.000 Quadratmeter »repräsentative« Trainingsfläche.

Werdegang der »Kölner Box-Ikone«

»Mit dem Boxen hab’ ich angefangen, um mich gegen die Prügel des Vaters zu wehren«, erzählt Brinkmeier, der als Sohn eines Deutschen (»der war Ausbilder bei den Nazis«) und einer österreichischen Mutter in Stockerau, in der niederösterreichischen Provinz, aufgewachsen ist. Später zog die Familie ins Ruhrgebiet, wo der junge Horst beim Boxring 28, Recklinghausen Süd, lernte, was ein Faustkämpfer können muss. 1964 erkämpfte er in Tunis die Bronze-Medaille bei der Militär-Weltmeisterschaft im Halbweltergewicht. Dann ging er nach Österreich zurück, wo er beim Amateurboxen alles gewann, was es zu gewinnen gab. Hatte er mal verloren, dann lag es an den korrupten Box-Funktionären, »die für einen Urlaub am Plattensee die Oma verkauften.« 1967 ist er dann Profi geworden und Peter Müller (»Müllers Aap«) hat ihn nach Köln geholt.
Mitte der 60er Jahre in der großen Zeit des Profi-Boxsports war Köln, neben Hamburg, die deutsche Box-Hochburg. Beim legendären Kampf zwischen Peter Müller und Jupp Elze im Müngersdorfer Stadion, vor 25.000 begeisterten Fans, schlug Elze »Müllers Aap« in der zweiten Runde k.o. und wurde dadurch zum Lokalmatador. Auch Brinkmeier sollte gegen Elze ran, doch dazu kam es nicht mehr. Am 20. Juni 1968, beim Europameisterschaftskampf gegen den Italiener Carlos Duran in der ausverkauften Sporthalle, brach der 28-jährige Elze, vollgepumpt mit Amphetaminen, nach einem Treffer am Hinterkopf in der 15. Runde mit einer Gehirnblutung zusammen und starb nach acht Tagen Koma im Krankenhaus.
»Wir haben mit Sechs-Unzen Handschuhen geboxt«, – die sind heute verboten – »deshalb hatten die Schläge mehr Punch und die Kämpfe waren blutiger«. Würde man heute noch so kämpfen, hätte es das Boxen wohl nie ins Hauptabendprogramm des Fernsehens geschafft. Damals war es so ganz nach dem Geschmack des Publikums: »Die Leute, die zum Boxen gingen, wollten das k.o.« Und Brinkmeier, der nach Elzes Tod in Jean Lörings Boxstaffel zum Hauptkämpfer aufstieg, hat die Vorlieben des Publikums immer bedient. Er hetzte zwar, weil flink auf den Beinen (»ich bin noch heute ein sehr guter Tänzer«), die Gegner durch den Ring, doch ging er keinem Gefecht aus dem Weg. Brinkmeier war ein Wühler, klammern gab’s bei ihm nicht. Die breitgeschlagene Nase und die vernarbten Augenbrauen (»ich hab’ ein paar üble Kopfstöße kassiert«) verraten noch heute, dass er nicht nur ausgeteilt, sondern auch eingesteckt hat. »Kampfmaus« haben sie ihn liebevoll tituliert: Brinkmeier ist für sein Kampfgewicht (67 kg) eher klein (1.70 m).
Schnell wurde Horst vom Kölner Publikum adoptiert, heute weiß kaum noch jemand, dass er eigentlich ein »Immi« ist. Für viele ist er sogar »Kölsches Urgestein« – »Kölner Box-Ikone« wird er genannt. Brinkmeier fühlte sich in der neuen Heimatstadt sofort wohl. Das »südländische Flair« hat es ihm angetan, und dass der Kölner Autoritäten nicht mag: »Ich war immer Rebell.« Dazu komme noch die Fremdenfreundlichkeit: »Wer’s in Köln nicht schafft, hat es wahrscheinlich überall schwer!«
Brinkmeier hatte es leicht: Als Lokalmatador verdiente er zwischen 3.000 und 5.000 Mark pro Kampf. Die Rahmenkämpfer, Brinkmeier nennt sie mitleidvoll »Existenzkämpfer«, haben hingegen nur 300 Mark für ihren Einsatz kassiert. Wer aufgab, der bekam gar nichts. Trotz des geringen Entgelts gab es damals mehr Boxer als jetzt. »Wir hatten zirka 20 Boxveranstaltungen im Monat, heute gibt es keine 20 im Jahr.« Brinkmeier versucht’s zu erklären: »Die heutige Jugend ist nicht mehr so aggressiv, wesentlich friedliebender als wir.« Für ihn liegt das an der antiautoritären Erziehung. Horst, der stolze Vater eines Sohnes (»er arbeitet in der Internet-Branche«), findet das gut: »Ich hätt’ in der Jugend auch lieber Schokolade statt Prügel gekriegt!«

