Foto: Manfred Wegener

Bist du einsam oder was?

Medien von Apotheken-Umschau bis Frankfurter Allgemeine Zeitung zitieren Unter­suchungen, in denen Alleinsein als schädlich ­eingestuft wird – für die Seele, für den Körper, für Deutschland. Nava Ebrahimi und Bernd Wilberg beleuchten die Debatten um Singles, Vereinzelung und Einsamkeit.

 

Allein einzukaufen, Sport zu treiben oder in der Bibliothek zu sitzen, das ist normal. Ohne Begleitung abends in ein Restaurant oder ins Kino zu gehen, das ist zumindest ungewöhnlich. Und wer allein ein Fußballstadion, eine Diskothek oder ein Straßenfest aufsucht, gilt als verschroben. So jemand hat niemanden, den er mitnehmen kann, so jemand sucht Anschluss.

Alleinsein und Vereinzelung – das sind Phänomene, die erkennbar sind. Einsamkeit dagegen nicht. Einsamkeit ist eine Stimmung. Meist verfliegt sie wieder, aber sie kann auch bleiben. Dann wird aus einer Ahnung die Gewissheit, irgendwie abhanden gekommen zu sein: bestimmten Menschen, einer Gemeinschaft oder gar einem Sinnzusammenhang.

Man kann in Gruppen oder in Partnerschaften einsam sein, ebenso, wie man allein sein kann, ohne dass ein Gefühl der Einsamkeit aufkommt. Denn Alleinsein und Einsamkeit sind nicht das gleiche, bedingen sich aber oft. Und Alleinsein lässt sich messen. Laut Statistischem Bundesamt lebten im letzten Jahr knapp 19 Prozent aller Bundesbürger allein. In Großstädten sind es im Schnitt 51 Prozent, so auch in Köln. So gesehen ist Einsamkeit ein modernes und urbanes Gefühl.

In Städten fällt nicht auf, wenn jemand fehlt

Die Stadt ist in Bezug auf Einsamkeit ein Paradox: Zum einen ist sie der Ort höchster sozialer Verdichtung, zum anderen ist es aber auch nur hier möglich, so leicht in die Anonymität zu flüchten – oder abzurutschen. Zu viele heterogene Lebenswelten auf engem Raum, sagen Soziologen, führten letztlich nicht zu mehr Kontakt, sondern zu mehr Abgrenzung. Und anders als in der Provinz, wo die soziale Kontrolle ungleich größer ist, fällt in Städten nicht auf, wenn jemand fehlt. Dann liegen Menschen tot in ihren Wohnungen, und die Nachbarn werden erst aufmerksam, weil ein unguter Geruch unter der Tür hindurch ins Treppenhaus weht.

»Person hinter Tür« nennt man bei der Feuerwehr die Einsätze, zu denen sie dann gerufen wird. In den vergangenen zwei Jahren ist die Zahl solcher Fälle in Köln nach einem kleinen Knick wieder auf 837 gestiegen. So wenig das Leben mancher Menschen andere interessiert, so wenig auch deren Tod: Das Ordnungsamt der Stadt Köln hat 2009 für 578 Menschen »ordnungsbehördliche Bestattungen« eingeleitet, weil sich sonst niemand zuständig fühlte. »Personen hinter Tür« und Beerdigungen ohne Trauergäste sind deshalb so monströs, weil sie uns plötzlich vor Augen führen: Wie jemand gelebt hat oder gestorben ist, macht für niemanden auf der Welt einen Unterschied.

Person hinter der Tür
Nava Ebrahimi und Bernd Wilberg
über Alleinsein, Einsamkeit
und den Umgang damit


