Foto: Manfred Wegener

Leiser trinken

Der Streit um die Nutzung des Brüsseler Platzes

wird jetzt professionell moderiert

Freitag vor Pfingsten, es geht auf 23 Uhr zu, ist es mal wieder voll auf dem Brüsseler Platz. Wie in jeder lauen Nacht in den letzten Jahren, vor allem am Wochenende. Der Platz hat sich zum Treffpunkt für junge Leute entwickelt. Man steht beisammen, sitzt auf den Mauern der Hochbeete oder hockt auf den flachen Einfassungen der Bäume, ein Bier in der einen, die Zigarette in der anderen Hand, und unterhält sich. Im Kiosk arbeiten sie zu viert, der Andrang ist enorm. Ein Flaschensammler geht mit Einkaufswagen herum, kaum jemand möchte sich wegen acht Cent noch mal in die Schlange stellen. Eine friedliche Szenerie. Aber: Ein paar hundert Leute erzeugen Lärm, hinterlassen Müll, geplättete Beete und manche pinkeln in die Rabatten. Viele Anwohner sind genervt, aber nicht einer Meinung, wie auf www.bruesselerblog.de zu lesen ist. Die einen fordern ein Alkoholverbot ab 23 Uhr und wollen den Platz ab 24 Uhr leer sehen, andere halten das für übertrieben.
»Schauen Sie«, sagt Pastor Andreas Brocke zu dessen Gemeinde die Kirche St. Michael auf dem Brüsseler Platz gehört, »hier macht ja kein Einzelner etwas falsch, aber durch die Masse wird es natürlich laut. Und zu später Stunde, wenn die Leute mehr getrunken haben, wird es noch lauter.« Brocke nimmt teil am Offenen Runden Tisch, der Platznutzer, Anwohner, Immobilienbesitzer, und die Initiative Querbeet, die sich seit fünf Jahren um die Platz-Verschönerung kümmert, zusammenbringt. Moderiert wird dieser Runde Tisch von Detlev Wiener, der als Trainer und Konfliktmoderator für Industrieunternehmen tätig ist. An diesem Abend ist er gerade damit beschäftigt, eine Beamer-Projektion auf dem Platz einzurichten. Kurz nach 23 Uhr erscheint auf einer Leinwand zwischen zwei Bäumen vor der Kirche ein Text, mit dem die Anwohner die Masse höflich um Ruhe bitten.

»Eine Art Kollateralschaden«

Tatsächlich macht ein »Pssst« die Runde, aber es nützt auf Dauer nichts. Nur wenige der Anwesenden zeigen Interesse an der ungewöhnlichen Aktion. Student Tino C. ist nicht besonders beeindruckt. Er könne die Anwohner schon verstehen, sagt er, aber »ein gewisser Lärmpegel gehört zum urbanen Lebensgefühl dazu. Das ist so eine Art Kollateralschaden.«
Detlev Wiener ist einer von zwei Profis, die sich bei der Stadt um die Aufgabe beworben haben, als Moderator in einem Konflikt tätig zu werden, in dem die Fronten noch im Oktober 2008 komplett verhärtet schienen (StadtRevue berichtete). Für Wiener ist ein derartiges Mediationsverfahren im öffentlichen Raum Neuland. Doch die Grundkonstellation, eine, wie er es nennt »scheinbare Dilemmasituation« ist ihm durchaus vertraut. Die Idee diesen Weg zu gehen, hatte Elisabeth Thelen von den Grünen. Bezirksbürgermeister Andreas Hupke, ebenfalls Grüner, freut sich, dass man die Lösung nicht an Polizei und Ordnungsamt delegiert hat, und sieht ein »echtes Pilotprojekt, das Köln gut zu Gesicht steht«. Er hofft auf »nachhaltige Erfolge«.
»Die verschiedenen Parteien müssen sich mit ihren unterschiedlichen Interessen und Emo­tionen kennen lernen und aufeinander zu bewegen«, sagt Wiener. Gerade die älteren Anwohner fühlten sich vom Platz vertrieben. Wenn diese für die Platzbesucher »erlebbar werden«, so Wiener, könnte das schon viel bewirken. Deswegen – so eine der Ideen – sollte es auch kulturelle Angebote für alle Altersgruppen geben, ein Orgelkonzert am Pfingstwochenende war ein Anfang. Im Zuge der nächtlichen Info-Kampagne auf dem Platz haben Wiener und Mitglieder des Offenen Runden Tisches etliche Einzelgespräche geführt. Dabei stießen sie auf viel Verständnis, aber auch immer wieder auf die Frage: »Wo gibt es in Köln denn sonst noch einen Platz, der so attraktiv ist wie der Brüsseler Platz? Wo sollen wir uns denn sonst treffen?«
Niemand am Offenen Runden Tisch glaubt, die Konflikte nur durch Appelle an die Beteilig­ten lösen zu können. Die quasi vom Bezirksbürgermeister installierte Bürgerinitiative muss sich entscheiden, welche weiteren Aktionen durchgeführt und welche Anträge an die Stadt gestellt werden sollen. Helfen mehr Mülltonnen oder eine hellere Beleuchtung? Inwiefern ist in besonders kritischen Situationen eine Unterstützung durch Polizei und Ordnungsamt unverzichtbar? Unbeantwortet sind bisher vor allen Dingen die beiden schwierigsten Fragen: Ab wie viel Uhr sollte auf dem Platz eine erträgliche Lautstärke einkehren? Und mit welchen Mitteln lässt sich das erreichen? Der Sommer hat gerade erst angefangen. Wenn es den Beteilig­ten gelingt, in absehbarer Zeit Lösungen zu finden, könnte das ein Beispiel für andere Städte sein.