Die Chronik, von 1982 bis Februar 2002

Die Chronik zu Planung, Genehmigung und Bau der Müllverbrennungsanlage in Köln-Niehl, zum Korruptionsskandal und zur SPD-Spendenaffäre: von 1982 bis zu den Enthüllungen im Februar 2002

Von Beginn an:

1982: Das Reinigungs- und Fuhramt schlägt dem Rat der Stadt Köln eine »großtechnische Lösung« des Kölner Abfallberges vor, weil die Deponie Vereinige Ville (für das linksrheinische Köln) und die Deponie Mechernich (für rechtsrheinischen Müll via Umladestation) in absehbarer Zeit verfüllt seien. Nach Protesten v.a. durch die Bürgerinitiative »Wohnen und Umwelt« (Longerich) Aussetzung der »großtechnischen« Überlegungen.

Dezember 1983: Müll-Doppelbeschluss auf dem Parteitag der Kölner SPD mit einer Stimme Mehrheit verabschiedet. Nach dem Antrag von Dr. Vollmann soll Recycling, Schadstoffsammlung und Abfallvermeidung zur Lösung des Müllproblems beitragen, wenn dies nicht reicht, werde erneut die Verbrennung »ins Auge gefasst«.

Januar 1986: Ratsbeschluss, der ein Müllvermeidungs- bzw. Müllrecyclingkonzept vorsieht, in dem jedoch keine Absage an die MVA enthalten ist. Zweijährige Modellversuche in Longerich und Vingst werden beschlossen, die im Frühjahr 1986 unter der Leitung des Umweltschutzamtes beginnen sollen, deren Start im März aber um ein halbes Jahr verschoben wird auf Oktober 1986. Zugleich wird das Abfallvermeidungsprogramm an das Reinigungs- und Fuhramt delegiert und fällt damit in die Zuständigkeit des Dezernenten Keil, der an den Planungen für die MVA beteiligt war.

»Teilplan Siedlungsabfälle« des Kölner Regierungspräsidenten Franz-Josef Antwerpes, als oberste Aufsichtsbehörde zur Anordnung der MVA befugt, sieht die Müllverbrennung in Niehl wieder vor. Der Stadtrat soll bis zum Juni Stellung beziehen. Befürworter der Anlage im Rat ist Klaus Heugel.

9. Juli 1986: In einem Artikel im Kölner Stadt-Anzeiger spricht sich Heinz Tutt dezidiert für den Bau der MVA aus und zitiert ausführlich die Befürworter.

10. Juli 1986: Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes stellt den ‘Müllnotstand’ fest. Das bedeutet, dass er die Planfeststellung für eine Müllverbrennungsanlage per »Ersatzvornahme« einleiten wird, wenn die Stadt Köln nicht bis Ende 1987 eine solche beantragt hat.

19. Dezember 1986: Der Bezirksplanungsrat stimmt der Aufnahme einer Müll- und Klärschlammverbrennungsanlage in den Abfallbeseitigungsplan (Teilplan Siedlungsabfälle) zu.

1988: Ein Gutachten (im Auftrag der Stadt) des Instituts für Energie und Umweltforschung (Ifeu) in Heidelberg kommt zum Schluss, dass eine Restmüllverbrennungsanlage auch bei Anstrengungen in der Müllvermeidung unumgänglich sei; eine Anlage für 235.000 Tonnen Müll wird vorgeschlagen bei flächendeckender Einführung der Biotonne. Aus heutiger Sicht ist diese Berechnung wegen gefallener jährlicher Müllmenge eindeutig falsch.

Der Kölner Stadtrat beschließt auf Grundlage des Ifeu-Gutachtens - im Zusammenhang mit dem Abfallwirtschaftskonzept(AWK) - den Bau der Müllverbrennungsanlage in Köln-Niehl. Eine wichtige Rolle spielen dabei Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier und Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes. Letzterer fordert eine MVA für 600.000 Tonnen jährlich, die schließlich festgesetzte Menge (nach zwischenzeitlich anvisierten 387.000 Tonnen) beträgt 421.000 Tonnen Müll. Zugleich Ablehnung der Angebote der Nachbarstädte, Kölner Müll anzunehmen. In den folgenden Jahren allgemeiner Rückgang der jährlichen Müllmenge.

14. Mai 1992: Die stadtnahe Abfallbeseitigung- und Verwertungsgesellschaft (AVG) wird gegründet. Sie ist im Namen der Stadt Köln (50,1% Gesellschafteranteile) Bauherrin und Betreiberin der MVA. Einflussreiche Mitgesellschafterin ist die Firma Trienekens (25,1%), Tochter der RWE Entsorgung. Dafür fand keine Ausschreibung statt. Daneben sind die Stadtwerke mit 24,8% beteiligt. Erster Geschäftsführer der AVG Ulrich Eisermann. In der Folge gehen viele kommunale Müllzuständigkeiten an die AVG über.

27. Mai 1992: Entsorgungsvertrag von den Gesellschaftern der AVG unterzeichnet: damit beauftragt von der Stadt Köln mit der Müllbeseitigung bis 2025.

22. Juli 1992: Regierungspräsident Antwerpes empfiehlt telefonisch Oberstadtdirektor Ruschmeier, die Firma Steinmüller als Bauunternehmer der MVA durchzusetzen. Antwerpes’ eigener Vermerk über dieses Gespräch (»dabei besonders die Firma Steinmüller aus Gummerbach zu berücksichtigen«) führt 1995 zu einem Befangenheitsvorwurf gegen den Regierungspräsidenten.

28. Januar 1994: Vertragsabschluss der AVG für den schlüsselfertigen Bau der MVA für 792 Millionen DM mit der Firma L + C Steinmüller (Gummersbach). Steinmüller gehört zur Holzmann AG, die wie Trienekens von der RWE beherrscht wird. Vergleich und Bewertung verschiedener Bewerber durch die Firma UTG, eine 100-prozentige Tochter des AVG-Gesellschafters Trienekens.

1994: Der drohende große Anstieg der Müllgebühren nach dem Bau der MVA und das Ignorieren preiswerterer Alternativen wie der Biologisch-Mechanischen Abfallbehandlungsanlage (BMA) ruft Unmut hervor. Die Kölner Interessengemeinschaft Müllvermeidung statt Müllverbrennung (KIMM e.V.) organisiert Sammeleinwendungen gegen den im März 1995 ausgelegten MVA-Genehmigungsantrag.

Februar 1995: Bürgerbegehren (organisiert von der KIMM e.V.) gegen die Müllverbrennungsanlage beginnt.

März 1995: Oberstadtdirektor Ruschmeier erklärt, wenn die MVA nicht gebaut würde, kämen laut Vertrag der AVG mit dem Generalunternehmer Steinmüller Schadenersatzforderungen von mehreren hundert Millionen DM auf die Stadt Köln zu.

August 1995: die KIMM erhebt wegen eines Verfahrensfehlers bei der Auslegung der MVA-Genehmigungsantrags Einspruch gegen den von Regierungspräsident Antwerpes für den 28.8.1995 angesetzten Erörterungstermin. Bärbel Höhn, Umweltministerin von NRW, gibt dem statt und weist den Regierungspräsidenten an, den Erörterungstermin zu verschieben.

24. August 1995: Vorlage von über 48.000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren gegen die MVA durch die KIMM: Rücknahme des Beschlusses von 1988 oder Bürgerentscheid.

Die AVG klagt erfolgreich gegen die Verschiebung des Erörterungstermins mit der eidesstattlichen Versicherung, dadurch kämen Schadenersatzforderungen von 65 Millionen DM auf die Stadt zu.

28. August 1995: Befangenheitsvorwurf der NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn gegen Regierungspräsident Antwerpes.

26. Oktober 1995: Bürgerbegehren zur MVA vom Rat der Stadt mit den Stimmen von Grünen und CDU gegen die SPD (49 zu 42) für zulässig erklärt.

