Foto: Manfred Wegener

Abschiebung auf die Müllkippe

Alle blicken nach Frankreich, doch auch NRW schiebt Roma ab. Die neue Landesregierung will das nun zumindest im Fall kosovarischer Roma erschweren.

Sambarhythmen hallen durch das Terminal B an diesem 2. September. Wären nicht die Transparente mit Botschaften wie »Stop Deportation Class« und nicht die Polizisten in Kampfmontur, man könnte es für ein Unterhaltungsprogramm des brasilianischen Tourismus-Marketings halten. Doch Transparente und Polizei sind da, ebenso mehrere Dutzend junger Demonstranten, die allen Urlaubern ins Bewusstsein trommeln: Nicht alle fliegen von Düsseldorf in die Ferien.

Etwa zur selben Zeit, allerdings vom abgeschotteten Gate F aus, startet eine Maschine mit 28 Serben an Bord, darunter einige Roma, nach Belgrad. Gebucht hatte die Zentrale Ausländerbehörde Bielefeld den Charterflug für 93 Personen, doch viele haben Deutschland vor der Abschiebung verlassen. Oder sind untergetaucht, wie die achtköpfige Roma-Familie A. aus Köln. Die sechs Kinder im Alter von zwei bis 13 Jahren sind alle in Köln zur Welt gekommen. Weder haben sie Serbien je gesehen noch je ein Wort Serbisch gesprochen.

Sie hätten nicht in Deutschland bleiben dürfen, erklärt Iris Biesewinkel vom Rom e.V., weil der Vater wegen kleinerer Straftaten ein paar Tagessätze zu viel aufgebrummt bekommen hatte. Aus der Bleiberechtsregelung ist daher nicht nur er, sondern seine ganze Familie heraus gefallen. »Sippenhaft« nennt Biesewinkel das. Wo die Familie jetzt ist, wissen nur Vertraute. »Sie hält sich im benachbarten Ausland auf«, sagt sie. »Und es geht ihnen beschissen. Im Moment leben sie unter einer Plane.«

Rückübernahmeabkommen erleichtert Abschiebung

Während Deutschland empört nach Frankreich schaut, werden auch hierzulande regelmäßig Roma abgeschoben. Die meisten Angehörigen dieser Minderheit, die in NRW leben, stammen aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens. Die Situa­tion dort ist für ethnische Minderheiten schlecht bis katastrophal, meinen Beobach­ter. Katastrophal trifft vor allem auf den Kosovo zu. Volker Maria Hügel, Vorstandsmitglied des Flücht­lingsrates NRW, sagt es so: »Abschiebung von Minderheiten in den Kosovo, das ist Abschiebung auf die Müllkippe.«

Bis Frühjahr war die Abschiebung von Minderheiten in das krisengeschüttelte Land praktisch nicht möglich. Es sei denn, es handelte sich um Straftäter. Im April jedoch unterzeichneten Deutschland und der Kosovo ein sogenanntes Rückübernahmeabkommen. Seither forcieren die Bundesländer die »Rückführung« von Roma, wie es auf Amtsdeutsch heißt. In NRW allein sind derzeit rund 3700 ausreisepflichtige Roma aus dem Kosovo von diesem Abkommen betroffen, viele sind seit mehr als zehn Jahren hier. In Köln leben laut Rom e.V. etwa zehn Roma-Familien aus dem Kosovo, schätzungsweise 120 Personen.

Landesregierung will Abschiebungen in den Kosovo erschweren

Was die Abschiebung in den Kosovo vor allem für Roma-Kinder bedeutet, verdeutlicht eine aktuelle Unicef-Studie: Demnach leben dort etwa 60 Prozent der Roma-Kinder unterhalb der Armutsgrenze. Drei von vieren, die in Deutschland noch zur Schule gegangen sind, besuchen im Kosovo keinen Unterricht mehr. »Die Familien leben oft außerhalb der Gemeinden, in Holzbaracken, ohne Heizung und in verwahrlosten Verhältnissen«, heißt es in einem Appell von Unicef an die Bundesregierung. Die Abschiebung von Roma-Familien in den Kosovo müsse ausgesetzt werden. Noch Ende Juni starteten Maschinen von Düsseldorf nach Pristina.