Im Sog des »Maske-Booms«

Brinkmeiers Herz hängt noch immer am Boxen, aber was er vermisst, sind Boxer mit Herz. Den Box-Stil aus der alten DDR-Schule, der im Moment die deutsche Ringlandschaft dominiert, mag er nicht. »Zu viel Strategie« – »Da fehlt das Überraschungsmoment« – »Kein Infight, nur Klammern«. Von den Boxern, die heute in Deutschland aktiv sind, gefällt ihm eigentlich nur der Dariusz (Michalczewski). Doch der hat es schwer beim Publikum, »weil er Pole ist« und »weil ihm die Sache mit Rocky immer noch anhängt«. Rocky findet er super. Doch der boxt ja nicht mehr. Und Maske. Der Henry. Der ist ein Freund. War zwar auch nicht unbedingt Brinkmeiers (Box-)Stil, den der Henry populär gemacht hat. Aber er hatte Charisma. Und dem Horst hat er zum 50. Geburtstag gratuliert – ein paar Tage nachdem er Weltmeister wurde.
Außerdem hat Brinkmeier vom Box-Boom, den Henry Maske in Deutschland auslöste, profitiert. Wurde in der »Vor-Maske-Zeit« das Boxen fast ausschließlich mit der Unterwelt assoziiert, (»Nicht alle Boxer sind Gangster, aber alle Gangster sitzen am Ring«) so prügelten plötzlich auch die besseren Herren (und Damen) auf Sandsäcke und Gegner ein. Brinkmeier förderte diesen Trend und bietet seit ein paar Jahren »Manager-Boxkurse« an.

Sammeln für Horst

Immer freitags um 19.30 Uhr trainiert im Box-Keller der »Freundeskreis« – eine gemischte Gruppe von bis zu 20 Frauen und Männern, im Alter von zwölf bis 58. Dort, wo sich Weltklasse-Boxer wie die Klitschkos auf ihre Kämpfe vorbereiten, im 80 Quadratmeter kleinen Raum, der exakt so aussieht wie das klassische Box-Gym in einem Hollywoodfilm, dort, wo der Schweiß von Tausenden Trainingseinheiten die stickige Luft durchdringt, geht in Brinkmeier eine sichtbare Wandlung vor. Eben noch, im tristen Büro, zwischen Hunderten von Fotos, die eine glanzvolle Vergangenheit beschwören, hat er müde über die Wirrungen des Schicksals sinniert, das ihn nun, im gesetzten Alter, noch zum »Existenzkämpfer« werden ließ. Doch kaum steht er auf den Matten, die für ihn die Welt bedeuten, bewegt er sich leichtfüßig und elegant, genau in der Art, die man hat – oder nicht. Jetzt ist er auch wieder der charmante Horst, der seine Schützlinge mit lockeren Sprüchen aber unnachgiebig in Bewegung hält. »Boxen ist das Fitness-Training schlechthin. Da wird jeder Muskel im Körper beansprucht und die Verkrampfung gelöst.«
Nur beim Sparring macht er nicht mit. Weil Horst immer noch über einen satten Punch verfügt und seine Kundschaft nicht ausknocken will. Konzentriert beobachtet er seine Schützlinge und spart nicht mit Lob, wenn eine Schlagkombination gelingt. Die Stammkunden, unter anderen die »Marienhof«-Darstellerin Caro Gralla und der WDR-Mann Felix Kuballa sind sich einig, dass man Brinkmeier helfen muss. Kuballa: »So eine Box-Gruppe gibt es sonst nirgendwo. Und der Horst ist ein grundehrlicher Typ, der immer gerade seinen Weg gegangen ist.«
Mag sein, dass ein Typ wie Horst anachronistisch wirkt in Zeiten, in denen man in stromlinienförmigen Fitness-Studios transpiriert, doch nicht schwitzt, und selbst der Box-Sport anämisch wirkt – den Anwesenden gefällt genau das. Deshalb hat man zusammengelegt und bürgt für 50.000 Euro, die Brinkmeier dringend braucht, um einen Neuanfang zu starten. Es sah schon so aus, als hätte er in Braunsfeld geeignete Räume gefunden, doch in letzter Minute zerschlug sich die Chance. Nun ist er zunehmend verzweifelt auf der Suche nach Sponsoren und einem Raum.
»Ich muss was tun, und schließlich hab’ ich ja auch Einzelhandelskaufmann gelernt«, sagt Horst zum Abschied und knipst die Lichter im (Box-)Keller aus, »falls ich bis Mai nichts finde ...«