Foto: Marc Zanger

Mäuseautos in Herat

Im September eröffnet in Afghanistan der erste Skate-Park unter freiem Himmel. Marc Zanger aus Köln hat das Projekt im Auftrag von Titus und mit Unterstützung von Rupert Neudeck geleitet. Sebastian Züger berichtet von deren Erfahrungen

Es ist nicht leicht, ein Kind zu sein. Zumal in einem Land wie Afghanistan, in dem es für allzu viele Menschen täglich schlicht ums Überleben geht. Und in dem es an Orten mangelt, die den Kindern ganz allein gehören. Es ist deshalb ein besonderer Augenblick für die Kinder Karoqs, wenn am 9. September in der 300.000-Einwohner-Stadt in der westlichen Provinz Herat ein Skate-Park eingeweiht wird. Zwar werden viele Erwachsene kommen und große Reden halten, auch die deutsche Bundeskanzlerin ist eingeladen. Doch wenn das Band durchschnitten und die Anlage freigegeben sein wird, werden die Kids das Sagen haben. Und das ist neu.

»Es ist großartig zu beobachten, wie das Selbstbewusstsein der Kleinen Tag für Tag wächst«, sagt der Kölner Marc Zanger, der als einer von zwei Projektleitern rund sieben Wochen vor Ort war. »Da wird etwas nur für sie gemacht. Das kennen die gar nicht.« Zanger weiß mit dem Skateboard umzugehen, die Anlagen in Köln, München oder Münster sind sein zweites Zuhause. Doch auf dem Brett ist er mit seinen bald 34 Jahren ein alter Mann. Knie, Knochen, Knorpel – alles knirscht nach Jahrzehnten auf dem Board. »Das ist normal, damit muss man klarkommen.« Es ist vielleicht der letzte Dienst, den er seiner Leidenschaft noch erweisen kann: Sie an die Jungen weitergeben. Und warum dann nicht an die, die es besonders nötig haben?

Schwerstarbeit im Skate-Park

»Skaten ist für die Entwicklungsarbeit enorm geeignet«, sagt der Troisdorfer Rupert Neudeck, der es mit seinem Komitee Cap ­Anamur in den 70er Jahren zu bundesweiter Bekanntheit gebracht hat und das Projekt in Karoq mit seinem Verein Grünhelme nach Kräften unterstützt. »Man muss es in jungen Jahren lernen. Deshalb können es die Alten den Jungen nicht wegnehmen.« Zu Fußball- oder Basketballplätzen hätten die Kinder kaum Zugang, die würden vor allem von den Erwachsenen genutzt, erklärt der 71-Jährige. »Skaten ist eine Möglichkeit, etwas zu können, was die Alten nicht können. Es ist eine Gelegenheit für die Jugendlichen, sich auszuzeichnen.«

Zanger ist im Auftrag von Skate-Aid, der Hilfsinitiative des deutschen Skateboard-Urvaters Titus Dittmann, nach Karoq gereist. Er ist schon viel in der Welt herumgekommen und hat dabei auch ein Jahr im Untertagebau gearbeitet. Doch so hart wie diesmal habe er noch nie schuften müssen, schreibt Zanger in seinem Weblog auf der Internetseite von Skate-Aid: »Stellt Euch vor, ihr würdet ein Schwimmbad ausheben aus steinigem und hartem Untergrund. Und das ganz ohne Maschinen und bei 27 Grad Celsius, ohne Schatten. Hacken, Schaufeln und Schubkarre waren das Technischste, was wir hatten.«

Dabei musste Zanger die Anlage, die mit stattlichen 500 Quadratmetern internationalen Ansprüchen genügt, keineswegs alleine in den Boden buddeln. »Wir konnten fünfzig Menschen zwei Monate lang einen Job verschaffen«, bilanziert sein Chef Dittmann, den alle Welt nur »Titus« nennt. Rund 15.000 Euro Spendengelder hat Skate-Aid für das Projekt zusammengetragen. »Man kann, wenn man es richtig anpackt, in einem solchen Land mit sehr geringen Mitteln eine Menge bewegen«, sagt Titus. »In Deutschland müsste man für einen Park dieser Größenordnung mindestens eine Null dranhängen.«
Dabei muss eine Anlage in Afghanistan besonderen Ansprüchen genügen. »Wir haben es hier ja nur mit Anfängern zu tun«, erklärt Zanger. »Die höchste Höhe ist deshalb 1,10 Meter.«