28. November 1995: Oberstadtdirektor Ruschmeier kritisiert den Ratsbeschluss vom 26. Oktober. Seine Einwände werden am 19. Dezember vom Rat zurückgewiesen.

29. Januar 1996: Genehmigung für die MVA erteilt.

1. Februar 1996: Regierungspräsident Antwerpes überreicht Ruschmeier die Baugenehmigung mit der Anordnung sofortigen Vollzugs, dieser wird von Bärbel Höhn verweigert: es herrsche »kein Müllnotstand«.

18. März 1996: NRW-Umweltministerin Höhn erlässt Baustopp, da das Bürgerbegehren aufschiebende Wirkung habe; Ruschmeier weigert sich.

März 1996: Ablehnung des Bürgerbegehren durch Regierungspräsident Antwerpes. Begründung: Rechtswidrig durch einen formalen Fehler, weil sich das Begehren gegen ein bereits verabschiedetes Projekt richtet und die Frist zur Durchführung eines Bürgerbegehrens nicht gewahrt wurde. Das Kölner Verwaltungsgericht bestätigt später diese Rechtsauffassung.

25. März 1996: NRW-Umweltministerin Höhn leitet ein Befangenheitsverfahren gegen Regierungspräsident Antwerpes ein. Erneute Anweisung sofortigen Baustopps, sonst drohe der AVG eine Ordnungsstrafe von 100.000 DM.

28. März 1996: ‘Kniefall von Düsseldorf’ - Regierungspräsident Antwerpes äußert sich im Umweltministerium bezüglich der »Befangenheitsbesorgnis«. Diese betrifft auch das Telefonat am 22. Juli 1992, in dem Antwerpes Ruschmeier die Firma Steinmüller nahelegte. Das sei keine »Weisung« gewesen, sondern ein »Ratschlag«, erklärt Antwerpes.

10. April 1996: Grundsteinlegung zur MVA (der erste Spatenstich schon 1994).

Dezember 1996: Sieben Privatpersonen erstatten Strafanzeige gegen Lothar Ruschmeier wegen Untreue und Nötigung. Hintergrund ist Ruschmeiers Aussage, einen Vertrag unterschrieben zu haben, dessen Nichteinhaltung Kosten von 320 Millionen DM verursachen würde. Die Staatsanwaltschaft stellt fest, dass im Vertrag überhaupt keine Schadensersatzleistungen geregelt waren. Sie will daraufhin das Verfahren einstellen.

August 1997: Beschwerde gegen die geplante Einstellung des Strafverfahrens gegen Lothar Ruschmeier, das wieder aufgenommen wird.

September 1997: Bericht in der StadtRevue über den Prozess gegen Oberstadtdirektor Ruschmeier und die Tatsache, dass Stadt und Öffentlichkeit mit einem fragwürdigen Argument unter Druck gesetzt worden seien: 320 Millionen DM Schadensersatz, die aber nicht vertraglich festgelegt, sondern lediglich von der Firma Steinmüller angemahnt waren.

Ruschmeier erwirkt gegen den Artikel eine einstweilige Verfügung, die am 8. Oktober vom Kölner Landgericht bestätigt wird: die Behauptungen bezüglich Ruschmeiers Glaubwürdigkeit müssen von der StadtRevue nicht widerrufen, dürfen aber auch nicht wiederholt werden.

Januar 1998: Inbetriebnahme der MVA.

März 1998: Das Verwaltungsgericht Köln entscheidet nach einer Klage durch die KIMM, dass die Gebühren für die Müllentsorgung in den Jahren 1994-1996 überhöht waren. Grund dafür ist auch die bei weitem zu groß geplante MVA. Nach der Berufung bestätigte das OVG Münster dieses Urteil im Juni 2000. Die Stadt muss den Betrag zurückzahlen: rechtlich nur an die Kläger, aber nach den vollmundigen Versprechungen des siegessicheren Oberstadtdirektors Lothar Ruschmeier haben die Klagen und Urteile für alle Bürger Gültigkeit.

