»Runter mit den weißen Tischdecken!«

Was ist los in der Kölner Gastro­nomie? Wird gute Küche zur Nebensache, geht es nur um den Event? Christian Meier-Oehlke und Bernd Wilberg trafen sich mit Martin Schlüter, der gleich drei Kneipen­restaurants in der Stadt hat, André Sauer vom King Georg und Deutschlands wohl bekanntester Sommelière Christina Fischer im »Fischer’s Weingenuss & Tafelfreuden« zum Frühstück.

StadtRevue: Sie alle sind nicht nur Gastrono­men, sondern auch mal Gäste. Wo waren Sie zuletzt essen?

Martin Schlüter: Ich komme viel zu selten dazu, auszugehen. Zuletzt war ich mit meiner Frau im Neideck am Friesenwall, das war aber im März oder April. Ansonsten mag ich auch Brauhauskultur, wenn es die Zeit erlaubt.

Christina Fischer: Ich nehme mir seit neuestem mehr Zeit, um auszugehen. Heute Abend geh ich zu Erhard Schäfer ins Landhaus Kuckuck, da bin ich sehr gespannt! Ich liebe auch das Le Moissonnier an der Krefelder Straße. Aber ich mag ebenso wie Herr Schlüter die Brauhauskultur. Auf meinem Heimweg ist das Haus Schwan auf der Dürener Straße einer meiner Lieblinge. Und man muss auch schauen, was sich in der Szene­gastronomie tut: Wie sieht’s da aus? Welche Einrichtung kommt bei den Leuten an? Aber wenn man mal frei hat, ist man auch froh, wenn man mal zu Hause ist.

André Sauer: Ich war zuletzt mit meiner Fami­lie im ehemaligen Schäfers an der Dürener Straße essen. Das ist ein Kultladen für die Kölschszene, der jetzt meinem Cousin gehört. Ich komme aus einer Gastronomen-Familie, die in Köln seit vierzig Jahren im Geschäft ist.

Martin Schlüter: Da geh ich auch gern hin!

Köln steht primär für Brauhauskultur und Kölsch.
Die meisten Weinkarten sind langweilig, bieten kaum Entdeckungen: belang­lose Italiener, Heger Grau­bur­gunder ...


Fischer: Ja, die haben gute Verkäufer! (lacht)

... und was sagen Sie als Sommelière dazu?

Fischer: Köln ist hier zwar rückständig, aber es ist grundsätzlich ein Problem, denn in Deutschland wird kaum Weinkultur gelebt. Es gibt zu wenig Weinwissen. Und was die Mitarbeiter nicht kennen, das verkauft sich auch schlecht. So wird halt der Heger Grauburgunder jedes Jahr neu bestellt. Und im Lokal wird man oft lediglich gefragt: Rot oder weiß? So ist das Niveau! Dann bekommt man einen
Italiener aus dem Großhandel, der gar nicht schmeckt.

Schlüter: Es gibt allerdings Kneipen, die neben Kölsch ein paar einfache, aber gute deutsche Weine anbieten. So etwas gibt es aber viel zu wenig. In Köln sind Bierbranche und Brauereien sehr stark. Für mich als Unternehmer ist das gut, weil ich mit meinen zwanzig offenen Weinen eine Nische besetze. Mal abgesehen von den üblichen ausgewiesenen Weinlokalen. Wein zieht gute Gäste, sorgt für Esskultur. In einem bistroähnlichem Konzept wie dem Schlüters ist Wein der Image­bringer!

Frau Fischer, Sie haben vor fünf Jahren in einem Interview gesagt, die Leute entwickelten allmählich ein Bewusstsein für Qualität. War Ihre Prognose falsch?

Fischer: Das war bezogen auf meinen Kreis. Die Gesellschaft insgesamt ist nicht viel weiter. Ich kenne Leute, die kaufen bei Aldi und erzählen mir dann stolz, was sie für einen tollen Wein geschossen hätten. Für 2,99! Bei Autos und Handys sind die Leute anspruchsvoller und informierter.

Schlüter: Ich erkenne schon einen Fortschritt. Gäste, die vor zehn Jahren bloß Kölsch, Caipirinha oder Apfelschorle getrunken haben, sagen heute auch mal: Ich hätte gerne eine schönen, nicht zu spritzigen Riesling.

Sauer: Ich finde trotzdem die meisten Weinkarten belanglos. Das liegt aber an der Gastronomie, die ja die Aufgabe hätte, ihre Gäste auch zu guten Produkten hinzuführen. Die meisten kaufen ja im Supermarkt. Deshalb ist Wein ein Mitnahmegetränk wie Cola. Dann greifen die Menschen bloß zu Stilen und Rebsorten, die von der Branche besonders vermarktet werden.

