Maximal öffentlich

Der bloggende Regime-Kritiker Ai Weiwei ist ein Medienliebling.

Jetzt rückt eine Ausstellung in Duisburg sein künstlerisches Werk in den Mittelpunkt

Ein Regal mit dreißig Glasgefäßen, in denen unzählige klein-gemahlene neolithische Urnen aufbewahrt sind. Eine Art Massengrab. Rechts in der Ecke auf dem Boden ein Scherbenhaufen. Links im Raum eine dreiteilige Fotoserie, die dokumentiert, wie Ai Weiwei eine Urne aus der Han-Dynastie auf den Boden fallen lässt, wo sie zerschellt. Ein Selbstportrait, bei dem es weder um die Urne noch um die Zerstörung geht, sondern um die Beziehung der Chinesen zu ihrer Kultur. Sie wurde im Zuge der so genannten Kulturrevolution, die Mao 1966 ausrief und die mehr als zehn Jahre lang Traditionen und Menschenleben zerstörte, schwer beschädigt.

Der chinesische Konzeptkünstler Ai Weiwei ist 1957 geboren, so dass seine Kindheit und Jugend in diese Zeit fielen. Sein Vater Ai Qing, ein bekannter Dichter, wurde zur Umerziehung in die Wüste Gobi geschickt und musste dort Toiletten putzen. Die Erinnerung in Worte zu fassen fällt Ai Weiwei noch heute schwer, er sagt, es sei »als würde man im Regen stehen«. Die Erfahrung lässt sich einem Publikum kaum vermitteln, wenn es Regen noch nie erlebt hat. Der Künstler selbst bekam zu spüren, was es bedeutet in einem Land zu leben, in dem Zensur herrscht. 1979 wurde er in Peking Mitglied des Künstlerkollektivs »Star«, das Schwierigkeiten mit den Behörden bekam. 1981 zog er nach New York, wo er studierte und zunächst sehr ärmlich lebte. Auch das dokumentiert die Ausstellung des Museum DKM in Duisburg mit Fotografien.

Im amerikanischen Exil entstand die Bodenskulptur »Raincoats«, die bisher nur einmal in einer Galerie in New York zu sehen gewesen ist. Fünf grüne Regen­mäntel liegen kreisförmig angeordnet auf dem Boden, in den Ärmeln stecken Kupferstangen, die überkreuz liegen. Ai Weiwei hat Mitte der 80er Jahre angefangen mit Regenmänteln zu arbeiten, die eine Art zweite Haut symbolisieren. Gleichzeitig sind die fünf Einheits-Regenmäntel zu einem Stern zusammengelegt, der das nationale Symbol der Volksrepublik China ist. Der eigentliche Körper, also der Mensch aus Fleisch und Blut, fehlt.

Das repressive Regime brachte Ai Weiwei nicht zum Schweigen. Er leidet noch heute unter der staatlichen Willkür und hält es für seine Aufgabe, offen und laut seine Meinung zu äußern und Missstände anzuprangern, auch wenn er damit Unvorhersehbares provoziert. Er hofft, damit auch die jüngeren Generationen zu beeinflussen und etwas zu verändern. Für ihn ist selbstverständlich: Die Kunst kann sich nicht aus der Politik raushalten. Das Veröffentlichen seiner Aktivitäten bietet Ai Weiwei Schutz, denn in China wird geleugnet, was nicht durch die Medien dokumentiert ist. Auch darum hat er seine Kopfverletzung, die ihm 2009 durch chinesische Polizisten zugefügt wurde, überall gezeigt. Mit Bildern aus dem Krankenhaus von der Operation dokumentierte er detailliert den Genesungsprozess und stellt nun auch in Duisburg Fotos und Röntgenaufnahmen seines Kopfes aus.

»Dabei ist Ai Weiwei ein ganz zurückhaltender Mensch«, so der Kurator der Ausstellung »Barely Something« Roger M. Buergel, »dem die Medienpräsenz unangenehm sei, weil sie etwas Obszönes habe«. Buergel gilt als ausgezeichneter Kenner seines Werkes und hatte, als Leiter der Documenta, Ai Weiwei bereits 2007 nach Kassel eingeladen. Und dieser flog dann als Aktion 1001 seiner Landsleute ein, was für gehörigen (Medien-)Wirbel sorgte.

Ai Weiwei setzt sich nicht nur für seine eigene Arbeit ein, sondern kümmert sich auch um andere, die das Regime benachteiligt, unterdrückt oder totschweigt. Die Erinnerung an die Erdbebenopfer von Sichuan, die er gegen den Widerstand der Staatsmacht mit vielen Helfern dokumentiert hat, liegt ihm am Herzen. So ist ein zweiter Ausstellungsort im Duisburger Innenhafen allein diesem Thema gewidmet. In dem 120 Quadratmeter großen Raum mit vier Schaufenstern an der Vorderseite steht in der Mitte nur ein Laptop, auf dem Bildschirm laufen in einer Endlosschleife die Namen der verstorbenen Kinder. Eine verbotene Liste, die hier ein Höchstmaß an Öffentlichkeit bekommt: Die Galerie DKM ist von außen einsehbar, also 24 Stunden zu besichtigen. Im Gegensatz dazu hatte Ai Weiwei in München die Fassade des Hauses der Kunst kürzlich mit 9.000 bunten Rucksäcken behängt, die – weniger dezent – als Mahnmal für die verschütteten Kinder unübersehbar waren.

Die Ausstellung »Barely Something« ist, wie der Titel ankündigt, eine wenig pompöse Aus­stellung von Ai Weiweis Werk: Eine Retrospektive der letzten ­­25 Jahre, die sein künstlerisches Den­ken zeigt. Sie lenkt vom Starkult ab und zeigt ein Œuvre, das auch ohne Medienhype sehr sehenswert ist.


»Ai Weiwei: Barely Something« ist bis 20.9.2010 zu sehen im Museum DKM, Güntherstr. 13-15, 47051 Duisburg, Mo 12-18 Uhr, Di-Do nach Vereinbarung, Fr 11-20 Uhr, Sa + So 12-18 Uhr; parallel ­Galerie DKM, ­Philosophenweg 17A, 47051 Duisburg,
www.stiftung-dkm.de

Tipp: Noch bis 24.5. zeigt das Duisburger Museum Küppersmühle die Ausstellung »Olaf Metzel: Noch Fragen?«, ­
www.museum-kueppersmuehle.de