Allein einzukaufen, Sport zu treiben oder in der Bibliothek zu sitzen, das ist normal. Ohne Begleitung abends in ein Restaurant oder ins Kino zu gehen, das ist zumindest ungewöhnlich. Und wer allein ein Fußballstadion, eine Diskothek oder ein Straßenfest aufsucht, gilt als verschroben. So jemand hat niemanden, den er mitnehmen kann, so jemand sucht Anschluss.    
Alleinsein und Vereinzelung – das sind Phänomene, die erkennbar sind. Einsamkeit dagegen nicht. Einsamkeit ist eine Stimmung. Meist verfliegt sie wieder, aber sie kann auch bleiben. Dann wird aus einer Ahnung die Gewissheit, irgendwie abhanden gekommen zu sein: bestimmten Menschen, einer Gemeinschaft oder gar einem Sinnzusammenhang. Man kann in Gruppen oder in Partnerschaften einsam sein, ebenso, wie man allein sein kann, ohne dass ein Gefühl der Einsamkeit aufkommt. Denn Alleinsein und Einsamkeit sind nicht das gleiche, bedingen sich aber oft. Und Alleinsein lässt sich messen. Laut Statistischem Bundesamt lebten im letzten Jahr knapp 19 Prozent aller Bundesbürger allein. In Großstädten sind es im Schnitt 51 Prozent, so auch in Köln. So gesehen ist Einsamkeit ein modernes und urbanes Gefühl.
Die Stadt ist in Bezug auf Einsamkeit ein Paradox: Zum einen ist sie der Ort höchster sozialer Verdichtung, zum anderen ist es aber auch nur hier möglich, so leicht in die Anonymität zu flüchten – oder abzurutschen. Zu viele heterogene Lebenswelten auf engem Raum, sagen Soziologen, führten letztlich nicht zu mehr Kontakt, sondern zu mehr Abgrenzung. Und anders als in der Provinz, wo die soziale Kontrolle ungleich größer ist, fällt in Städten nicht auf, wenn jemand fehlt. Dann liegen Menschen tot in ihren Wohnungen, und die Nachbarn werden erst aufmerksam, weil ein unguter Geruch unter der Tür hindurch ins Treppenhaus weht.
»Person hinter Tür« nennt man bei der Feuerwehr die Einsätze, zu denen sie dann gerufen wird. In den vergangenen zwei Jahren ist die Zahl solcher Fälle in Köln nach einem kleinen Knick wieder auf 837 gestiegen. So wenig das Leben mancher Menschen andere interessiert, so wenig auch deren Tod: Das Ordnungsamt der Stadt Köln hat 2009 für 578 Menschen »ordnungsbehördliche Bestattungen« eingeleitet, weil sich sonst niemand zuständig fühlte. »Personen hinter Tür« und Beerdigungen ohne Trauergäste sind deshalb so monströs, weil sie uns plötzlich vor Augen führen: Wie jemand gelebt hat oder gestorben ist, macht für niemanden auf der Welt einen Unterschied.   
Einsamkeit hat eine existenzielle Wucht, die zu untersuchen meist Philosophen, Dichtern oder Künstlern vorbehalten ist. Doch auch Mediziner und Psychologen, Soziologen und Stadtplaner untersuchen das Phänomen zunehmend – und doch ist nicht immer klar ist, worüber gesprochen, was überhaupt untersucht wird. Klar scheint nur zu sein, dass ungewolltes Alleinsein auf Dauer nicht gut tut: Sei es, dass Menschen, die alleine leben, sich häufiger schlecht ernähren oder aber seelisch erkranken. Ein amerikanisches Forscherteam um den Psychologen John Cacioppo aus Chicago veröffentlichte Ende 2008 sogar eine Studie, wonach Einsamkeit ansteckend sei. Wissenschaftler der britischen Mental Health Foundation kommen zu dem Ergebnis, dass Krebspatienten ohne intaktes soziales Umfeld schlechtere Heilungschancen besitzen. Werden wir also nicht nur in, sondern auch an Einsamkeit sterben?
36.000 Anrufe im letzten Jahr registrierten die Telefonseelsorger der beiden gro­ßen christlichen Konfessionen in Köln. Einsamkeit bilde bei etwa der Hälfte der Probleme den Hintergrund, sagt Annelie Bracke, Leiterin der katholischen Telefonseelsorge Köln. Etwa, wenn Teenager mit ihren Eltern nicht reden könn­ten. Bei einigen Anrufern hat die Theologin und Psychologin festgestellt, »dass sie keinen Weg mehr aus ihrer Einsamkeit sehen. Sie sind zwar froh, dass sie jemanden zum Reden haben und Anregungen bekommen, haben aber auch Angst vor Veränderun­gen.« Oft hät­ten diese Menschen, so Bracke, nie gelernt, in Beziehungen zu leben und fürchteten sich, auf andere zuzugehen aus Angst, verletzt zu werden. »Unser moderner Lebensstil erfordert es aber, dass wir uns aktiv um Kontakte bemühen, gerade das macht es für diese Menschen schwierig oder unmöglich.«
