»Es ist Ihr Geld!«

Der Stadt Köln ginge es heute sicherlich besser, wenn Verwaltung und Politik häufiger auf die Bürger gehört hätten; dafür ist nicht nur die Müllverbrennungsanlage ein Beleg. Sechs nordrhein-westfälische Kommunen wollen jetzt alles anders machen. Sie beteiligen sich am Modellprojekt »Kommunaler Bürgerhaushalt«. Anneke Wardenbach über die zaghaften Anfänge eines vielverspechenden Vorhabens.

Zwei Männer lehnen am Tresen, irgendwo in Castrop-Rauxel im östlichen Ruhrgebiet. Sie trinken Bier und schimpfen über die Steuern. Stammtischsprüche, bis einer plötzlich seinen Bierdeckel umdreht, verstummt und dann staunt: »Du, guck mal, wie viel die Friedhöfe kosten!« Eine flotte Grafik und ein paar Zeilen erklären, wie viel die Stadt jedes Jahr für die Pflege ihrer Friedhofsanlagen ausgibt. Die Finanzen der Stadt auf bierfeuchten Pappdeckeln in der Kneipe? Noch ist es nicht so weit, aber im Rathaus wird ernsthaft darüber nachgedacht. Castrop-Rauxel ist eine von sechs nordrhein-westfälischen Kommunen, die am Projekt »Kommunaler Bürgerhaushalt« teilnehmen. Seit 15 Monaten suchen die Projektstädte nach Wegen, ihren Umgang mit dem Geld durchsichtiger zu gestalten. Die Bürger sollen mitmachen, gemeinsam mit der Stadt Ziele entwickeln und mitbestimmen, wieviel wofür ausgegeben wird.
Keine leichte Sache, zumal die Finanznot den Lokalpolitikern kaum Spielraum lässt. Fast die Hälfte der 396 Kommunen in NRW steckt tief in den roten Zahlen und muss mit einem Haushaltssicherungskonzept leben. Noch ein Grund mehr, die Idee des Bürgerhaushalts voranzutreiben, findet Mitinitiator und Projektleiter Oliver Haubner von der Bertelsmann-Stiftung. »Das rettet zwar nicht den städtischen Haushalt, aber in Zeiten allzu knapper Mittel sollte man die Bürger erst recht mit einbeziehen, um Prioritäten zu setzen!«

Bürgerbeteiligung im dreistufigen Verfahren

Die Gemeindeordnung schreibt eigentlich ohnehin vor, die wichtigsten Entscheidungen mit den Bürgern zu erörtern. Deswegen legen die Finanzexperten ihre Haushaltsentwürfe auch brav öffentlich aus, bevor der Rat der Stadt definitiv darüber abstimmt. In der Praxis ein folgenloses Ritual, kaum ein Bürger nimmt sich die Zeit, die komplizierten Finanzpläne zu kritisieren oder wenigstens zu verstehen. Die Bertelsmann-Stiftung und das nordrhein-westfälische Innenministerium versuchen das mit dem Projekt »Kommunaler Bürgerhaushalt« zu ändern. Im November 2000 wurden unter etwa zwei Dutzend Bewerbern sieben Projektkommunen ausgewählt. Nicht mehr dabei ist die Stadt Bergheim, die die Haushaltsplanung mit dem Agendaprozess verknüpfen wollte. Doch die Personaldecke war letztlich zu dünn, um die durch das Projekt entstehende Mehrarbeit aufzufangen.
Wie die Kommen ihre Bürger besser in ihre lokale Geldpolitik mit einbeziehen, ist offen. Sie sollen neue Wege finden und in der Praxis ausprobieren. Nur das dreistufige Verfahren ist festgelegt: Der erste Baustein heißt »Information über den Haushalt«. Ist es erst einmal gelungen, die Bürger für die Finanzen ihrer Stadt zu interessieren, sollen sie beteiligt werden, ihre Meinung sagen können und konkrete Vorschläge abgeben. Anschließend legt der Rat Rechenschaft ab und muss erklären, warum er welche Ideen der Bürger aufgenommen oder abgeschmettert hat.
Bisher haben es nur die Emsdettener bis zu diesem dritten Baustein geschafft, sie erwarten in diesen Tagen eine Erklärung. Bürger hatten vorgeschlagen, die VHS, die Musikschule und die Kolpingfamilie in zwei leer stehenden Gebäuden der Stadt unterzubringen. Der Rat hat diesen Vorschlag später abgelehnt und Geld für nur ein Haus bereitgestellt. Jetzt bekommen die 143 Emsdettener, die auf der Bürgerversammlung mitentschieden hatten, Post nach Hause und werden genau über die Gründe der Ratsentscheidung informiert. »Der Rücklauf ist sehr gut«, freut sich Projektkoordinatorin Jutta Schriewer, »wir hatten 2.000 Einwohner per Zufallsprinzip zu der Versammlung eingeladen und rund acht Prozent sind gekommen.« Acht Prozent, das scheint wenig. Im Vergleich zu der zuvor herrschenden nahezu absoluten Funkstille zwischen Stadt und Bürgern ist es aber recht viel. Dennoch bleibt Schriewer kritisch: »Es ist sehr aufwändig und personalintensiv, ob sich so etwas durchsetzen kann, wird sich erst noch zeigen müssen.« Sie hofft darauf, dass Routine auf beiden Seiten – bei Stadt und Bürgern – solche Prozesse vereinfacht.