Ist die Kölner Gastronomie mutlos?

Sauer: Ja. Wo ist die Kreativität? Wer wagt was Neues und wird dabei von der Stadt unterstützt? Viele Gastronomen scheißen irgendwas auf ihre Karten, die sind verbittert. Und denen sind auch die Gäste egal.

Schlüter: Bei Neueröffnungen nehmen Gastronomen zwar viel Geld für Design in die Hand, bis hin zum Hörspiel auf den Toiletten. Aber dann gibt es bloß langweiligen Chardonnay und Pinot Grigio. Aber es gibt sieben Sirup­sorten für den Kaffee!

Wir stellen häufig fest, dass gerade im mittleren Segment die Preise zu hoch und die Speisen und Getränke dafür zu schlecht sind.

Sauer: Das stimmt. Ich bin oft mit Kollegen aus der Musikbranche draußen essen. Da liegt mein Budget mittags bei sieben Euro, abends im Restaurant kann ich für ein Hauptgericht nicht mehr als 15 Euro zahlen. Aber da finde ich in Köln nichts, wo ich öfters hingehen möchte.

Fischer: Schnelligkeit ist den meisten wichtig. Man sieht ja auch kaum, dass jemand mal den Geruch eines Essens aufnimmt – dabei kann selbst ein gutes Schinkenbrot ein Erlebnis sein. Ich glaube, vielen fehlt dieses Bewusstsein für Genuss.

Und deshalb ist der berüchtigte Salat mit Putenbruststreifen nicht totzukriegen?

Sauer: Die meisten interessieren sich eben nicht dafür, was sie in ihren Mund reinstecken. Sonst gäbe es wohl nicht so viele Mexi­kaner, die Tiefkühlware zu Höchst­preisen anbieten. Die Leute wollen schnell.

Fischer: In Deutschland gibt man zum Beispiel viel weniger für Lebensmittel aus als in Frankreich. Das ist symptomatisch für die Ess- und Trinkkultur in Deutsch­land. Nach wie vor machen sich doch die wenigsten Gedanken darüber. Oft gibt es ja kaum noch richtige Bäcker oder Metzger, stattdessen Lidl, Penny, Aldi.

Schlüter: Ich kann Herrn Sauer nicht ganz zustimmen. Ich merke schon, dass es in Neu-Ehrenfeld und Braunsfeld, wo ich zwei Lokale habe, eine anspruchsvolle Klientel gibt. Da wird schon der Fokus auf Qualität gelegt. Die fragen auch: Wer kocht denn heute? Woher kommt der Grauburgunder? In der Innenstadt mit der Laufkundschaft mag das anders sein. Da geht es eher darum, dass dort was los ist.

Fischer: Interessant ist, dass die Preise vieler Läden – die in der Innen­stadt etwa und am Ring – nur wenig güns­ti­ger sind als in Restaurants des guten mittleren Segments, wo aber die Qualität ungleich höher ist!

Sauer: Andererseits verschließen sich auch Spitzenrestaurants den Leuten, die gerne öfters und gut essen gehen wollen. Dieser ganze Luxus, die­ses Drumherum, das treibt die Preise nach oben. Ich denke mir: Runter mit den weißen Tischdecken, ich brauche auch keine sechs Bestecke – das Essen sollte der Star des Abends sein. Einfache Gastronomie mit anspruchsvoller Küche – das fehlt meiner Meinung nach in Köln.

Lohnt sich hochwertige Gastronomie nicht mehr? Frau Fischer, Sie öffnen nur noch freitags und samstags und für Gruppen nach Voranmeldung ...

Fischer: Man muss seine Zahlen kennen, um zu sehen, wo es hakt. Die Auslastung muss hoch sein, damit es sich betriebswirtschaftlich trägt. Nur ein Restaurant mit fünfzig Plätzen im mittleren Segment, das rechnet sich nicht. Wenn ich an einem Abend nur drei Tische habe, müsste ich an einem anderen Tag quasi dreimal besetzen, um die Auslastung zu haben. Wenn man aber dreißig Personen hat, die etwa an einem Abend einen gesonderten Veranstaltungsraum buchen und ein festes Menü anmelden, kann man besser kalkulieren. Ganz ehrlich: Mein Restaurant allein wäre wirtschaftlich nicht tragbar. So sind unsere Randgeschäfte entstanden: Weinseminare, Koch­kurse und so weiter.

Schlüter: Es ist sehr schwierig, in der Gastronomie Geld zu verdienen. Die Kosten sind enorm hoch, die gesellschaftliche Anerkennung gering. Das merkt man auch bei Behörden. Wenn man Konzessionen be­antragen möchte, spürt man eine klare Anti-Haltung. Man wird nicht ermuntert, sondern etwa auf bürokratische Details hin­ge­wiesen. Wir hatten in Brauns­feld den ersten Tag auf. Mittagstisch, die Bude war rappelvoll. Prompt kam das Ordnungsamt: Sie haben noch keine Genehmigung, wenn Sie nicht in zehn Minuten schließen, gibt es Ärger.