»Es gibt die gesellschaftliche Bewertung, wonach ein Mensch, der einsam ist, gescheitert ist. Es gibt aber auch die individuelle Ebene, wo sich diese Menschen fragen, was sie bloß falsch gemacht haben«, sagt Caroline Bohn, die als Coach insbesondere Frauen in der Lebensmitte berät. Einsame Menschen litten doppelt: Zum einen darunter, nicht die gewünschten Beziehungen knüpfen zu können, zum anderen unter Stigmatisierung. Die Emotions-Soziologin, die das Buch »Die soziale Dimension der Einsamkeit unter besonderer Berücksichtigung der Scham« geschrieben hat, sagt, in ihrer Arbeit ginge es zwar zunächst darum, dass Menschen ihre Einsamkeit annehmen. Gegen Formulierungen wie »Einsamkeit bejahen« wehrt sie sich aber, das sei respektlos gegenüber denjenigen, die mit dem Gefühl zu kämpfen hätten.
Nach Aristoteles ist der Mensch ein zoon politikon, ein auf Gemeinschaft gerichte­tes Lebewesen. Eben darin liege seine Bestimmung und schließlich auch das gute und geglückte Leben. Auch heute wird das Alleinsein als Weigerung, naturgemäß zu leben, angesehen. Für die konservative Politik sind Singles immer noch eine Abweichung von der Norm der Kleinfamilie. Die Argumentation schlingert dabei zwischen zwei Wertsetzungen. Auf der einen Seite wird das Ehepaar mit Kindern als natürliche Form des Zusammenlebens angesehen. Auf der anderen Seite muss man aber feststellen, dass diese engen Bindungen immer häufiger zerreißen oder gar nicht mehr zustande kommen. Die moderne Arbeitswelt fordert beinah grenzenlose Flexibilität und Mobilität. Gleichzeitig wird an traditionellen Vorstellungen des Zusammenlebens festgehalten und ignoriert, dass diese unter den verschärften Anforderungen unserer Lebensführung kaum noch gelingen können.
Manche kommen bei diesem Spagat nicht mehr mit. Auch das macht einsam. Der Psychoanalytiker und Autor Darian Leader weist in der britischen Tageszeitung The Guar­dian auf Untersuchun­gen hin, die gezeigt hätten, »dass manche Menschen mit dem Alleinsein vollkommen zufrieden sein können, solange sie sich ihrer Rolle im Leben sicher sind.« Dass etwa alte Menschen und Arbeitslose oftmals viel Zeit allein verbringen, wäre demnach kein zwingender Grund für Einsamkeit; das Gefühl, nicht mehr in die Gesellschaft eingebunden zu sein, hingegen schon.
Auch die althergebrachte Idee von Nachbarschaft, der räumlichen Einbindung, ist passé, jedenfalls in den Städten. Wer kennt in der Stadt noch alle Mitmieter im Haus? Eben weil der Wohnsitz und das Viertel nicht der Lebensmittelpunkt sind. »Die lokale Identifikation und die Beziehungsnetze in der Stadt sind zunehmend räumlich entgrenzter.« Zu diesem Schluss kommt die Studie »Nebeneinander und Miteinander in der Stadtgesellschaft« des Bundesverbands für Wohnen und Stadtentwicklung.
Dass in Köln mehr als die Hälfte aller Wohnungen Ein-Personen-Haushalte sind, liege auch am Wohnungsbestand, sagt Bernd Streitberger, Bau- und Planungsdezernent der Stadt. »In der Innenstadt gibt es viele Wohnungen aus den 50er und 60er Jahren. Damals wurden Familien mit zwei Kindern auf sechzig Quadratmetern untergebracht. Heute werden diese Wohnungen von Einzelperso­nen nachgefragt, die gerade die Anonymität in der Großstadt schätzen. Langfristig muss man sich aber auch mit diesen Beständen auseinandersetzen, etwa aus drei Wohnungen zwei Wohn­einheiten machen.« Aber dass sich Kon­zepte wie Nachbarschaft grundlegend wandeln, so Streitberger, sei mit den Mitteln der Stadtplanung »nur bedingt steuerbar«.