Finanz-Nachhilfe an Volkshochschulen

Überhaupt Interesse für den Haushalt zu wecken, stellte sich als die schwerste Aufgabe heraus. Wie kann man das komplizierte Rechenwerk den Menschen verständlich machen, die keine Finanzexperten sind? Die Ansätze sind sehr unterschiedlich. Castrop-Rauxel veröffentlichte einen Fragebogen im Internet und als Broschüre. Mitarbeiter der Stadt Hilden holten die Bürger dort ab, wo sie sich sowieso versammeln, zum Beispiel in kurzen Treffen nach dem Gottesdienst oder in Vereinen. Andere Gemeinden luden zu Diskussionsforen ein und verteilten Informationshefte auf dem Wochenmarkt. In Hamm hielt der Stadtkämmerer sogar Kurse an der Volkshochschule. Er erläuterte den Haushalt 2002 mit der Gebührenbelastung (»die Restmülltonne wird teurer, der Rest bleibt konstant«), der Verschuldung und den wichtigsten Investitionen.
In Hamm können sich die Bürger allerdings erst für 2003 an der Verteilung der Mittel beteiligen: Die Stadt legt ihren Haushalt im zwei-Jahres-Rhythmus fest. Damit viele von der neuen Möglichkeit Gebrauch machen, wurden 50.000 Broschüren gedruckt und unter anderem mit der Samstagszeitung an die Haushalte verteilt. Darin legt die Stadt ihre Karten auf den Tisch, zumindest für Schwerpunktthemen: Wie viel nimmt die VHS ein? Was kosten die Grünflächen und die Kindertagesstätten? Vergleiche mit anderen Städten und eine Beschreibung der Haushaltslage in einfachen Worten runden die Broschüre ab.
Bislang ist alles vorwiegend Öffentlichkeitsarbeit. Doch dabei soll es nicht bleiben. Das Projekt Bürgerhaushalt hat mit dem Innenministerium einen mächtigen Paten. Falls die Kommunen wirksame Wege finden, denen die Gemeindeordnung widerspricht, so soll diese unter Umständen entsprechend geprüft und verbessert werden. Das Innenministerium als letzte gesetzgeberische Instanz will damit garantieren, dass neue Ideen nicht an alten Regelwerken scheitern.
Der Bürger soll nicht mehr das Gefühl haben, die Verwaltung mache aus den Finanzen ein Geheimbuch. »Für mich ist es etwas völlig Neues, diese Öffentlichkeitsarbeit, das schärft den Blick und ändert auch das Selbstverständnis«, sagt Regina Heimann, Sachbearbeiterin in der Finanz- und Haushaltsabteilung der Stadt Hamm und Projektbeauftragte. »Natürlich müssen wir nach wie vor unsere Rechenaufgaben erledigen, aber jetzt wird aus der Expertensache wieder einfach ›nur‹ Geld – und zwar das der Bürger!«

Haushaltsausschuss in der zehnten Klasse

Schwierige Finanzfragen lassen sich aber auch fast spielerisch erledigen, das bewies eine zehnte Klasse am Weser-Gymnasium in Vlotho. Dort haben die Schüler im Politik- und Informatikunterricht untersucht, wie zum Beispiel die Jugendarbeit effektiver gestaltet werden könnte, oder wo an den weiterführenden Schulen Geld zu sparen ist. Mit Power-Point-Präsentationen stellten sie ihre Ergebnisse zu Beginn der Haushaltssitzung des Haupt- und Finanzausschusses der Stadt Vlotho vor und beeindruckten nachhaltig.
Schüler beschäftigen sich mit Haushaltspolitik: das ist eins der Zwischenergebnisse des Projektes »kommunaler Bürgerhaushalt«. Bis zum Sommer 2003 soll es abgeschlossen sein, dann werden die teilnehmenden Kommunen ihre Erfahrungen in einem Bericht veröffentlichen und anderen Städten und Gemeinden zugänglich machen. Oliver Haubner ist zufrieden mit dem bisherigen Verlauf in NRW. Bislang galt die neuseeländische Stadt Christchurch weltweit als Vorbild für Verwaltungs- und Politikmodernisierung. Dafür bekam sie 1993 den Carl Bertelsmann Preis für Demokratie und Effizienz in der Kommunalverwaltung, zusammen mit der US-amerikanischen Stadt Phoenix, Arizona. »Vielleicht können wir ja bald sagen: Fahrt doch nach Emsdetten, wenn ihr euch modernisieren wollt«, hofft Haubner. Doch das Projekt ist kein Selbstläufer, selbst wenn es günstige Rahmenbedingungen hat. Es braucht Engagement seitens der Bürger und auch seitens der Mitarbeiter der Städte und Gemeinden – und genau dieses Potenzial will der »Kommunale Bürgerhaushalt« wecken – nicht am Stammtisch, sondern im Rathaus.