Foto: Manfred Wegener

Auf der Jagd nach Abschlüssen

Bei Rot-Weiss Köln wird nicht nur überaus erfolgreich Hockey gespielt – nebenher werden die Spieler konsequent auf die Zeit nach dem Sport vorbereitet.

Hockeyklubs gelten als elitär. Viele Mitglieder stammen aus Unternehmerkreisen, aus Arzt- oder Anwaltsfamilien. »Zu meiner Zeit haben die Kellner sonntags bei uns noch im Frack bedient. Heute ist das nicht mehr so extrem«, erklärt Stefan Seitz. Aber die alten Seilschaften existieren noch – und diese Seilschaf­ten haben großen Anteil daran, dass Rot-Weiss Köln in nur zwei Jahren von einer Zweitligatruppe mit großer Vergangenheit wieder zum Klassenprimus im deutschen Herrenhockey wurde.
Alles begann bei der WM 2006. Seitz, Rechtsanwalt und früherer Bundesligaspieler bei Rot-Weiss, saß beim Finale auf der Tribüne und war beeindruckt von den deutschen Weltmeistern: »Ich hatte lange nicht mehr so hochklassiges Hockey gesehen.« Mit der Begeisterung kam auch Wehmut über die Entwicklung »seines« Vereins auf: Die Kölner waren in den Niederungen der zweiten Liga verschwunden, der letzte Titelgewinn lag über zehn Jahre zurück. Gemeinsam mit einem ehemaligen Mitspieler beschloss Seitz, die Renaissance des Klubs vom Stadtwald einzuläuten. Mithilfe der frischgebackenen Weltmeister.
Doch wie holt man frischgebackene Weltmeister zu einem Zweitligateam mit bescheidener sportlicher Perspektive? Seitz lockte die Nationalspieler bei einem Wechsel nach Köln mit einer individuellen Studiumsbegleitung und der Möglichkeit, bei einem namhaften Unternehmen in den Arbeitsalltag reinzuschnuppern – mit entsprechender Perspektive. Ende 2006 saßen dann sechs WM-Helden in Seitz’ Kanzlei zusammen – kurz darauf wurden die Verträge gemacht.
Die Idee ist ebenso simpel wie einleuchtend: Hockey ist ein vergleichsweise schlecht bezahlter Sport. Auch Weltmeister müssen sich daher schon während der aktiven Karriere um die Zeit nach dem Sport kümmern. Das Konzept der Berufsbegleitung seitens des Vereins ist nicht gänzlich neu – dafür aber die konsequente Umsetzung. »Wir haben maßgeschneiderte Konzepte geliefert, nicht nur Praktika vermittelt«, erklärt Seitz.
Bei der Umsetzung kamen ihm die alten Hockey-Seilschaf­ten zugute. Die beteiligten Unternehmen kommen entweder aus dem Klubumfeld oder seinem Mandantenkreis. Jurastudent Chris­topher Zeller ist bei Seitz selbst untergekommen, sein Bruder Philipp bei einer befreundeten Kanzlei. Die BWLer Timo und Benny Wess erhalten bei renommierten Wirtschaftsunternehmen Einblick in ihren späteren Berufsalltag, die Sportstudenten Max Weinhold und Tibor Weißenborn lernen bei Marketing-Unternehmen. Geld fürs Hockeyspielen bekommen sie nicht – alle haben Praktikantenverträge und bekommen ein dementsprechendes Gehalt.
Christopher Zeller ist der vielleicht prominenteste Spieler bei Rot-Weiss. Der 22-Jährige gilt als einer der besten Hockeyspieler weltweit und erzielte im WM-Finale den Siegtreffer. Vor seinem Wechsel nach Köln spielte er beim niederländischen Erstligisten Bloemendaal. »Von außen war der Wechsel in die zweite Liga natürlich ein Abstieg, weil ich in Holland in einem Superteam in der vermeintlich besten Liga der Welt gespielt habe.« Zumal sein jetziger Alltag kein Zuckerschlecken ist. Fünf Tage die Woche in der Firma, fünf Mal Training, zwischendrin zum Lehrgang mit der Nationalmannschaft, seit Mitte April läuft das neue Semester – da bleibt wenig Freizeit. Trotzdem, beschweren will sich niemand: »Für einen Hockeyspieler gibt es kein besseres Modell«, erzählt Zeller begeistert.
Und auch sportlich geht die Rechnung auf. Nach dem Aufstieg in die Bundesliga folgte Ende Januar gleich der Gewinn der deutschen Hallenmeisterschaft. Und auch in die Ende April beginnende Finalrunde im Feldhockey gehen die Kölner als große Favoriten. »Unser Ziel ist einer der ersten drei Plätze, damit wären wir für die Europaliga qualifiziert«, stapelt Seitz tief. »Wir haben mit dieser Mannschaft alle Chancen in Europa.« Und nicht nur dort – eigentliches Ziel ist die im nächsten Jahr erstmals ausgetragene Weltliga, für die nur der deutsche Meister startberechtigt ist.
Am Alltag der Jungs würde sich jedoch auch in der Weltliga nichts ändern. »Wir haben immer gesagt: Wenn ihr Anfang 30 seid, messen wir den Erfolg des Projektes nicht nur an Titeln, sondern auch an euren Abschlüssen«, erklärt Seitz. Deutscher Meister, Weltmeister, zudem 2008 in Peking Olympiasieger – fehlt da nicht manchmal die Motivation, nebenher noch zu studieren und an der beruflichen Karriere zu arbeiten? »Bei uns zu Hause war es so«, erinnert sich Christopher Zeller, »wenn es in der Schule nicht lief, durfte ich auch nicht Hockey spielen.« So gesehen hat sich im Vergleich zu damals gar nicht so viel geändert.