Die Region tanzt

Das Festival tanz nrw 09 bewegt sich lässig

zwischen Nachwuchs und Topensembles.

Das Tanzland NRW gibt sich die Ehre – und präsentiert sein künstlerisches Potenzial. Das landesweite Festival mit dem schlichten Titel »tanz nrw 09« zeigt im Mai über 25 herausragende Produktionen der Region. In sieben Städten, darunter auch Köln, stellt die hoffnungsvolle Biennale, deren erste Edition 2007 über die Tanzbühnen ging, etablierte Choreografen und vielversprechende Talente vor. Neue theatrale Formate und Stilrichtungen, im zeitgenössischen Tanz sind Programm.
Zu den Top-Ensembles der freien Szene zählt Cocoondance. Die Bonner um die Choreografin und Tänzerin Rafaële Giovanola und den Dramaturgen Rainald Endrass bringen zum Festival eine Uraufführung heraus, eine Auseinandersetzung mit dem wenig bekannten literarischen Werk »Orlando Furioso« des Renaissance-Dichters Ludovico Ariosto. Darin geht es um die Art von Liebe, die den Verstand raubt. So reist Prinz Astolfo auf den Mond, um die verlorene Vernunft Orlandos zu finden. Die Spiegelwelt, die er dort entdeckt, inszenieren Cocoon in »Orlando – scrapped« (Oper Bonn, 15.5.). Jörg Ritzenhoff schuf eine Komposition nach Händel, elf Tänzer und eine Opernsängerin stehen auf der Bühne – eine ungewöhnlich anspruchvolle Besetzung für das freie Ensemble, das sich einen weiteren Entwicklungsschritt erhofft.
Es ist das erste Mal, dass Cocoon mit der Oper Bonn kooperiert, wo Rafaële Giovanola frü­-her tanzte, in Pavel Mikulastiks
Choreografischem Theater, und Rainald Endrass als Dramaturg arbeitete. Die Professionalität der beiden ist auch das Geheimnis ihres überwältigenden Erfolges. Er veranlasste Stadt und Land, ihnen das Theater im Ballsaal in Bonn gemeinsam mit der Sprechtheatergruppe fringe ensemble als ständige Bleibe zu finanzieren. Cocoon ist Gast auf allen wichtigen internationalen Festivals. Die Truppe wird jetzt auch spitzenmäßig gefördert: Im Rahmen seines neuen Tanzkonzepts hat das Land sie in seine Spitzenförderung aufgenommen. Die Compagnie erhält über drei Jahre Projektzuschüsse in Höhe von 65.000 Euro per anno. Die weiteren drei Spitzen-Künstler sind der Choreograf Samir Akika, die Kölner Tanz- und Medienkünstlerin Stephanie Thiersch und der Tanz-Performance-Künstler Ben J. Riepe. Sie alle sind bei tanz nrw 09 vertreten.
Der Franzose Samir Akika hat die Vierzig überschritten und weigert sich beharrlich, erwachsen zu werden. Mit »Extended Teenage Era« (Brotfabrik Bonn, 16.5.) hat er seinen Lebensstil auf die Bühne gehoben. Cineastische Motive und Anspielungen, wie sie seinem Tanz-Theater-Kino vor einigen Jahren Profil verliehen, spielen keine Rolle mehr. Das Lebensgefühl, das »Teenage Era« vermittelt, wirkt so authentisch wie (selbst-)ironisch. Dabei färben die Individualität der Künstler, ihr Tanzstil, ihre Charaktere und Biografien das Chaos bunt. Das Stück mag improvisiert daherkommen, es ist mit Bedacht komponiert. Die HipHop-Szenen, Modern Dance-Elemente und Spielszenen sind nicht nur voller Drive und Witz, sondern auch exakt getimt und inhaltlich verbunden.
Auf neuen Wegen bewegt sich auch Henrietta Horn. Beim Festival feiert ihr erstes Tanzsolo als freie Choreografin Premiere, nachdem sie im vergangenen Sommer die künstlerische Leitung des Folkwang Tanzstudios niederlegte. Henrietta Horns Arbeiten sind geprägt von ästhetischer Eigenwilligkeit – im positivsten Sinne: originelle Themen, Musikalität, Dichte. In den jüngsten Stücken arbeitete sie mit Improvisation zu Live-Musik. »Schimmer« (u.a. Studiobühne Köln, 16.5.) befasst sich nun mit dem Verhältnis von Farben und Musik, Licht und Bewegung.
Unter dem NRW-Nachwuchs schillert Lotte Rudhart mit »Frank Z.«, ihrer rausgedrehten Hommage an Frank Zappa (Studiobühne, 15.5.). Eigentlich kennt man die langbeinige Schöne als Ballerina etwa bei Rodolpho Leoni. Nun choreografiert sie für sich selbst und zeigt, was sie kann: Sie setzt Sprache und Rhythmus des genialen Experimentalmusikers in Tanz um, steppt, stakst und stöckelt über die Bühne. Modern, Klassik, HipHop, Text, alles mixt sie durcheinander, klebt sich einen Schnauzbart auf, wird zur Comicfigur. Erfrischend!
Ein echter Geheimtipp aber ist Alexandra Waierstall. In ihrer jüngsten Arbeit »In fluid times« (Tanzhaus NRW Düsseldorf, 14.5.) geht es der Deutsch-Zypriotin um Fremdsein. Spannungsgeladene Bilder menschlichen Mit­einanders verschwimmen: Ge­walt, Zuwendung, Gleichgültigkeit. Wai­erstall komponiert aus Licht, Unter-Wasser-Video, Elektro-Sound und tanzenden Nachtgestalten mit geometrischer Präzision einen rauschhaften Sog.
Zwei Innovationen kann man auch in Köln begutachten: Das junge HipHop-Kollettiv E-Motion zeigt sein Stück »Super Me« (Tanzhaus NRW, 7., 8.5.; Studiobühne, 16.5.). Die Gruppe um Takao Baba, gegründet, um HipHop als Kunstform zu etablieren, problematisiert die Generation Internet: Freundschaften werden virtuell gepflegt und beendet. Zu bewundern sind vier brillante Streetdancer und zwei geschmeidige, zeitgenössische Tänzerinnen.
In einer realen Ausspielung präsentiert sich unter dem Motto »Köln tanzt« die von der Theaterfraktion Raum 13 gegründete Web­plattform alleswastanzt.de. Auf ihr können sich Kölner Tanzschaffende aller Genres online darstellen. Bei der »grenzenlosen Tanznacht« (Spichernhöfe Köln, 14.5., 18 bis 6 Uhr) wollen die Initiatoren auf einer Bühne zeigen, wer und wie da alles tanzt. Ein Tanzevent mit offenem Ausgang für den Kölner Start des Festivals.