Viele Gastronomen setzen verstärkt auf Catering, Wein­proben, Kochkurse, Events. Ist das die Lösung?

Fischer: Meine Weinseminare sind eine Weiterentwicklung, das Catering auch. Catering ist ein interessantes Feld, denn ich kann alle Kosten weitergeben. Sie zahlen wie beim Handwerker jede Stunde jedes Kochs. Im Restaurant ist dagegen alles inklusive: die Tischdecke, das Brot, der Azubi. Ich hatte im Restaurant bis zu dreißig Mitarbeiter, das waren unerhörte Kosten. Ohne einen Raum für Sonderveranstaltungen brauchen Sie zurzeit 100 bis 150 Plätze, um betriebswirtschaftlich arbeiten zu können. Solche Läden gibt es in vielen europäischen Städten, etwa in London. Und dort sind sie auch voll.

Sauer: Ja, weil die Menschen dort anders sozialisiert sind. Man isst abends mit Freunden, sitzt gerne zusammen am Tisch und widmet sich mit Genuss dem Essen und Trinken. Das fehlt hier. Stattdessen sitzen die Leute in Lokalen, wo sie 15 Euro für Tiefkühlkost ausgeben.

Auch Atmosphäre spielt wohl eine große Rolle.
Herr Sauer, Sie profitieren davon auch in Ihrem King Georg. Und es gibt ja auch eine bestimmte Schlüters-Atmosphäre, eine Fischers-Atmosphäre ...


Sauer: Absolut. Was wir machen, ist echt. Und das merken die Leute. Im King Georg zum Beispiel geht’s um gute Musik, Atmosphäre und gute Geträn­ke. Jeder Gast wird freundlich behandelt, aber man sollte sich auch benehmen. Das ist das Geheimnis der guten Läden: Qualität in allen Dingen.

Schlüter: Der Gast will Verlässlichkeit. Essen, Getränke, Atmosphäre, Musik – das Paket muss stimmen und Wiedererkennungswert haben. Ich wurde nach dem Delix von der All Bar One abgeworben, sollte dann acht Wochen zum Training nach London, um danach die Kölner Filiale zu leiten. Nach vier Tagen war ich wieder hier und wusste, was ich nicht machen wollte. Atmosphäre, Einrichtung, Kleidung der Mitarbeiter – alles nicht schlecht, aber die Qualität stimmte absolut nicht! Das ist bei uns hier in der Runde anders: Man bekommt bei uns anständigen Wein zum anständigen Preis – bei Frau Fischer natürlich in ganz anderen Segmenten, aber die Gemein­samkeiten sind da. In Weidenpesch mussten wir allerdings unsere Ideen dem Publikum und Standort anpassen, man macht also nicht nur positive Erfahrun­gen. Mein Geschäftspartner und Geschäftsführer vor Ort hat dann etwa Öffnungszeiten und Speise­karte entsprechend geändert, was viele positive Veränderungen brachte. In Ehrenfeld hingegen klappt die Sache exzellent: Restaurantleiter, Chefkoch und ich ziehen an einem Strang. In Braunsfeld ist der Erfolg des Schlüters ganz klar an die Präsenz von meiner Frau und mir gebunden. Die Leute wollen bekannte Gesichter.

Frau Fischer, hat Ihre TV-Präsenz beim Kochduell auf Vox dazu geführt, dass mehr Leute in Ihr Restaurant kamen?

Fischer: Klar, für das Kochduell hätte eigentlich ich Geld zahlen müssen, nicht der Sender! Das war ein toller Werbeträger, gastronomisch gesehen. Wir waren danach drei Jahre nonstop ausgebucht.

Stichwort Koch-Shows: Ändert sich dadurch das Bewusstsein? Es gibt ja die These, dass diese Shows eine neue Form des Abendessens seien: Man trifft sich vor der Glotze, isst Tiefkühlpizza und schaut sich an, was da Tolles gekocht wird. Kommen jetzt vermehrt Gäste mit dem Halbwissen dieser Shows?

Fischer: Nun ja, der Wein hat im Fernsehen leider nicht Fuß gefasst...

