Foto: Jürgen Sommer

Delikate Fußnoten

Zur Stadtarchiv-Ausstellung in Berlin gibt es eine

seltsame Geschichte und zwei Bücher: ein offizielles und ein inoffizielles

Der Brief von Walther König, der der StadtRevue zugespielt wurde, datiert vom 3. Februar. Adressaten sind 18 Kölner Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur. Man habe, so schreibt der Verleger, »18 lesbare, engagierte, meist ein wenig ironische Beiträge erhalten«. Mit dem geplanten Druck werde es jedoch nichts, so König weiter. »Leider hat Professor Quander, als Kulturdezernent oberster Chef des Historischen Archivs, die Veröffentlichung von drei Beiträgen abgelehnt.«

Zensur durch den Kulturdezernenten? Ein unerhörter Eingriff der Stadt Köln in die künstlerische Freiheit von Autoren und Verlegern? Der Reihe nach: Im letzten Jahr beschließt man in Köln eine Ausstellung zum Jahrestag des Archiveinsturzes. Auf Einladung von Direktor Gereon Sievernich soll von Anfang März bis Mitte April 2010 im Berliner Martin-Gropius-Bau die Ausstellung »Köln in Berlin – Nach dem Einsturz: Das Historische Archiv« einen Querschnitt aus den bisher geretteten Beständen zeigen. Die Stadt Köln will zur Ausstellung einen Begleitband herausbringen. Das Geld ist knapp, und so bittet man Walther König um Unterstützung. Der bietet bereitwillig an, Druck und Verlag zu übernehmen. Zudem macht er den Vorschlag, in Ergänzung zum direkt ausstellungsbezogenen Abschnitt noch einzelne Essays und »Statements« namhafter Kölner mit aufzunehmen. Die Herausgeber sind einverstanden.

Auch Kritik an Konrad Adenauer

Im Oktober letzten Jahres fragt König die Autoren an. Unter ihnen sind der Verleger Alfred Neven-DuMont, der Schriftsteller Jürgen Becker, der Künstler Gerhard Richter, Schauspiel-Intendantin Karin Beier und Kolumba-Direktor Stefan Kraus. Bis Mitte Januar liegen die Texte vor. Als Herausgeber prüfen auch die Verantwortlichen der Stadt die Inhalte. Als Kulturdezernent verantwortlich: Georg Quander. Der ist mit den meisten Beiträgen einverstanden – aber nicht mit allen. Die Texe von Adenauer-Enkel Konrad, Schriftsteller Navid Kermani sowie dem Publizist und Hochschulprofessor Friedrich Heubach stoßen nicht uneingeschränkt auf des Kulturdezernenten Begeisterung.

Warum, ist offensichtlich. Adenauer plädiert vehement für das Gereonskloster als neuen Archivstandort und gegen den vom Rat beschlossenen Neubau am Eifelwall. Der Text von Kermani, »ein sehr guter Text«, wie Quander anmerkt, findet klare Worte zum Wirken der Stadtverantwortlichen: »Der Einsturz des Archivs ist ein Sinnbild für die politische Verfasstheit der viertgrößten Stadt Deutschlands und den Umgang mit ihrem überreichen kulturellen Erbe«, schreibt der Islamwissenschaftler. Heubachs Text schließlich ist eine bitterböse Abrechnung mit der Kulturpolitik der Stadt Köln und ihren Protagonisten. Auch Quander wird erwähnt.

König nicht kompromissbereit

Der Kulturdezernent schlägt König vor, »einige wenige Sätze«, wie er auf Nachfrage der StadtRevue Anfang März sagt, herauszunehmen. Doch König sei nicht kompromissbereit gewesen. Entweder alle Texte vollständig oder keiner, da sei er auch den Autoren gegenüber verpflichtet. Man wird sich nicht einig. Die Zusammenarbeit wird beendet, König schickt den erwähnten Absagebrief.

Die Zensur seitens der Stadt ist Wasser auf die Mühlen der Kulturszene. Die Stadt dulde keine kritischen Töne, heißt es. Die Beschuldigten wehren sich gegen die Vorwürfe. »Wir können schon ertragen, dass so etwas gedruckt wird – aber nicht in einer Publikation der Stadt Köln«, sagt Stadtarchiv-Direktorin Bettina Schmidt-Czaia. Und klagt umgekehrt über König. Durch sein Verhalten habe man kurz vor Ausstellungseröffnung plötzlich ohne Verleger dagestanden.

Happy End für die Stadt

Die Geschichte geht dann aber doch noch gut aus für die Stadt. Der Begleitband erscheint pünktlich. Anstelle von König springt kurzfristig der Förderverein der »Freunde des historischen Archivs der Stadt Köln« ein. Das fertige Werk enthält die Wandtexte der Ausstellung und eine nüchterne und unkritische Zusammenfassung der Ereignisse seit dem Einsturz. Mit optimistischer Ausrichtung. »Es geht voran, der Wiederaufbau hat begonnen«, verkündet Schmidt-Czaia in ihrem Grußwort.

Walther König möchte zu den Vorfällen keine Stellung beziehen. Wir äußern uns durch unsere Publikationen, so ein Mitarbeiter. Und in der Tat werden auch die umstrittenen Beiträge doch noch veröffentlicht. Zwar nur als kostenlose Broschüre unter dem Titel »Standpunkte – Kölner Persönlichkeiten zum Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln«, aber dafür nicht ohne ironischen Seitenhieb auf die Geschehnisse: In Heubachs Aufzählung der Verantwortlichen der Kulturmisere sind zwei Namen durch Leerstellen ersetzt. In einer Fußnote schreibt der Autor, er habe sie herausgenommen, weil sie dem Verleger zu delikat erschienen. Und man wisse ja, so Heubach weiter, »dass Verlegern nicht zu viel zuzumuten ist«.