Bauern mit fettem Zeitkonto

Stadt-Land-Gefälle: Rocko Schamoni im Gespräch über sein Leben, Langeweile und die Verfilmung seines Buchs »Dorfpunks«

StadtRevue: Herr Schamoni, was ist der Unterschied zwischen einem Dorfpunk und einem richtigem Punk?

Rocko Schamoni: Es gibt keinen! Das verdeutliche ich auch in meinem Buch »Dorfpunks«. Alle denken, dass es Punk nur in Düsseldorf oder London gab. Dabei gab es zur gleichen Zeit sehr viele Jugendliche auf dem Land, die Punks waren und sich genauso in das Thema reingekniet haben. Sie sind aber nicht beachtet worden und haben angeblich auch keine berichtenswerten Geschichten erlebt. Nachdem ich voller Freude »Verschwende deine Jugend« gelesen habe – was für mich wichtig war, weil darin meine Heroen beschrieben werden, habe ich gemerkt, dass wir auf dem Land auch am Punk beteiligt waren. Punkrocker ist Punkrocker, egal wo er ist, wenn er ein echter ist.

Kann man heute noch Punk sein?

Ich kenne Leute, die nicht aussehen wie Punks, von ihrer Lebensart und ihrem Nimbus her aber dem entsprechen, was ich unter Punkrock verstehe. Auch wenn sie über fünfzig sind. Den meisten über vierzig, die sich als Punk bezeichnen, nehme ich das aber nicht ab. Punkrock ist eindeutig ein Jugendlichending, das kann man nicht konservieren. Das kannst du vielleicht bis fünfundzwanzig mitmachen, dann wirst du unglaubwürdig. Dann musst du erwachsen werden, kannst dir aber die dissidente, anstrengende, widerborstige Art von Punk bewahren. Die meisten, die sich heute als Punks bezeichnen, machen das, weil sie von der Öffentlichkeit einen Stempel aufgedrückt bekommen, mit dem sie Geld verdienen können.

Muss man in der Kleinstadt aufwachsen, um als Künstler etwas zu werden – so wie Sie oder ihre Kollegen Jochen Distelmeyer und Bernd Begemann?

Das könnte man denken, wenn man sich die Großstädte anschaut und erkennt, dass sie eigentlich auch nur aus einzelnen Dörfern bestehen. Nach meinem Zuzug in die Stadt habe ich auch einige Großstädter kennen gelernt, die es in sich haben, weil sie einfach durchgeknallt sind. Ich kann das natürlich nicht wertfrei beurteilen, weil ich selbst vom Land komme und gerade zu meiner Anfangszeit in der Stadt viel mit Leuten vom Land zu tun hatte – irgendwie finden die sich immer. Aber ich würde sofort unterschreiben, dass ein Großteil der Kulturarbeit in den Städten von ganz normalen Bauern geleistet wird. Weil auf dem Land nix los ist und du als Jugendlicher nicht die kulturelle Vollbedienung geliefert bekommst, musst du selbst etwas entwickeln. Mit jahrelangem Training und einem Repertoire an verschiedenen kulturellen Techniken kommst du dann in die Stadt und beginnst, deine Fertigkeiten zu verfeinern. Die werden dann in der Stadt wiederum zu dem, wofür die Städter berühmt sind, dabei kommt das gar nicht von denen. »Das sind wir Hamburger«!? Nee, das sind wir Bauern ...

..., die sich in ihrem idyllischen Heimatdorf langweilen. Langeweile ist das zweite große Thema des Filmes.

Langeweile ist das Schlimmste, das man mit 18 erleben kann. Jetzt, wo ich in diesem Hamsterrad stecke, sehne ich mich manchmal danach und denke: »Wäre mir bloß mal wieder so richtig geil langweilig.« Damals war es für mich extrem quälend, in einem Vakuum zu leben, in dem nichts passiert, obwohl ich doch so viel wollte und die Welt so wichtig und bedeutend war. Ich habe mich gefragt, ob man Langeweile als die »schmerzhaft spürbare Zeit zu viel« definieren kann, die man als Jugendlicher noch vor sich hat. Mit vierzig ist einem nicht mehr langweilig, da hat man genug zu tun, aber am Anfang seines Lebens hat man ein fettes Zeitkonto und die Last der Zeit ist so hoch, dass es weh tut.

Ist es seltsam, seine eigene Jugend auf der Leinwand zu sehen?

Es ist mir wichtig, dass es in dem Film nicht um meine Biografie, sondern um ein archetypisches Phänomen auf dem Land geht. Wie du Provinz und Tristesse erlebst und dich selbst daraus befreien willst. Für mich ist der Film nicht mehr meine Geschichte, auch wenn ich einige Versatzstücke wiedererkenne, wie die Sprache, die Klamotten, die Musik und vor allem die Landschaft. Ansonsten ist das eine Geschichte, zu der ich Distanz habe und die zu mir Distanz hat, und das finde ich auch gut so.

Wird es bald wieder eine neue Platte von Ihnen geben?

Nein. Vielleicht mache ich irgendwann unter irgendeinem anderen Namen oder mit irgendeiner anderen Band Musik. Aber vorerst habe ich das ad acta gelegt.