Eine moderne Form, das Alleinsein zu kultivieren, aber nicht die Einsamkeit, ist der großstädtische Alleinlebende, der Single. Soziologen grenzen diese Gruppe als Menschen zwischen 25 und 55 Jahren ab, die finanziell unab­hängig, hedonistisch orientiert sind und ihre Zeit mit zahlreichen Kontakten und wechseln­den Sexualpartnern füllen. Mit Alten, Kranken und Langzeitarbeitslosen, die ebenso allei­ne leben und kaum noch Kontakt zur Umwelt pflegen, haben Singles nicht viel gemein.
Aber selbst Singles, in den 90er Jahren noch Leitfiguren moderner Lebensführung, haben einen Imageverlust erlitten. Sie werden nicht mehr als die souveränen Großstadtabenteurer, sondern zunehmend als defizitäre Wesen betrachtet. Die Single-Portale im Internet setzen genau dort an. Folgt man deren Rhetorik, findet der Single erst Erlösung, wenn die Hochzeitsglocken bimmeln. Es gilt den passenden Partner dazu aus einem zwar großen, dafür aber leider unübersichtlichen Sortiment ausfindig zu machen.
So lässt etwa die Online-Partnerbörse Parship zum Stichwort Einsamkeit wissen: »Die dunkle Jahreszeit, der Herbst und bevorstehende Winter ist für viele Singles die Zeit, in der sie sich besonders nach einer Partnerschaft sehnen. Wenn es draußen stürmt und schneit, bietet sich vor allem die bequeme Part­nersuche im Internet an.« Ersetzte man Partnerschaft durch Laubsauger – der Satz er­gäbe noch immer Sinn. Aber es scheint zu funktionieren: Marktführer Parship hat 2008 seinen Umsatz mit 53 Millionen Euro abermals erhöht. Die Branche insgesamt kam 2008 auf einen Umsatz von rund 165 Millionen Euro.
Laut Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien haben 1,3 Millionen Menschen online einen Partner gefunden. Und jeder Dritte lerne neue Freunde über das Web kennen. Neben den Partneragenturen haben sich Angebote etabliert, die Gesellschaft für singuläre Events vermitteln. »Du isst nicht allein« lautet etwa der Slogan des Internetdienstes Mitesszentrale. Wer etwas für andere kochen möchte, aber niemanden kennt, der inseriert hier. Man gibt an, was auf den Tisch kommt und für welche Themen man ein kompetenter Gesprächspartner ist. Markus Henssler, Mitbegründer der Mitesszentrale, sagt: »Viele haben gar nicht mehr so viele Freunde, sind im Arbeitstrott und schaffen es kaum noch, Bekanntschaften zu pflegen, weil viele auch gar nicht lange in einer Stadt bleiben.«
Sich für bestimmte Anlässe Freunde in den Warenkorb klicken, ohne jegliche Verbind­lichkeit und ohne amouröse Ambitionen – das ist eine eher neuere Erscheinung. In dieses Bild passt auch Mypassion Tours. Der Anbieter für Single-Reisen, erst seit einigen Monaten auf dem Markt, wirbt: »Alleinreisende wollen mit netten, gleich gesinnten Menschen verreisen und gemeinsam einen tollen Urlaub verbringen.« Auch das klingt pragmatisch. Gerade für die Tourismus-Branche ist diese Zielgruppe besonders interessant, denn sie verfügt sowohl über Geld als auch Zeit für ­Luxus und Freizeitspaß. Während Familien immer öfter zu Hause bleiben, wächst der Markt für Single-Reisen seit Jahren überdurchschnittlich.
Viele andere Branchen konzentrieren sich ebenfalls auf diese Zielgruppe. Das reicht von Lebensmittelproduzenten über Finanzdienstleister und Personal Coaches bis hin zu Einrichtungshäusern, in denen man die richtigen Wohnaccessoires für Abende allein zu Haus findet. Unter dem Schlagwort Cocooning wird so Einsamkeit dann wieder zum Lifestyle-Trend umgedeutet.
All diese Angebote definieren Einsamkeit zu einem Manko, dass sich mit Disziplin und eisernem Willen beheben lässt. »Autonome Totalverantwortlichkeit« lautet das Schlagwortungetüm dazu. So werden dann in der Ratgeberliteratur ein großer Freundeskreis und das Erlernen von Souveränität im Umgang mit anderen als Ausweg empfohlen oder »Beziehungskompetenz« gelehrt. Ganze Berufszweige leben davon, anderen beizubringen, wie sie ihre Kontaktstrategien verbessern können. Auf dem Weg zum perfekten Glück muss die Attraktivität optimiert werden: sexuell, finanziell und hinsichtlich des sozialen Status. Damit man, wenn der Kellner das nächste Mal im Restaurant fragt, ob noch jemand komme, Ja sagen kann.