September 1999: Kommunalwahl in NRW. Wie Hellmut Trienekens (11.3.2002, Süddeutsche Zeitung) berichtet, habe SPD-Fraktionschef Norbert Rüther in diesem Zusammenhang viele Industrielle »massiv angebettelt«, die Spenden von Trienekens (»unter 100.000 DM«) seien für den Wahlkampf des SPD-Oberbürgermeister-Kandidaten Klaus Heugel bestimmt gewesen, der zugleich dem Aufsichtsrat der AVG vorsteht.

29. August 1999: Erklärung des Oberbürgermeister-Kandidaten der SPD (und AVG- Aufsichtsratsvorsitzenden), Klaus Heugel, am 12. September bei der Kommunalwahl nicht mehr zu kandidieren. Heugel wird wegen verbotener Aktien-Insidergeschäfte am 20. März 2000 zu 37.500 DM Geldstrafe verurteilt und gibt im sein Parteibuch ab. Heugel hatte Insider-Wissen vorteilhaft verwendet, das er als Aufsichtsratsvorsitzender der Kölner Stadtwerke erworben hatte. Norbert Rüther, enger Vertrauter von Heugel, ist nicht bereit, mit diesem zurückzutreten.

1999: Johannes Werner-Hamm (CDU) übernimmt nach der politischen Wende den Posten des AVG-Aufsichtsratsvorsitzenden von Klaus Heugel. Er führt ein Gespräch mit der Staatsanwaltschaft, da er Gerüchten von Bestechungsvorwürfen in der Größenordnung von etwa 10 Millionen Euro vernommen habe. Es finden sich keine konkreten Anhaltspunkte.

Juni 2000: Ein anonymer Anruf mit großem Detailwissen bringt die Steuerfahndung auf die Spur der Müll-Unternehmen, diese fertigt zunächst einen Vermerk an.

29. Juni 2000: Die AVG stellt beim Kölner Regierungspräsidenten unter Umgehung der Ratsgremien einen Antrag auf Kapazitätserweiterung.

16. August 2000: Weitere Privatisierung des Abfallgeschäfts. Verkauf von 49,9% der Kölner Abfallwirtschaftsbetriebe (AWB) für 60 Millionen DM an die Firma Trienekens, obwohl die Firma Rethmann zuletzt 100 Millionen bietet. CDU, FDP und Republikaner setzen dennoch per Dringlichkeitsbeschluss den Verkauf an Trienekens durch und begründen dies mit der zugesagten Gebührenstabilität sowie vereinbarter Zusatzleistungen.

20. September 2000: Der Regierungspräsident erteilt einen Genehmigungsbescheid für die Ausweitung der jährlich zu verbrennenden Abfallkapazität der Kölner MVA auf 569.000 Tonnen. Ein Ratsbeschluss liegt hierfür nicht vor.

2001: Ermittlungen der Kölner Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf Bestechung, Steuerhinterziehung und Untreue beginnen. Sie konzentrieren sich auf Geldzahlungen von 29 Millionen DM im Zusammenhang mit dem Bau der MVA.

Müllgebühren in Köln steigen durch die teure MVA immer weiter. Zum Vergleich: die 120-Liter-Tonne kostete 1992 noch 242 Mark, jetzt über 800 Mark.

24. Februar 2002: Bundesweite Razzien in Wohnungen und Büros. Dabei übersieht die Staatsanwaltschaft die Immunität von Hardy Fuß, Geschäftsführer der Mönchengladbacher Trienekens-Tochterfirma UTG, die für die Vergabe des MVA-Bauauftrags an die Firma Steinmüller sorgte. Hardy Fuß ist zugleich Landtagsabgeordneter der SPD.

26. Februar 2002: Verhaftung des Ex-Managers der L+C Steinmüller GmbH, Sigfrid Michelfelder, und des Geschäftsführers der AVG, Ulrich Eisermann wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr. Michelfelder soll laut Staatsanwaltschaft sieben Millionen Euro Firmenvermögen durch Umleitung selbst kassiert und über mehrere Jahre vier Millionen Euro Bestechungsgeld an Eisermann gezahlt haben, damit dieser für die Vergabe des lukrativen Bauauftrages der MVA sorge.