»Das sind alles Hippies!«

Auch in Köln wird gegen miserable Bedingungen

an den Hochschulen demonstriert – hartnäckiger,

breiter und vor allem digitaler als bislang

Von der Nacht sind noch Überreste da: Schlafsäcke, Isomatten, ein riesiger Topf mit Nudeln, ein Einkaufswagen voll leerer Bierflaschen. Die streikenden Studenten haben es sich gemütlich gemacht in der Aula der Humanwissenschaftlichen Fakultät – und sie halten durch, und das schon seit einigen Wochen. »Ich bin heute Nacht um vier nach Hause gegangen, weil ich morgen arbeiten musste und noch ein bisschen schlafen wollte«, sagt Thorsten, der Englisch und Geschichte auf Lehramt studiert. Die Nächte zuvor hat er aber auf dem Fußboden des Hörsaals verbracht. »Wir machen weiter, wenn nötig bis zur Landtagswahl«, betont der 26-Jährige, der vor seinem Macbook sitzt und gerade neue Videos der Besetzung bei YouTube hochlädt. Mit dem im November gestarteten bundesweiten Bildungsstreik ist der Protest endgültig im Web 2.0 angekommen. Die meisten anderen der rund hundert Studenten, die um die Mittagszeit in der Aula sind, sitzen ebenfalls vor ihren aufgeklappten Laptops: Sie schreiben Twitter-Meldungen, stellen Fotos bei Facebook ein oder bearbeiten Live-Streams für die Internetseite www.bildungsstreik-koeln.de.

Auch sonst hat sich seit dem gerne bemühten 68er-Vergleich die Protestkultur verändert: Teile des Lehrpersonals solidarisieren sich mit den Studenten, Konservative feuern die ehedem stets links dominierten Aktionen an. Die unterschiedlichen Fraktionen an den Hochschulen, die sich bislang argwöhnisch beäugten, beginnen sich zu vermischen.
Der Widersinn der Hochschulreformen, die seit den 90er Jahren durchgesetzt werden, ist zigtausendmal beschrieben worden. Studiengebühren sorgen dafür, dass Professorennachwuchs nur selten gemeinsam mit Arbeiterkindern studiert; das Bildungsniveau in Deutschland heben sie nicht. Die Bologna-Verschulung schränkt die individuelle Entfaltung ein; an Discounter-Abschlüssen »Bachelor« findet selbst die Wirtschaft keinen Gefallen mehr. Die Abhängigkeit der Hochschulen von Drittmitteln stößt zunehmend Menschen ab, nicht nur, weil industrielle Interessen immer stärker Forschung und Lehre bestimmen, sondern auch wegen der überhandnehmenden Projekthuberei. Die Unterfinanzierung, die an den Hochschulen seit Jahrzehnten zu miserablen Studienbedingungen führt, scheint im Grundgesetz festgelegt zu sein –wie sollte man sonst erklären, dass bisher niemand die im internationalen Vergleich dürftigen deutschen Bildungsetats ernsthaft aufzustocken wagt. Allerdings hat das alles gewöhnlich nur Proteste von Studierenden ausgelöst. Dem Lehrpersonal und dem bundesdeutschen Establishment war‘s mehr oder weniger egal.

Dies ändert sich. Einen der schärfsten Kommentare des Semesters gegen die Hochschulreformen publizierte ausgerechnet die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die Bologna-Reform könne »als gescheitert gelten«, schrieb das Blatt Ende November: Sie sei »ein wissenschaftsfernes Zwangskorsett«, das völlig zu Recht Widerstand hervorrufe. An Bachelor-Absolventen hätten die Konzerne nur wenig Interesse, und durch die Drittmittel-Abhängigkeit habe sich »eine hohle Inszenierung von Wissenschaft entwickelt«, eine dumpfe »Antragskultur«, die »an die Stelle der Argumentationskultur« getreten sei. Für den Bildungsstreik fand die FAZ lobende Worte: »Den ernsthaften Studenten geht es um den Kern der Universität: ein wissenschaftliches Studium.«

Tatsächlich schlagen sich inzwischen auch in Köln Teile des Lehrpersonals offen auf die Seite des Protests. Norbert Finzsch etwa, Professor für Anglo-Amerikanische Geschichte, solidarisierte sich Anfang Dezember mit den Studenten: Als er vor einigen Jahren Prorektor und mitverantwortlich für die Reformen gewesen sei, habe man jeden Widerstand leider ignoriert – aus heutiger Sicht ein Fehler, erklärte Finzsch auf einer Vollversammlung. »Trotz partiell unterschiedlicher Interessenlagen«, hatte das Dekanat der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften schon zuvor verlauten lassen, »arbeiten die streikenden Studierenden und das Dekanat auf der Basis gegenseitigen Respekts zusammen«. Die Streikenden bestätigen, dass sie Unterstützung von einer ganzen Reihe der Lehrenden erfahren. Diejenigen, die wie Universitätsrektor Axel Freimuth die Verhältnisse an den Hochschulen noch um jeden Preis verteidigen wollen, geraten immer mehr in die Defensive. Deshalb greift Freimuth zunehmend auf Security-Firmen und die Räumung besetzter Uni-Gebäude durch die Polizei zurück.

Auch die Kölner Studierenden treten deutlich offensiver als zuvor auf: So oft wie dieses Semester waren Aulen und Hörsäle lange nicht mehr besetzt. Dabei fällt auf: Federführend bei den Aktionen sind nicht mehr vorwiegend linke Strömungen, sondern oft Studenten, die sich neutral geben. »Kommunisten und Antifa« seien zwar präsent, hätten jedoch wenig Einfluss, heißt es bei den Organisatoren des Kölner Bildungsstreiks. In dem Maße, wie das Establishment auf Distanz zur Bologna-Reform geht, rücken die Besetzer in die politische Mitte. In manchen Uni-Städten beteiligen sich mittlerweile – einst undenkbar – sogar Verbindungsstudenten an den Streiks. Die Grenzen zwischen den Fraktionen an den Hochschulen verschwimmen auch hier.
Was jedoch nicht heißt, dass man sich gegenseitig schätzt: »Das sind doch alles Hippies! Die Ziele unterstütze ich auch, aber mit den Leuten will ich keinen Kontakt haben«, sagt eine 20-jährige BWL-Studentin, die gerade über den Albertus-Magnus-Platz eilt, um nicht zu spät zur Vorlesung zu kommen. Die dreißig Studenten, die mit Trillerpfeifen und neongelben Streikwesten, Plakate mit der Aufschrift »Reclaim your brain« hochhalten würdigt sie keines Blickes.