Leit- und Leidfrage: Was ist politisches ­Theater?

Köln verleiht seit 2007 den Kurt-Hackenberg-Preis für politisches Theater. Andrea Hoßfeld und ­­

Jurymitglied Rainer Hofmann über die Suche nach mehr Wirklichkeit beim Theatermachen

StadtRevue: Frau Hoßfeld, Sie sind von der Besucherorganisation Freie Volksbühne e.V., die den Kurt-Hackenberg-Preis auslobt. Wie kam es zu diesem Preis und zur Namens­findung?

Andrea Hoßfeld: Vor drei Jahren feierte die Freie Volksbühne ihr 85-jähriges Bestehen. Wir fanden das eine gute Gelegenheit, uns wieder mehr politisches Profil zu geben. Wir fanden, dass ein Preis für politisches Theater dem bestehenden Kölner Theaterpreis gut ansteht. Kurt Hackenberg hat als Kulturdezernent unheimlich viel bewegt in Köln. Er ist Aufgaben beherzt angegangen, unbürokratisch, netzwerkend und hat dadurch eine Menge initiiert.

Die Volksbühnen-Bewegung entwickelte sich in den 20er Jahren aus dem gesellschaftspolitischen Impuls, Arbeitern Zugang zu Kultur zu ermöglichen und ihr politisches Bewusstsein zu stärken. Brecht und Piscator standen Pate. Wie viel von ihnen steckt in dem Preis?

Rainer Hofmann: Bei Brecht ist wahrscheinlich das ästhetische Programm viel wichtiger als die Stücke, von denen zurecht nur noch wenige gespielt werden. Heute, in ganz anderen Zeiten, lautet die Aufgabe, mit welcher Ästhetik sich durch Theater politische Fragen stellen lassen.

AH: Seit Astrid Völker Geschäftsführerin ist, hat sie versucht, der Volksbühne eine politischere Struktur zu geben. Wir bieten zum Beispiel Themenabonnements zu politischen Fragestellungen an. Das läuft überhaupt nicht. Unsere Klientel findet formale und ästhetische Experimente meistens nicht so toll. Sie möchte sich eher an Formen festhalten, die sie kennt.

RH: Interessant wird es aber, wenn man im Theater Überforderung zugibt und herstellt. Also gerade nicht Sicherheiten zum Festhalten bieten. Das leicht Verständliche ist nicht unbedingt das Politische.

AH: Aber es hat keinen Sinn, wenn wir Zuschauer in die Halle Kalk zu Laurent Chétouanes »Faust« schicken, wenn sie sonst ins Theater am Dom gehen. Wir können sie nicht völlig überfordern, sonst werden sie das letzte Mal in so eine Inszenierung gegangen sein.

Der gesellschaftspolitische, erzieherische Vorsatz der Volksbühnenbewegung scheint verloren gegangen zu sein.

RH: Die Volksbühnenbewegung hatte das Ziel, Arbeitern und Angestellten Kultur zu ermöglichen und sie politisch zu bilden. Doch was, wenn die nicht mehr wollen? Aufklärung ist ein komplizierteres Projekt geworden. Ich wüsste nicht mehr, wie ich eine aufklärerische Utopie beschreiben sollte. Ein konkretes Ziel für ein politisches Theater ist offensichtlich schwierig zu formulieren. Es geht vielmehr um die Suche nach einer politischen Haltung. Wie versuchen Theatermacher heute, der Wirklichkeit beizukommen?

Erschöpft sich das Kölner politische Theater in dieser Frage?

AH: Ästhetische und inhaltliche Kriterien machen eine Inszenierung politisch...

RH: ...beispielsweise, wenn das Analog-Theater in »Die vierte Generation«, das im letzten Jahr für den Preis nominiert war, das Scheitern einer gesellschaftlichen Utopie verhandelt...

AH: Natürlich kann auch die Arbeitsweise eine Inszenierung als »politisch« kennzeichnen, wenn im Kollektiv statt in hierarchischen Strukturen gearbeitet wird.

Im Grundsatzpapier zum Preis steht sinngemäß: Politisch im Theater ist, was ein Juror für sich subjektiv als politisch wahrnimmt, sofern er es nachvollziehbar begründen kann. Wie wird auf dieser Basis eine Auswahl an Stücken getroffen, die für den Preis infrage kommen?

AH: Die Theater, freie Szene wie Schauspielhaus, versorgen uns vor Spielzeitbeginn mit Informationen zu ihren Inszenierungen. So können wir eine Liste für die Juroren erstellen. Manches fällt dabei von vorne herein heraus, Boulevardkomödien sind kein politisches Theater.

RH: Die Juroren ergänzen die Liste mit eigenen Vorschlägen. Wer etwas gesehen hat, das seiner Meinung nach infrage kommt, gibt die Informationen weiter. Nominiert werden Inszenierungen, für die sich genügend Befürworter finden. Bei der Preisvergabe wird das schwieriger. Da treffen, neben unterschiedlicher politischer Haltung, auch sehr unterschiedliche Blicke aufs Theater aufeinander. Wichtig ist uns, dass wir uns nicht auf einen Kompromiss-Kandidaten einigen.

Der Preis wird jetzt zum dritten ­
Mal vergeben. Lässt sich schön eine Auswirkung auf die Spielpläne der Szene er­kennen?


RH: Das kann in so kurzer Zeit nicht passieren. Meiner Meinung nach muss in Köln die Erwei­terung von Formen vorangetrieben werden. Wenn größere Räume, finanzielle Bedingungen, Ku­ratoren mit Geduld da wären, die das begleiten, würde sich mehr entwickeln. In den letzten Jahren hat das dokumentarisch-­suchende Theater eine politische Haltung gefunden, siehe das Kölner Duo Hofmann und Lindholm.

Ihr Wunsch für die Zukunft des Preises?

RH: Scharf denken.

AH: Ich würde mir von Theatermachern und Publikum eine stärkere Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft, unserer Wirklichkeit, wünschen. Mit allen Sinnen, ohne dass es etwas Seminaristisches bekommt.

RH: Also eine Repolitisierung des Volksbühnen-Publikums.


Der Preis
Der Kurt-Hackenberg-Preis 2009 wird am 7. Dezember zusammen mit den Kölner ­Tanz- und Theaterpreisen in der SK-Stiftung Kultur im Mediapark verliehen. ­
Er ist mit 5.000 Euro dotiert. Nominierungen: www.volksbuehne.de



Zu den Personen
Andrea Hoßfeld
ist Mitarbeiterin der Freie Volksbühne e.V., ­die ­Zuschauer mittels verschiedener Abonnementangebote ins Theater bringt. Sie war mitverantwortlich für die Kon­zeption des Kurt-Hackenberg-Preises.

Rainer Hofmann
ist Juror beim Kurt-Hackenberg-Preis und Produktionsverantwortlicher ­beim Festival Theater der Welt 2010 in ­Essen und Mülheim a.d.R. 2008 ­leitete er das Festival »Politik im ­Freien ­Theater« in Köln.