Köln kippt

Keine andere deutsche Großstadt ist so sehr in Arm und Reich gespalten wie Köln. Ganze Stadtteile sind abgehängt, Gewalt, Verwahrlosung und Arbeitslosigkeit nehmen zu. Die Probleme sind hausgemacht.

 

Anja Albert und Bernd Wilberg waren in den Armenvierteln unterwegs und haben nach Erklärungen gesucht. Manfred Wegener hat die Perspektive der Bewohner mit der Kamera dokumentiert.

»Also ich weiß gar nicht, was alle haben, ich finde Chorweiler schön. Und Probleme, die gibt es auch in Stadtteilen wie Lindenthal«, sagt Ute Weber, seit 1981 Leiterin des Bürgerzentrums Chorweiler. In dem backsteinroten 80er-Jahre-Bau am Pariser Platz findet das kulturelle Leben von Chorweiler statt, hier hat auch die Bezirksvertretung ihren Sitz. Hinter den Fensterscheiben erhebt sich ein Beton­gebirge: Beige, Braun, dazwischen dreckiges Gelb. Der Blick ist mit Hochhäusern verstellt, manche haben 23 Stock­werke. Dazwischen immer wieder Passagen, an deren Ende sich ein ähnliches Panorama eröffnet. Auf einem Spielplatz sieht man bloß eine Sandecke, daneben eine Bank, von der nur noch die Metallfüße übrig geblieben sind. Gras und Brennnessel-Sträucher wuchern, irgendwo zwitschern ­Vögel, ein unwirkliches Geräusch, das an die Laut­sprecher-Be­schallung in einem Wellness-Center erinnert.

Im Stadtteil Chorweiler, im äußersten Kölner Norden, wohnen 13.000 Menschen auf zwei Quadratkilometern. Wohin man schaut, die Trabanten der »Neuen Stadt«, wie die Stadtplaner seit den 60er Jahren ihre Utopie des techno­kratischen Staates nannten. Die Straßen warten mit klangvollen Namen auf: Athener Ring, Mailänder Passage, Stock­holmer Allee. Sehnsuchtsorte, die hier niemand je besuchen wird. Schlafstätte, Schule, Einkaufen – den Aufsteigern aus dem Proletariat sollte in der Plan­stadt ein funktionales Leben in der Nähe ihrer Arbeitsstätten geboten werden. Doch die Facharbeiter blieben aus. Oder zogen, sobald sie es sich leisten konnten, in bessere Viertel. Zurück blieben diejenigen, die sich die Mieten andernorts nicht leisten konnten: Arbeitslose, Allein­erziehende, Ausländer – heute haben drei von vier Be­wohnern in Chorweiler einen Migrationshintergrund, über hundert Nationen sind vertreten.
Laut einer aktuellen Studie des Kölner Soziologen Jürgen Friedrichs und des Geografen Sascha Triemer ist in Köln die Spaltung in Arm und Reich unter den 15 größten deutschen Städten am stärksten. Untersucht wurde die »soziale und ethni­sche Segregation« von 1990 bis 2005. Während sich in Köln Migration über das gesam­te Stadtgebiet verteilt, konzentriert sich die Armut seit den 90er Jahren zunehmend in bestimmten Vierteln.

Wer auf Transferleistungen ange­wie­sen ist, wohnt in Chorweiler, Ostheim, Meschenich und Porz-Finkenberg. Die Bevölkerungsstruktur wird immer homo­gener, die Viertel sind geprägt von Arbeits­losigkeit, Armut und geringen Bil­dungs­chancen. Mehr als die Hälfte aller Kinder in Chorweiler lebt von Hartz IV, nirgendwo in Köln ist
die Jugendarbeitslosigkeit höher. Während in ­Linden­thal 1,8 Prozent der unter 25-Jährigen keinen Job haben, sind es in Chorweiler 15,5 Prozent.

Wenn man Professor Jürgen Friedrichs vom Forschungsinstitut für Soziologie der Universität Köln gegenübersitzt, hat man einen ruhigen Gesprächspartner vor sich. Trotz der alarmie­renden Zahlen betreibt Friedrichs, der sich selbst auch mal als »so einen linken Vogel« bezeichnet, keinen Populismus. Aber wenn er die Zahlen erklärt, andere deutsche Städte mit Köln vergleicht, hört man immer wieder Sätze wie »Ja, das ist tatsächlich beunruhigend«.

Eine Patentlösung hat auch Friedrichs nicht – ­derzeit halte er Vorträge, seine Studie sei auf viel Interesse gestoßen, in Köln ist er zur Amtsleitersitzung ins Sozial­dezernat eingeladen worden. Friedrichs hat drei Faktoren herausgearbeitet: die starke Konzentration von Sozialwohnungen in wenigen Vierteln; der Wegzug von Menschen, die etwas mehr Geld verdienen; und nicht zuletzt die hohe Arbeits­losigkeit aufgrund geringer Qualifizierung. Auffallend ist: Wenn in einem Viertel Armut zunimmt, ver­stärkt sich dieser Trend – und dehnt sich auf angrenzende Gebiete aus.

»Die Probleme sind hausgemacht«

Der Sozialarbeiter Franco Clemens, der sich in Köln immer wieder in die Politik eingemischt hat, kennt die Probleme in abgehängten Stadtteilen, er war unter anderem viereinhalb Jahre Streetworker in Porz-Finkenberg. »Die Probleme sind hausgemacht«, sagt Clemens. »Die Stadt hat vor über zehn Jahren eine massive Fehlbelegungspolitik betrieben. Sozial schwache Familien wurden immer in die­selben Viertel gesteckt. Die Ergebnisse liegen uns heute als sozialer Brennpunkt vor.« Immer­hin, sagt Clemens, gebe es mittlerweile bei vielen Politikern im Stadtrat, insbesondere bei Grünen und der SPD, die Einsicht, dass die Probleme vorhanden sind.

Auch für Marlis Bredehorst von den Grünen, seit 2004 Sozialdezernentin, ist das Entstehen von Problem­vierteln unter anderem ein Ergebnis politischer Entscheidungen. »Es gibt viel zu wenig attraktiven, preiswerten Wohnraum. Für die CDU war sozialer Wohnungsbau ein Tabu. Es wurde nichts mehr nachgebaut und vorhandene Bindungen liefen aus«, sagt Marlis Bredehorst. Die Zahl der Sozialwohnungen hat sich seit Ende der 80er Jahre von 116.000 mehr als halbiert, und es gibt sie vor allem in Vierteln wie Chorweiler. Dort beträgt der Anteil über achtzig Prozent.

Ein Großteil der Hochhäuser steht unter Zwangsverwaltung, so auch der 23-stöckige Block an der Osloer Straße. Ein gefundenes Fressen für den Boulevard-Journalismus. Der Eingangsbereich ist abgewrackt, die Haustür schließt nicht mehr. Einer der zwei Aufzüge ist kaputt, im Treppenhaus liegen Schnapsflaschen, es stinkt nach Urin, die Wände sind bekritzelt mit einem Kuddelmuddel aus Gossenvokabular und rassistischen Parolen. Auf fast allen Balkonen stehen ausgeblichene Sofas, Matratzen lehnen hochkant an den Wänden – es ist zu eng in den Wohnun­gen. Dazwischen Garten­zwerge und Geranien auf der Brüstung.

»Armut ist ein riesiges Problem in Köln. Ich möchte darauf aufmerksam machen, aber auch Stigmatisierung vermeiden«, sagt Marlis Bredehorst. Man merkt, dass ihr die Armutsbekämpfung ein Anliegen ist. Aber auch sie redet lieber von gelungenen Projekten. »Wir bauen den sozialen Wohnungsbau gerade mühsam wieder auf und versuchen, ihn vom Schmuddel-Image zu befreien.«

Für den Soziologen Jürgen Friedrichs gibt es in Trabanten-Siedlungen wie Chorweiler oder Finkenberg nur noch eine Lösung. »Wir müssen diese Hochhäuser zumindest teilweise abreißen. Man müsste ehrlich sagen: Wir haben uns geirrt, das funktioniert nicht.« Marlis Bredehorst hat eine andere Vision: »Ein Wahnsinnsfortschritt wäre, wenn die kommunale Wohnungsbaugesellschaft GAG die konkursverwalteten Häuser übernehmen und sanieren würde. Da geht es um einen Schuldenerlass in Millionenhöhe. Da brauchen wir die Unterstützung des Landes.« Derzeit laufen die Verhandlungen. Für die Zukunft befürwortet die Sozial­dezernentin eine Mischung aus freien und geförderten Wohnungen – im Idealfall im selben Haus. »Deswegen sind wir ganz scharf auf Grundstücke in Lindenthal, denn wir wollen, dass Arme und Reiche zusammen wohnen.« Zurzeit sind in Lindenthal nur 0,8 Prozent aller Immobilien gefördert.

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