Und anschließend ins Duddel

Seit dreißig Jahren gibt es die Kölner Autorenwerkstatt.

Christian Steigels über Nachwuchsprobleme und behutsame Diskussionen.

 

Schwaden dichten Pfeifen- und Zigarettenqualms. Ein dunkles Hinterzimmer mit abgewetztem Holzmobiliar. Nervöse Männer und Frauen mit Rollkragenpullovern, die bei Kerzenschein Kette rauchen, schwarzen Kaffee trinken und sich mit großer Geste ihre Werke vorlesen. All das sucht man in der Kölner Auto­renwerkstatt vergebens.

Die Wahrheit sieht weit weniger glamourös aus: Ein fensterloser Raum, eine weiß­getünchte Backsteinwand. Stühle, an deren Farbe und Form man sich später nicht erinnern wird. Ein Stich zu helles Licht. Schweigend sitzen ein Dutzend Menschen in gebührlichem Sicherheitsabstand zueinander in Raum S 65 im Philosophikum der Universität und warten auf den Beginn.

Zwischen Schreibtisch und Lesebühne

Seit dreißig Jahren gibt es die Autorenwerkstatt an der Universität Köln. Das Prinzip: Junge Autoren stellen ihre noch unferti­gen Prosatexte, Gedichte oder Romanauszüge zur Diskussion. Leiter Bernd Weiden spricht gerne von der so genannten Voröffentlichkeit. Eine Zwischenstation zwischen dem heimi­schen Schreibtisch und der Lesebühne. Unter den Ehemaligen sind nicht wenige später bekannte Literaten: Böll-Preisträger Marcel Beyer, die Lyriker Norbert Hummelt und Thomas Kling oder die Bachmann-Preisträgerin Ulla Lenze.

Der Ablauf hat sich seit 1980 nicht groß geändert. Ein oder zwei Autoren pro Sitzung bringen für alle Kopien ihres Textes mit. Nach der Lesung wird dann diskutiert. Den Anfang macht heute die einzige Frau. Aski Elber liest ein lyrisches Requiem auf David Foster Wallace. Nach dem Text: Schweigen. Alle überfliegen das Blatt nochmal. Lesen noch ein Mal. Aus einem Nebenraum hört man die donnernde Stimme eines Dozenten, der ohne Unterlass redet. Hier dagegen immer noch Stille. Man hört das Rauschen der Lüftung, das Geräusch eines heruntergefallenen Kugelschreibers tönt lauter, als es ist.

Nach ein paar Minuten bricht Bernd Weiden das Schweigen. Er ist im Hauptberuf Psychologe, nebenher Lyriker. Seit 1995 ist er Leiter der Autorenwerkstatt. Die Unterscheidung zwischen Leiter und Teilnehmen­den ist nur äußerlich gewahrt. Weiden sitzt vorne, die Teilnehmer in den hinteren Reihen. Er sieht sich als Moderator. Konflikte gebe es aber ganz selten, sagt er.

Zwei Credit Points bei regelmäßiger Teilnahme

Langsam tasten sich die Autoren voran. Grundsätzlich stehen die meisten dem Text wohlwollend gegen­über. Ein wenig Kritik wird auch geäußert, am Wech­sel der Erzählperspektive und am Herumspringen zwischen Pronomina. Stellenweise kitschig und banal sei das zudem, und werde der Formensprache Foster Wallace’ nicht gerecht. Später wird Weiden entschul­digend erklären, dass die Texte heute so gut gewesen seien, dass die Diskussion so zurückhaltend ausfiel.

Man muss kein eingeschriebener Student sein, um teilnehmen zu können – formal ist die Autorenwerkstatt jedoch als Seminar am Institut für Deutsche Sprache und Literatur organisiert. Bei regelmäßiger Teilnahme gibt es zwei credit points. Unter den zehn Teilnehmern in diesem Wintersemester befinden sich nur wenige Studierende. Das liege auch an einem formellen Fehler im Online-Anmeldesystem vor dem Semester, erklärt Weiden.

Anstelle der jungen Studenten sind viele alte Bekannte der Kölner Literaten-Szene dabei: Lucien Deprijck, der die Lesereihe »Tafelrunde« moderiert. Oder Rainer Junghardt, Veranstalter der Reihe »Vier Stile – vier Stühle« im Severinsburgtheater. Beide be­suchten schon im letzten Jahrtausend die Werkstatt.

»Du kannst einfach nicht schreiben«

Die beiden gehören zu den Aktivposten der Diskussion. An der dürfen alle teilnehmen – mit Ausnahme des jeweiligen Autors. Denn das ist die vielleicht wichtigste Regel hier: Der Autor selbst darf sich zunächst nicht äußern. Lediglich am Ende der Diskussion darf noch ein kurzes Statement abgegeben werden. Damit will man vor allem unproduktive Kontroversen und Rechtfertigungsarien vermeiden.

Vom Furor der Gruppe 47, in der die ebenso zum Schweigen verdonnerten Autoren sich den teilweise wüsten Beschimpfungen ihrer Berufsgenossen ausgesetzt sahen, ist auch nach der zweiten Textprobe für heute – einer selbst-reflexiven Meditation über Krea­tives Schreiben von Deprijk – nichts zu sehen. Junghardt erzählt, dass ihm einmal jemand in der Diskussion vorwarf: »Du kannst einfach nicht schreiben.« Das ist aber auch schon das Maximum.

Studenten in der Minderheit

Jan-Erik Michelsen ist einer der wenigen Studenten. Gleich in der ersten Sitzung hat er ein Gedicht vorgestellt. Spannend und konstruktiv sei das gewesen, sagt er. Im nächsten Jahr wird er allerdings nicht mehr dabei sein. Er bekomme halt nur ein Mal Punkte für das Seminar, gibt er offen zu.

Michelsen gehört auch zu den wenigen, die nach der Sitzung nach Hause fahren. Für die anderen ist der Tag noch nicht beendet – traditionell geht es im Anschluss ins Café Duddel. Zur Fortführung der Diskussionsrunde unter gemütlicheren Vorzeichen. Und endlich wirkt das Ganze dann auch wie eine Autorenwerkstatt aus dem Handbuch der Klischees: Schwaden dichten Pfeifen- und Zigarettenrauchs, und ein dunkles Hinterzimmer mit abgewetz­tem Holzmobiliar. Nur Rollkragen trägt niemand.