Ein deutsches Thema

Keine falschen Illusionen: ­Michael Haneke über seinen Cannes-Gewinner »Das weiße Band«, idiotische Fernseh­sender und künstlerische Freiheit

StadtRevue: Wie frei können Sie durch ihren Erfolg arbeiten?

­Michael Haneke: Ich kann mir inzwischen schon mehr oder weni­ger leisten, so zu arbeiten, wie ich möchte – das darf ich eigentlich gar nicht so laut sagen. Ich habe mir aber nie reinreden lassen. Am Anfang meiner Karriere sind daher auch einige Projekte nicht zu­stande gekommen. Man muss sich nicht streiten. Man muss nur sagen: Entweder wir machen es so, oder ich mache es nicht.

Dennoch gibt es das Gerücht, dass »Das weiße Band« im Fernsehen in Farbe gezeigt werden soll.

Das ist ein Kinofilm und für die Kinoauswertung ist das Schwarzweiß absolut zwingend. Die Fernsehanstalten behaupten, Schwarzweiß sei nicht sendbar, weil dann die Leute anrufen und sagen, mein Gerät ist kaputt. Es kann also sein, dass irgendein idiotischer Sender sagt, wir wollen den Film in Farbe senden – was ich nicht hoffe.

Warum haben Sie in Schwarzweiß gedreht?

Alles Bildmaterial, das es aus der Zeit gibt, in der »Das weiße Band« spielt, ist Schwarzweiß. Durch die Erfindung der Fotografie und des Films ist der Beginn des 20. Jahrhunderts in unseren Köpfen Schwarzweiß. Wenn Sie heute einen Film über das 18. Jahrhundert oder frühere Zeiten drehen, wird der in Farbe sein, weil das einzige Bildmaterial, das wir aus dieser Zeit kennen, farbige Gemälde sind. Der Hauptgrund war also, dass man leichter in diese optische Atmosphäre eintreten kann. Außerdem bewirkt es natürlich eine Distanzierung. So wie der Erzähler in dem Film ja auch dazu dient, die Geschichte auf eine Art Sockel zu stellen. Farbe gibt immer so eine falsche Illusion von Naturalismus.

Durch den Erzähler wird die Illusion einer Literaturverfilmung erweckt.

Man sucht natürlich immer die Form, die dem Inhalt am angemessensten ist. Beim Schreiben dieser Erzählerstimme habe ich mich an Fontane orientiert, damit man leichter in diese Atmosphäre eintauchen kann. Der Erzähler sorgt aber zugleich ebenso für Distanz, er rückt die Geschichte ein bisschen mehr ins Objektive.

Das Presseheft zum Film beginnt mit dem Satz: »Ein Dorf im protestantischen Norden Deutschlands«. Inwiefern ist die Religion wichtig für den Film?

Das ist einfach ein Faktum. Das geistige Klima von jedem Land wird natürlich von der Religion geprägt. Mein Vater war evangelisch, was in Österreich eine absolute Rarität ist. Als Kind hat mich schon die Strenge und der Elitismus dieser Religion fasziniert. Die Protestanten haben ja ein ganz direktes Verhältnis zur Instanz da oben. Da gibt es keinen Priester dazwischen, der ihnen vergeben kann. Das hat etwas sehr Intellektuelles und Arrogantes. Das hat mir mit vierzehn sehr gut gefallen. (lacht).

In der Pressekonferenz zur Welt­premiere in Cannes haben Sie gesagt, es gehe in »Das weiße Band« um die »Wurzeln des Terrors«. Können Sie das genauer erklären?

Ich hatte einfach die Idee, einen Film über einen Kinderchor zu drehen, der die Prinzipien seiner Erzieher verabsolutiert und sich dadurch zum Richter derer aufschwingt, die diese Werte nur pre­digen, aber nicht leben. Alle Fana­tiker – aus welchen Gründen sie auch immer Fanatiker werden – verabsolutieren Regeln und Gesetze, und in dem Moment werden sie unmenschlich. Dabei ist es egal, ob sie politisch rechts oder links stehen oder religiös sind. Der Fanatiker fühlt sich im Besitz der Weisheit und alle anderen sind die Feinde. Das ist die Wurzel jedes Terrorismus. Davon handelt der Film.

Das klingt sehr allgemein, inwiefern zielt der Film spezifisch auf die deutsche Geschichte?

Im Ausland möchte ich »Das weiße Band« auch gern allgemein ver­standen wissen, in Deutschland da­gegen sehr spezifisch. Der Unter­titel: »Eine deutsche Kindergeschichte« ist in Sütterlin geschrieben, was nur die Deutschen lesen können. Das wird auch nirgendwo übersetzt, weder auf dem Plakat noch im Film. Ich will aber vermeiden, dass Ausländer sagen, das betrifft ja nur die Deutschen. Als ich mit meinem ersten Film in Cannes war, gab es eine Diskus­sion nach einer Vorführung. Da ist eine Frau aufgestanden und hat gefragt: Ist denn Österreich wirklich ein so schreckliches Land? Sie fühlte sich offenbar nicht angesprochen. Sie hat gedacht, das kann ja nur in Österreich so sein, bei uns ist das ganz anders. Aus dieser Erfahrung heraus betone ich die allgemeine Seite von »Das weiße Band«, wenn ich im Ausland bin. Wenn ich in Deutschland sein werde, werde ich schon darauf insistieren, dass das ein deutsches Thema ist.

Peter Haneke
Haneke wurde in München geboren, ist aber
österreichischer Staatsbürger. Er begann in den 70ern mit Literaturverfilmungen für das Fernsehen. Seit den späten 80er Jahren hat er zehn Spielfilme gedreht, die fast alle inter­national ausgezeichnet wurden, dar­unter »Benny’s Video« (1992), »Funny Games« (1997), »Die Klavierspielerin« (2001) und »Caché« (2005).