Foto: Manfred Wegener

Hey, Mister DJ

Für seine Elektronikmusik-Szene ist Köln berühmt. Labels wie Kompakt und Partyreihen wie Total Confusion gelten als Institutionen. DOch die etablierten Protagonisten werden nicht jünger - der Vorwurf des Stillstands und der Selbstzufriedenheit steht im Raum. Kündigt sich die Wachablösung an durch hungrigen DJ-Nachwuchs, der den Sound der Stadt mit neuen Ansätzen lebendig hält. Wir haben uns in der Kölner DJ-Szene umgesehen und lassen in der aktuellen Ausgabe mit Hans Nieswandt und David Hasert einen alten Hasen und einen echten Jungspund zu Wort kommen. Zudem hatt unser ureigener Club-Experte Konrad Feuerstein die vermeintlich konkurrierenden Szenen angeschaut und kommt zu dem Schluss: Ob Minimal, Indietronic oder eine Fusion von beidem - gute Musik lebt nun mal von guten musikalischen Ideen.

 

Die hiesige Clubkultur, Abteilung Elektronik, ist verschrien als behäbig und selbstgefällig: Man schmore seit Jahren im eigenen Saft, der »Minimal« heißt und seine große Zeit längst hinter sich habe.

In den letzten zwei Jahren allerdings hat sich äußerst erfolgreich eine neue Schule elektronischer Musik im hiesigen Nachtleben breit gemacht und mit ihr eine neue Generation von Veranstaltern, DJs und Partygängern: »Indietronic« – im Laufe der kurzen Zeit auch schon als Electroclash, Neo-Wave, Disco-Punk, New Rave oder French-House-der-dritten-Generation bekannt – bewegt die Feierhorden.

Die überzüchteten, Steroid-mutierten Beats von Justice, Digitalism und CSS sind auf Second Floors von Indie-Rock-Partys ebenso zu hören wie von der Großraum-DJ-Kanzel professionell crazygehender Ultra-Hedonisten. Aber fast nie im Kontext klassischer Techno-Partys! Ist der Generationenkonflikt schon da? Sind die Avantgardisten von gestern die Konservativen von heute?

Indietronic ist international

Der offensichtlichste Unterschied zwischen den beiden Generationen im Hinblick auf die Clubszene ist folgender: Minimal-Techno wurde in Köln miterfunden und vorangetrieben, mitsamt dem entsprechenden Boom an Kölner Produzenten und Labels. Noch heute ist unsere Stadt – allen voran Kompakt und seine Unterlabels – weltweit bekannt für diese Musik.

Indietronic dagegen ist ein internationaler Trend, der sich bei der MySpace-Generation schnell verbreitet hat und – anders als viele andere clubkulturelle Trends der letzten Jahre – eben auch im selbstzufriedenen Köln voll angekommen ist. Allerdings nur im Nachtleben, nicht bei den Produzenten. Anders herum: Für junge Leute, die diese Musik machen, ist unsere Minimal-Metropole kaum Anlaufstelle.

Gemeinsames Potenzial zur Abstraktion

Dabei gibt es durchaus Parallelen zwischen den Schulen: Beide besitzen ein Potenzial zur Abstraktion, zur Emanzipation des Geräuschs vom Diktat der Melodie und Harmonie. Natürlich nur, solange der Groove stimmt, schließlich sprechen wir von Tanzmusik. Im Falle von Minimal-Techno liegt dieses Potenzial in Reduktion und Verfeinerung, im Falle von indietronischem Gehüpfe in Lärm und Überzeichnung.

Und beide Genres haben längst ihre Methoden gefunden, einer drohenden Feuilletonisierung entgegen zu wirken: Im Minimal-Kontext haben die Produzenten in den letzten Jahren ausgerechnet Trance wiederentdeckt (für den Minimal-Techno noch Ende der 90er Jahre ein prima Gegengift war) und angefangen, entsprechend großraumiger, verhallter zu produzieren.

Im indietronischen Camp um das Pariser Label Ed Banger sind inzwischen 80er-Metal-Gepose ebenso wie Früh-90er-Kirmestechno-Fanfaren erlaubt, wenn auch mit ironischem Augenzwinkern (die Popgeschichte hat allerdings gezeigt, wie schnell sich die Ironie solcher Populismen verflüchtigt). Im noch schlimmeren Fall ist Indielectro in seinem Clubhit-Zwang ganz unironisch so breitreifig-sportiv wie Big Beat und so vorhersehbar wie Crossover-Metal Mitte der 90er Jahre. Wenn auch mit mehr Disco-Glam und entsprechend weniger Männlichkeits-Gebaren.

Kurz: Beide Musiken sind grundsätzlich für den Underground satisfaktionsfähig, zugleich aber Mainstream-Proll-kompatibel. Abstrakte Musik trifft konkretes Publikum.

Abgrenzungsbedürfnis nach wie vor groß

So viele Parallelen, und trotzdem immer noch dieses Abgrenzungsbedürfnis: Minimal ist langweilig und humorlos, sagen die einen. Indietronic ist oberflächlich, sagen die anderen. Das klingt ja alles gleich, sagen sowieso immer alle.

Ein Hinweis zur Güte an DJs und Veranstalter: In beiden Fällen macht die Dosis das Gift. Glücklicherweise hat sich herausgestellt, dass man knackigere Minimal-Platten und nicht ganz so dick aufgetragene Indielectro-Tracks ganz prima kombinieren kann.

Einige Kölner Szene-Funktionäre propagieren schon den Brückenschlag (siehe das Protokoll von David Hasert). Und die anderen: Bitte locker machen und nicht vergessen, dass gute Musik von gu­ten musikalischen Ideen lebt. Die es zum Glück überall geben kann.