Foto: Riza Aydogmus

Dogan Akhanli ist frei

Das türkische Gericht hat den Kölner Schriftsteller und Menschen­rechtler freigelassen. Die Freude ist groß, doch zugleich vermittelt der Prozess eindrücklich, wie der Justizapparat mit Andersdenkenden umgeht. Albrecht Kieser berichtet aus Istanbul.

Die Sonne scheint reichlich an diesem 8. Dezember. Istanbul zeigt sich von seiner besten Seite. Die Wellen am Bosporus wogen gemächlich in Richtung Schwarzes Meer, der Wind streicht über die Promenade, die Kellner draußen an den Tischen haben alle Hände voll zu tun. Das schmutzig gelbe Gerichtsgebäude im Stadtteil Besiktas mutet im Sonnenlicht ein bisschen freundlicher an, und auch das halbe Dutzend vergitterter Gefangenenbusse mit dunklen Frontscheiben, die Sperrgitter und Soldaten wirken weniger bedrohlich. Hier urteilen im Stundentakt die diversen Kammern des Großen Strafgerichts über politische Gefangene. Einige Tausend sitzen in den türkischen Haftanstalten. Autoren, Aktivisten für demokratische Rechte, für gewerkschaftliche Freiheiten, für die Rechte der Kurden.

Hier, im Freien, erläutern Günter Wallraff und die anderen Mitglieder der internationalen Delegation kurz vor Verhandlungsbeginn eine Stunde lang Dutzenden von Medienvertretern ihre Sicht auf das Gesinnungsverfahren gegen Dogan Akhanlı – beäugt von Soldaten mit Maschinengewehren, immer wieder gestört von neuen Gefangenenbussen, die ihre menschliche Fracht ins Gericht abladen. Die Delegation ist unter anderem vom deutschen PEN-Zentrum, dem deutschen und österreichischen Schriftstellerverband sowie der Berliner Akademie der Künste beauftragt worden.

An die hundert Menschen drängen sich in den Gerichtssaal

Angesetzt ist das Verfahren gegen Dogan Akhanlı für 13.30 Uhr. Die Zuschauer warten, eng aneinander gepresst, in einem stickigen Vorraum zu den Verhandlungssälen. Sie werden Zeugen zweier Freisprüche für junge Kurden. Dann endlich, um 15 Uhr, öffnen sich die Türen zum Gerichtssaal. An die hundert Menschen drängen hinein: Verwandte, Freun­de, sogar aus dem tausend Kilometer entfernten Geburtsort von Dogan Akhanlı, drei Vertreterinnen des deutschen Generalkonsulats, etliche Journalisten und die Mitglieder der Delegation. Platz ist eigentlich nur für dreißig bis vierzig.

Woran es liegt, dass der sonst als herrisch bekannte vorsitzende Richter der 11. Strafkammer duldet, dass »sein« Raum faktisch besetzt wird und von einer Atmosphäre entschiedener Solidarität für den Angeklagten bestimmt ist, wird wohl nur er selber beantworten können. Der Richter will offensichtlich weder die Konfrontation mit den Zuschauern noch mit der Verteidigung, die ihn im Laufe der vierstündigen Verhandlung mehrmals wegen der undurchschaubaren, Recht brechenden und unmenschlichen Inhaftierung angreift.

Akhanlıs Lachen überstrahlt seine Erschöpfung

In der Mitte des Raums Dogan Akhanlı, dem zur Seite rechts und links zwei Polizisten stehen, jede Stunde ist Wachablösung. