Fallschutz inklusive

Auf der Suche nach einer weniger abstrakten Kunstpraxis: Wie Frauke Gerhard »Comtainment e.V.« erfand, ihr öffentliches Atelier auf einem Spielplatz einrichtete und nun nach Geschäftspartnern sucht. Von Cordula Walter.

 

Das Cover ihrer jüngsten Publikation, eine Frau ohne Kopf mit foto-gespicktem Plastikumhang unter derbem Arbeitskittel, ist genaugenommen kein Selbstporträt. Es wurde von Frauke Gerhards älterem, 21jährigen Sohn geschossen, doch natürlich hat die Mutter die provokante Aufmachung – »zwischen Prostitution und spiritueller Vernetzung« – selbst entworfen: Die Bilder in den Einstecktaschen des transparenten Überwurfs stammen aus ihrem Fotoarchiv, zeigen Beobachtungen ihrer Umwelt, durchgeführte und geplante Kunstprojekte, Realitäten und Visionen.
Wer Arbeiten der sozial engagierten Künstlerin – »ich untersuche das Miteinander« –, kennt, weiß, dass der Blaumann seit mindestens sechs Jahren zu ihren Attributen gehört. Sie trug ihn schon auf dem Plakat »Mitarbeiter gesucht«, mit dem sie für ihre »Comtainment«-Initiative als kinderwagenschiebende Mutter warb – nur dass der Kinderwagen eine Skulptur aus Holz war und das darin liegende Baby eine Rasenfläche.

Soziale und lebendige Kunstwerke

Frauke Gerhard (Jahrgang 62), ausgebildet an der Kölner FH in multimedialer Bildhauerei, hat sich für die wenig gängige künstlerische Praxis des öffentlichen Ateliers entschieden. 1994 übernahm sie die ehrenamtliche Patenschaft für einen damals heruntergekommenen Spielplatz an der Josephstraße im Severinsviertel und gründete »Comtainment e. V.«. Sie nahm Kontakt auf mit den Spielplatzbenutzern (zugleich ihren Nachbarn) und hauchte der urbanen Parzelle durch gemeinsame gärtnerische und andere gestalterische Aktivitäten neues Leben ein. Wichtig für die freiere kreative Nutzung des Kinderterritoriums war die Erfahrung, dass Spielplätze in Wirklichkeit oft mehr von Erwachsenen denn von Kindern genutzt werden. Die Absicht, künstlerisch neue Wege zu gehen, beinhaltet also für Gerhard nicht nur mit dem Nachwuchs zu kommunizieren, sondern auch »die Gesellschaftsfähigkeit von Kunst zu befragen und wirksame Bilder, soziale, lebendige Kunstwerke zu entwickeln.«
Herz und Heimat des generationenübergreifenden Spielraums in der Kölner Südstadt ist ein multifunktionaler, innen etwa 30 Quadratmeter großer, mit leuchtend bunten Streifen bemalter Container mit vielen Funktionen: Treffpunkt, Blickfang, Werkstatt, Fotolabor, Spielgerätelager, Ort für Toilette und Teeküche, Ausweichquartier bei Regen und Kälte, Ausstellungs- und Festsaal, Bildträger für künstlerische Aktionen – bisher z.B. von Achim Riechers, Jochen Lempert, Andreas Exner und natürlich Frauke Gerhard.
»Wie eine gute Hausfrau«, so Gerhard halb spottend, habe sie die »Comtainer Station« anfangs betrieben: Alles auf einmal bearbeitet, überall angefasst, unendlich viel initiiert und sich dabei für nichts zu schade gewesen. Daher auch der blaue Arbeitskittel, den sie immer wieder ästhetisch wirksam zu inszenieren vermochte. Für die Landesgartenschau 2000 im Kurpark Bad Oeynhausen beispielsweise, wo sie für ihr Gartenmodell »Five easy pieces« aus einer Wäscheleine mit Blaumännern einen regelrechten Zaun errichtete. Auch gibt es ein wunderbares Foto, wie sie inmitten einer Rosette aus blauen Overalls auf einem Stück Wiese steht. »Ich hatte dieses Bild immer im Kopf und wollte es einfach einmal realisieren. Andere hätten sich für eine solche Aktion um Publikum und Presse bemüht. Bei mir war es dann so, dass die davon etwas mitbekamen, die zufällig gerade anwesend waren« – wie immer auf dem Spielplatz eine bunte Mischung hinsichtlich Alter, Nationalität und kultureller Vorbildung.

Mensch-/tierartige Knuddelobjekte

Gerhards jüngster materieller Beitrag für die »Comtainer Station« ist eine »Trost«-Behausung, ein hüttenartiges Spielgerät auf Stelzen als Unterschlupf für »Spender und Bedürftige«, dessen erster Entwurf während der letzten KunstKöln auf dem Josef-Haubrich-Hof stand. Man kann sich an die im stumpfen Winkel geneigten Wände innen bestens anlehnen, träumen, entspannen, herausschauen. Gerhards Sehnsucht »nach weniger intellektuellen Denkprozessen und nach der Selbstverständlichkeit, mit dem ganzen Körper zur Ruhe zu kommen«, ist in den letzten Jahren gewachsen. Da hinein gehören auch »Dollies Pillows«, mensch-/tierartige Kissen- und Knuddelobjekte aus Schafsfellen, mit denen die Hütte ausgepolstert ist.
Die Pillows vertreibt Frauke Gerhard auch als Edition. Der zaghafte Handel mit der eigenen Kunst und der beteiligter Kollegen (»Comtainer Goods Edition«) ist zwar kein Novum in der Praxis der Spielplatzpatin, der Gedanke, den Verein in ein wirtschaftlich rentables Unternehmen umzuwandeln, allerdings schon. Schließlich war die bisherige finanzielle Unterstützung aus öffentlicher Hand, hauptsächlich durch das Kulturamt Köln, kaum mehr als ein Umverteilen von Kapital, mit dem die eigene Arbeit nie angemessen entlohnt wurde: »Die Gelder flossen gleich weiter in Holz etc«. Wen wundert’s, dass Gerhard von solcher »Förderung der Selbstausbeutung« inzwischen genug hat und sich durchaus in der Lage fühlt, in einem Netzwerk von Produzenten marktorientiert zu arbeiten und zu kooperieren.
Für sie wäre es naheliegend, dass sich »Comtainment« der Stadt Köln als Unternehmenspartner bei der Entwicklung neuer, zeitgemäßer Spielplatzgestaltungen anbietet. Der kreative, aber nicht normgerechte Input erzeugt allerdings Spannung bei den offiziell Verantwortlichen. Es gibt vom Amt für Kinderinteressen einen Sanierungsplan für Spielflächen mit schwermetallbelastetem Bodenmaterial, zu denen auch der an der Josephstraße zählt. »Was bitte sind denn überhaupt Kinderinteressen«, ist da die erste Frage, die Gerhard stellt, »Luftballons und Hüpfburgen? Ich kann mir nur die Interessen einzelner Kinder/Persönlichkeiten vorstellen. Dass ich Rücksicht auf Kinder und alte Leute nehme, ist doch selbstverständlich, das muss ich nicht herausheben.« Mit der Sanierung des Südstadt-Spielplatzes wird frühestens in fünf Jahren begonnen – da scheint die Sorge berechtigt, dass eine derart lange Übergangsphase, in der veraltetes Mobiliar nur entfernt und nicht ersetzt wird, die Attraktivität der inzwischen beliebten Anlage wieder empfindlich stören könnte.

Keine aktive Partnerschaft mit der Stadt

Wenn »die Kinderlobby die Kinder vor den Eltern schützt«, entstehen Konfliktsituationen. So hat Gerhard immer noch nicht den versprochenen Wartungsplan für die Trost-»Selbsthilfeplastik« geliefert. Zwar hat sie sich auch um den Fallschutz, die Abfederung des Bodens, gekümmert, was eigentlich Aufgabe der Stadt war, muss aber dennoch alle weiteren Auflagen erfüllen. Der Wunsch, dass ihr die Behörde jetzt vielleicht das arbeitsintensive Procedere abnimmt, war wohl zu optimistisch, dort meint man eher: Wenn sie – die Privatperson – schon etwas mache, dann bitte perfekt. Andernfalls würde das Amt für Kinderinteressen die Spielfläche lieber leer lassen.
Natürlich ist Frauke Gerhard enttäuscht, dass nach acht Jahren engagierter und erfolgreicher Kulturarbeit keine aktive Partnerschaft mit der Stadt entstanden ist. Jetzt hat sie sich bei der StartART-Initiative, dem Förderinstrument für Existenzgründer aus der Kulturwirtschaft auf Landesebene, beworben. Wenn sie auch dort keine Lobby findet, geht es anders weiter. »Comtainment war eine Vision, die sich realisiert hat. Man könnte sagen, es ist geboren. Nun wird man sehen, ob es lebt«. Ob die Visionärin auch die Früchte ihres Kunst-und-Leben-verbindenden Wirkens ernten und beispielsweise die »Trost«-Architektur als in Serie produziertes Spielgerät in zahlreichen öffentlichen Gärten aufgestellt wird, steht in den Sternen. Mit der marktführenden Spielgerätefirma ist sie jedenfalls im Gespräch.

Comtainment-Station, Spielplatz an der Josephstraße, Severinsviertel:

»Dollies Pillow Club«, Lounge und Events: Vom 5.5.-30.5. installiert Frauke Gerhard Fotokombis aus dem Comtainment-Archiv und lädt das Publikum ein, auf geschwärzten Wänden eigene »Views« zu zeigen (Infos 31 00 112 oder 0174 190 72 33), Eröffnung 5.5., 12 Uhr.

Family Settings: Vom 9.6. bis Mitte Juli zeigt Gabi Kutz neue Bilder, Eröffnung 9.6., 12 Uhr, am 11.6., 20 Uhr liest die Malerin und Schriftstellerin aus neuen Texten.

Im Rahmen des Projekts »hell-gruen« in Düsseldorf (s. Tipp S. 116) präsentiert Frauke Gerhard ab 29.6., 18 Uhr die bespielbare Skulptur »Trost nach Vereinbarung«, gefüllt mit Dollies Pillows, vor dem Kulturamt /Ehrenhof.