»Treffpunkt für alle, die hier leben«

Um für die Akzeptanz des Parks bei den Älteren zu werben, hat der Planer, der Kölner Landschaftsarchitekt Ralf Maier, die Anlage mit Bäumen eingefasst. »Das soll ein Treffpunkt für möglichst alle Menschen werden, die hier leben«, sagt Zanger. Noch ist es vor allem Unverständnis, das aus Erwachsenen-Mund kommt, aber es hat einen wohlwollenden Unterton: »Mäuseautos« hat der Volksmund in Herat die Skateboards getauft.

Zurzeit, also noch bis zur Einweihungsfeier am 9. September, ist die Anlage tatsächlich nicht mehr als ein Treffpunkt. »Das war schmerzhaft, aber wir konnten keine Skateboards dort lassen«, sagt Zanger. »Es hätte doch nur dazu geführt, dass die älteren Brüder sie den jüngeren weggenommen hätten. Und irgendwann wären sie auf irgendeinem Markt für ein paar Dollar verscherbelt worden.«

In einer Gesellschaft, die derart patriarchalisch ist wie die afghanische, gilt eben das Recht des Älteren. Doch geht es nach Titus, der seit dreißig Jahren mit dem »Identitätsstifter Skateboard« arbeitet, soll das nicht so bleiben: »Wenn du was verändern willst, musst du bei den Pubertierenden anfangen«, sagt der 61-Jährige. »Die sind auf der Suche nach was Neuem, die brauchen Orientierung. Wenn man deren Wertesystem positiv beeinflussen kann, dann macht das das Denken der Jungen unabhängiger von diesem Altmännerstaat.«

Mädchen skaten hinter spanischen Wänden

Ein sanfter Wind des Wandels umweht also den Skate-Park in Karoq, doch ehe er auch die Geschlechterbilder ändert, ist, glaubt ­Neudeck, noch viel Geduld gefragt. »Die Mädchen«, sagt er, »üben das Skateboard-Fahren hinter Spanischen Wänden. Co-Edukation, die gemeinsame Erziehung von Jungen und Mädchen, ist noch undenkbar in Afghanistan. Aber es gibt eine Bewegung hin zum Positiven.« Als Vorbild nennt er den Iran, ausgerechnet, hierzulande der Inbegriff eines reaktionären Staatswesens. »In seiner gesellschaftlichen Entwicklung ist der Iran schon sehr weit«, erklärt Neudeck. »Die aufmüpfige Jugend dort könnte der afghanischen als Beispiel dienen. Dort gibt es bereits mehr Studentinnen als Studenten. Diese Entwicklung ist unumkehrbar.«

Projekte wie in Karoq, die mit ausländischem Geld und Know-how umgesetzt werden, können letztlich immer nur ein Anfang sein. »Die Afghanen sind ein faszinierendes Volk«, schwärmt Neudeck, »mit einem faszinierenden Stolz.« Noch dirigiert fremdes Militär die öffentliche Ordnung, doch wer die Menschen kenne, der wisse, so Neudeck, »dass so eine Situation nur von kurzer Dauer sein darf«. Die Soldaten seien Fremdkörper, wichtiger sei jetzt konkrete Hilfe beim Aufbau von Schulen, der Wirtschaft und eines funktionierenden Gesundheitssystems.

Skate-Aid will einen Teil dazu beitragen. Zusammen mit ­Neudeck und Titus reisen zwei Lehrer, die den Kindern in den folgenden Wochen das Fahren beibringen sollen, zur Einweihung. »Skaten ist nicht so einfach. Es wird Monate dauern, bis es einheimische Lehrer geben wird«, schätzt Zanger. Er selbst will Ende des Jahres wieder dort sein. »Das war bislang meine aufregendste Reise«, sagt er. Keine Sekunde aber habe er das Gefühl gehabt, als Ausländer nicht sicher zu sein: »Sie haben gesagt: Wir passen auf dich auf!«

Mehr Infos auf www.skate-aid.org und www.gruenhelme.de.
Wer sein Skateboard ­afghanischen Kindern spenden möchte, kann es bis zum 30. September im Kölner Titus-Shop, Maastrichter Str. 36, ­abgeben.