Foto: Manfred Wegener

»Lustig ist das nicht«

Ein Gespräch mit »Kriminaldauerdienst«-Autor Orkun Ertener über die Serien im deutschen Fernsehen

Der Überlebenskampf eines krebskranken, Drogen verkaufen­den Chemielehrers. Die Abenteuer eines grundsympathischen Massenmörders. Die Verwicklungen einer Werbeagentur in den 60ern. Vampir-Verfolgung in den Südstaaten. Die Liste ließe sich beliebig weiterführen.
In den vergangenen zehn Jahren entwickelte sich in den USA eine neue Kultur, die man auf einen einsamen Mafioso auf der Couch zurückführen könnte. Seit dem Erfolg der »Sopranos« werden reihenweise neue TV-Serien-Geschichten erzählt, die formal, ästhetisch, und inhaltlich weitaus komplexer sind als ihre Vorgänger. Und dank des Internets sind »Breaking Bad«, »Dexter«, »Mad Men« oder »True Blood« auch in Deutschland längst abseits der Spezialistenzirkel bekannt.

Verwirrend und genialisch

In Deutschland reagierten einige Sender und nahmen qualitativ hochwertige US-Produktionen ins Programm. Aber Eigenproduktionen? Kaum. Bis eine Krimi-Serie namens »KDD – Kriminaldauerdienst« im Februar 2007 im ZDF am heiligen TV-Freitag über die Bildschirme flimmerte. Ambitioniert, düster, verwirrend, verwickelt, schnell, genialisch. Die Folge: Grimme-Preis. Der Durchbruch? Der Startschuss? Von wegen. Drei Jahre später wurde das Projekt nach der dritten Staffel endgültig eingestellt. Die Einschaltquoten. Und nun? Hat »Ein Fall für zwei« gewonnen? Ein Gespräch mit dem »KDD«-Mastermind Orkun Ertener.

StadtRevue: Herr Ertener, inwieweit kann man die Strukturen hier überhaupt mit den amerikanischen Verhältnissen vergleichen?

Orkun Ertener: Natürlich habe ich immer nach USA geschaut, in der Hoffnung: So was muss hier auch gehen, ein Erzählen auf der Höhe der Zeit. Das Ergebnis war dann »KDD«. Mittlerweile hat sich das aber erledigt für mich. Ich glaube nicht mehr, dass wir eine ähnliche Entwicklung wie in den USA machen können. Jetzt müssen wir den deutschen Weg finden – worin auch immer der besteht.

Worin liegt die Stärke der neuen US-amerikanischen TV-Serien?

Die Entwicklung in den USA und auch in England war nur durch produzierende Autoren möglich, bei denen alle Fäden zusammenliefen. Kleine Teams haben einfach eine bessere kreative Kontrolle. In Deutschland gibt es dagegen eine Konzentration von großen Produktionsfirmen. Bei »KDD« war die Zusammenarbeit von Anfang an eng, das ging von Besetzungsfragen bis hin zu Leseproben, bei denen ich eingebunden war. Das war in der damaligen Firma zusammen mit der Produzentin, mittlerweile versuche ich mit einem Partner in einer eigenen Firma dieses neue Autoren-Produzenten-Prinzip durchzusetzen.

Deutsches Fernsehen setzt ja oft auf Verknappung. Zwei Kommissare, eine Leiche, ein paar Sprüche, der Rest ist Staffage und nach 90 Minuten ist der Fall gelöst. »KDD« war eine Ensemble-Arbeit, sehr viel dichter und verschachtelter erzählt, die Dialoge nah an gesprochener Sprache. Wie wichtig ist Authentizität als Kategorie beim Erzählen?

»Das ZDF sagt: Köln ist abgefilmt«

Wahrhaftigkeit kann man auch mit einer Lüge erreichen. Alle Geschichten hatten bei »KDD« einen wahren Kern, aus der Realität ziehe ich meine Impulse. Die Recherche ist sehr grundlegend, auch die Figuren kommen da her.

Sie leben in Köln, sie arbeiten in Köln. Sie haben hier recherchiert…

2005 habe ich mit den Büchern angefangen, und dafür lange beim Kölner Kriminaldauerdienst recherchiert. Eigentlich sollte es dann auch hier spielen, aber das ZDF sagte: Nein, Köln ist abgefilmt.

Jetzt ist »KDD« also in Berlin angesiedelt. Ist Köln für Sie auserzählt im deutschen Fernsehen? Gibt es ein Leben nach der Bratwurstbude mit Domblick?

Inhaltlich natürlich, aber es wird in Köln eben auch sehr viel gedreht, viele Produktionsfirmen sitzen hier. Es wird immer mehr in Berlin, vielleicht wechselt das auch noch mal in Zukunft. Aber: In Köln wurde ja eine Tradition begründet mit »Nikola« und »Ritas Welt« – das war handwerklich großartig und hat auf gewisse Art auch eine Menge über Deutschland erzählt. Sie fanden das sicher furchtbar…

Absolut.

»Man kann unterhaltsam über Brustkrebs erzählen«

…aber das war ein Anfang, der einfach nicht weitergeführt wurde. Darauf hätte man aufbauen können. Das wurde versäumt. Sitcoms gibt es meines Wissens einfach nicht. Wir haben höchstens die Komödien. Und auch da ist noch viel möglich. Man kann auch unterhaltsam über Brustkrebs erzählen. Es gibt diese heiteren Serien mit Nonnen, mit Klostern, aber lustig ist das nicht.

Wie sehen Sie die Zukunftsaussichten? War »KDD« ein qualitativer Ausrutscher nach oben?

Ich habe momentan keine Vision für die gesamte Zuschauerschaft – und das hat sicher auch was mit der Unübersichtlichkeit unserer Gesellschaft zu tun. Ich würde mir wünschen, dass bestimmte Dinge endgültig entschieden werden: Lässt sich die Angst der TV-Entscheider generell minimieren? Wird es gelingen zu sagen, wir wagen noch mal was? Das Einzige, was ich mir wünsche ist, dass wir nicht aufgeben und nicht einfach sagen: Wir machen dasselbe immer immer weiter…