Schlüter: Aber die Shows helfen der Gastronomie. Die Gäste entwickeln schon Qualitätsbewusstsein. Gleichzeitig versauen sie den Konsumenten: Manche Leute meinen ernsthaft, wenn sie Johann Lafer zugucken, könnten sie danach Köche belehren, die das drei Jahre gelernt haben. Wir flachsen mit unseren Köchen schon mal darüber. Das ist so absurd, die Leute denken, sie könnten besser kochen als diejenigen, die eine Ausbildung haben. Das sind die selben Leute, die mit dicken Autos vorfahren und dann anfangen, über die Weinpreise zu diskutieren.

Fischer: Ich schaue mir Koch-Shows nicht mehr an, das geht mir auf den Geist. Immer Duelle, Kampf, Konkurrenz. Langfristig helfen die Shows auch nicht, dass die Leute besser kochen oder sich besser mit Produkten auskennen.

Herr Sauer, Sie haben bislang immer bestehende Gastronomien übernommen, das Flair erhalten und neue Gäste angesprochen. Ist das Ihr Trick, um der Krise zu begegnen?

Sauer: Nein, das ist der einfachste Einstieg in die Gastronomie. Ich hatte nie Budget für Einrichtung. Ich habe auch keinen Ergeiz, Läden neu einzurichten, das interessiert mich nicht. Ein Stuhl für 800 Euro sieht prima aus, aber die Leute sitzen schlussendlich nur drauf. Ich habe viele Ideen, was die Wiederbelebung von Gastronomien in Außenbezirken angeht. Da habe ich mit einer Kölner Brauerei ein Konzept erarbeitet, das nennt sich »Meine Kneipe«.

Und wie funktioniert das?

Sauer: Die beste Idee wird von einer Jury ausgewählt und von der Brauerei mit 20.000 Euro Starthilfe ausgestattet. Alte Hasen schaffen jungen Leuten, die noch Power haben, ein Forum für ihre gastronomischen Ideen. Es gab 250 Bewerbungen, alle wollten in den verwais­ten Subbelrather Hof nach Ehrenfeld. Das könnte ich mir auch für Restaurants vorstellen, das ist ein geeignetes Mittel, Leer­stände neu zu belegen. Diese alten Orte sollten nicht verlorengehen, das King Georg ist der letzte Laden seiner Art. Da hat man fast einen kulturellen Auftrag.

Schlüter: Die Kneipenkultur muss ja auch erhalten bleiben! Die hat ihre Berechtigung: Heimat, zeitgemäße Musik, Bierkultur. Das hat Zukunft. Alle reden über das Kneipensterben, das ist ein Weg, das aufzuhalten.

Wie sähe denn ihre ideale Gastronomie aus – als Gast?

Schlüter: Regionaltypische Spezialitäten, etwa im Rheingau, am Bodensee, im Schwarzwald. Guter Wein, gut gezapftes Bier, eine Betreiberfamilie mit Herzblut und Liebe zu den Produkten.

Fischer: Das sehe ich genau so. Im Süden läuft die Gastronomie. Das Preisniveau ist einfach auch anders. Ich gehe gerne aus, habe Spaß an regiona­len Produkten. Mir macht Gastronomie mit großem Weinprogramm Spaß. Aber ich möchte keine schicke Weinbar. Ich möchte ein Gasthaus mit einfachen Tischen.

Sauer: Ich habe mich an vielen Orten schon so unheimlich wohl gefühlt. Ich fühle mich da wohl, wo ich vom Kellner nett empfangen werde. Ich war vor zwei Wochen in Prag, da brauchte ich teilweise zwei Stunden, um ein Restaurant zu finden, weil irgendwas immer nicht stimmte. Man hat im Urlaub ja auch die Zeit. Irgendwann fand ich mich an der Moldau wieder, in einem Lokal, in dem ­alles passte.

Und was nervt Sie manchmal an Gästen?

Schlüter: Der Gast ist König, muss sich aber auch benehmen wie ein Bürger. Daran hapert es leider oft. Man muss selbstbewusst mit schwierigen Gästen umgehen. Wir mischen zum Beispiel im Schlüters kein Bier, weil wir uns auch dem Produkt Bier verpflichtet fühlen. Das hat schon zu manchen Diskussionen mit Gästen geführt, die auf ihrem Radler bestanden. In Weidenpesch mussten wir aus öko­nomischen Gründen leider einlenken.

Sauer: Die Gastronomie sollte den Gästen auch Qualität näher bringen. Man muss keine Coca Cola anbieten, da der Konzern ideologisch ein Albtraum ist. Wir bieten im King Georg Premium-Cola an, außerdem Bio-Säfte, Bio-Zitronenlimonade. Es geht mir um kor­rekte Marken. Unsere Gäste schät­zen das auch.

Fischer: Gasthaus hat mit Gastlichkeit zu tun. In Deutschland haben wir leider ein Dienstleistungsproblem.

Schlüter: Übrigens, Frau Fischer: Selten so gut gefrühstückt!

(Lachen in der Runde)

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