Die geheimen Gedanken der Manager

Laurent Quintreau schreibt mit »Und morgen bin ich dran. Das Meeting« den Roman zur Finanzkrise

Der Abgesang auf einen entfesselten Kapitalismus ist ein Lieblingsthema der französischen Gegenwartsliteratur. Schon Michel Houellebeqc und Frédéric Beigbeder sorgten als Untergangs-
pro­pheten einer zum Supermarkt verkommenen Welt für Furore. Beim neuen Shootingstar Laurent Quintreau, der für seinen ersten Roman 2006 den Preis für das beste französischsprachige Debüt erhielt, regiert nun ebenfalls das Diktum der Quote: Quintreau, ein gelernter Werbetexter, erzählt in »Das Meeting« von einem zweistündigen Managertreffen, das auf ein groteskes Zerfleischungsritual hinausläuft.
Der neue Chef eines internationalen Unternehmens, ein gewisser Jean-Francoise Rorty, hat morgens seinen Vorstand zusammengetrommelt, um eine »Umstrukturierung« anzukündigen. Rorty benutzt das branchenübliche Vokabular, das selbst Kündigungen lang verdienter Mitarbeiter noch zum Notwehrakt auf einem umkämpften Markt schönredet. Er spricht von »Verschlankung« und von »Auslagerung«. Er zitiert Nietzsches »Willen zur Macht« und esoterische Sprüche wie »Lasst uns Adler sein und keine Lämmer!« Kurzum: Quintreaus Firmensanierer führt jenes rhetorische Theater aus Suggestivfloskeln, verballhornter Philosophie und kaum verhüllter Drohung auf, das Diktatoren ebenso lieben wie Karrieregurus. Seine Zuhörer haben die Botschaft hinter den Siegesformeln natürlich schnell begriffen: Jeder von ihnen kann der nächste sein. Der nächste, der gefeuert wird.
Welch bizarre Verwüstungen die Angst vor der Entlassung in Managerseelen anrichten kann, hat auch schon Urs Widmer
1996 in seiner Komödie »Top Dogs« humoristisch ausgeschlachtet. Quintreaus Roman ließe sich dank seines Closed-Room-Setting ebenfalls gut auf die Bühne bringen – wenngleich hier ein völlig anderer Blick regiert. Statt das Big Business belustigt von außen zu betrachten, sieht Quintreau seinen elf Managern nämlich lieber direkt in den Kopf und listet ihre Gedanken in inneren Monologen auf, die er je nach Sündenschwere in »Höllenkreise« unterteilt – eine Referenz an Dantes »Göttliche Komödie«. Elf Psychogramme, elf verschiedene Lagebeurteilungen, die zeigen, dass der wahre Teufel hier nicht im Konkurrenten lauert. Ihre eigentlichen Dämonen erschaffen sich Quintreaus Karrieristen vielmehr selbst – im Wahn, niemals fehlen zu dürfen.
Am Anfang stehen noch die lässlichen Gedankensünden der Wollust, Schlemmerei und Faulheit. Schmalspur-Casanova Pujol fürchtet, ohne Statusjob keine Chance bei Frauen mehr zu haben. Die dicke Bremont futtert sich aus Männerfrust Kummerspeck an, und der bequeme Tissier hat sich seit jeher nur schmalspurig durchlaviert. Sehr viel abgründiger sind da schon die heimlichen Motive jener Kollegen, die von Sadismus oder narzisstischer Kränkung, von überzogener Eitelkeit oder Perfektionsgier getrieben sind. Bei ihnen hat sich das Credo der Umsatzsteigerung um jeden Preis zur Neurose ausgewachsen, die mit Pillen bekämpft werden muss, um nicht im Amoklauf gegen sich oder andere zu enden. Insofern bestätigt Quintreaus Reigen der Verdammten zwar das schlechte Image vom skrupellosen Manager. Anders als Houellebecq und Beigbeder aber gefällt er sich nicht als zynischer Apokalyptiker, der nur das Monströse im Marktgläubigen hervorkehren will. In seinem Meeting gibt es auch die Möglichkeit zur Erlösung.
Immerhin ein Teilnehmer hat es bis ins »Fegefeuer« geschafft, ein anderer gar bis ins »Paradies«. Ersterer sagt den schönen Satz: »Ich kann doch nicht ständig in Angst vor der Kündigung leben wie ein vom Filzpantoffel bedrohter Käfer.« Der andere freut sich einfach nur, am Leben zu sein. Das mögen keine originellen Auswege sein. Doch Quintreaus humoriges und leidenschaftliches Plädoyer für den freien Willen liest sich in Zeiten, in denen die Unterwerfung unter den Massengeschmack jeden zweiten Fernsehabend als geglückte Existenz gefeiert wird, schon fast wieder revolutionär.