Die rot-grüne Landesregierung, die seit Mitte Juli regiert, will Abschiebungen in den Kosovo nun erschweren. Ziel sei es, besondere Härten zu verhindern, heißt es im dazugehörigen Antrag der Landtagsfraktionen von SPD und Grünen. Das NRW-Innenministerium erarbeitet derzeit einen Erlass, der den Ausländerbehörden aufträgt, »die vorhandenen Entscheidungsspielräume zugunsten der Minderheiten zu nutzen«.

Linke fordert Abschiebestopp für Roma

Der Landtagsfraktion der Linken ist das zu wenig. Sie fordert einen sechsmonatigen Abschiebestopp für Roma. Doch SPD und Grüne machen nicht mit. Ali Atalan, Mitglied der Linken-Fraktion, war bei der Demonstration am Düsseldorfer Flughafen dabei. Er sei enttäuscht von Rot-Grün. »Das Argument, ein Abschiebestopp sei keine dauerhafte Lösung, ist doch nur vorgeschoben«, sagt er.

Hügel vom Flüchtlingsrat kritisiert, dass dem NRW-Parlament der Mut zu einem Abschiebestopp gefehlt habe. In dem Erlass sieht er aber zumindest ein »wichtiges Signal an die Bundesregierung«. Glaubt man Dagmar Dahmen, die die Ausländerbehörde in Köln leitet, wird der Erlass nicht allzu viel verändern: »Wir schöpfen die Spielräume bereits jetzt aus.« Hügel, der der Härtefallkommission des Landes angehört, schätzt das anders ein. »Die Kreativität der Stadt Köln, Aufenthalte zu beenden, ist größer als die Kreativität, den humanitären Härtefall zu erkennen«, sagt er. Claus-Ulrich Prölß vom Flüchtlingsrat Köln drückt sich vorsichtiger aus: »Die Leitung der Ausländerbehörde ist durchaus bemüht, Spielräume zu nutzen. Aber auf der Ebene der Sachbearbeiter laufen die Verhandlungen manch­mal stockend.«

»Die Lebensbedingungen sind für Roma überall schlecht«

Der Erlass, wie ihn das NRW-Innenministerium ankündigt, wird nur für den Kosovo gelten. Die meisten Roma-Familien, die in Köln leben, kommen aber aus Serbien, Montenegro, Bosnien und Mazedonien. Ihnen wird der Erlass nicht helfen. Die Lage in den anderen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens, erklärt Hügel vom Flüchtlingsrat NRW, sei dabei genauso existenzgefährdend wie im Kosovo. Roma litten dort ebenso unter Diskriminierung, schlechtem Zu­gang zum Bildungs- und Gesund­heitssystem. Übergriffe seien keine Seltenheit. Lediglich die ethni­schen Spannungen sind Hügel zu­folge schwächer als im Kosovo.

Prölß vom Flüchtlingsrat Köln fasst es allgemeiner: »Ob Serbien, Kosovo oder Rumä­nien – die Lebensbedingungen sind für Roma überall schlecht.« Eine langfristige Lösung für Roma in ganz Europa müsse her, fordert er. Wenn schon nicht aus humanitären Grün­den, dann wäre das allein aus rein rationalen Gründen sinn­voll: So verzeichnet die Ausländer­behörde wieder eine »vermehrte Meldung von unerlaubten Einreisen«, wie Dahmen erklärt, darunter viele Roma. Möglicherweise eine Folge der französischen Roma-Politik.

Lebenswege wie der, der gerade mal 20-jährigen Emra A. verdeutlichen den ganzen Irrsinn. Sie ist die Tante der sechs Kölner Roma-Kinder, die vor der Abschiebung untergetaucht sind. Emra A. ist in Serbien geboren. Kurz darauf brach der Balkankrieg aus, und ihre Familie flüchtete wie viele Roma nach Italien. Als sie dort nicht mehr bleiben durften, zogen sie nach Köln. Nach zehn Jahren mussten sie Deutschland verlassen, also wieder zurück nach Italien. Um dann vor drei Jahren abermals hierher zu kommen, und abermals geduldet zu sein. »Das ist eine typische Geschichte«, sagt Iris Biesewinkel. »Sie werden hin- und her geschoben. Und dann heißt es: So, und jetzt integriert Euch mal – aber schnell!«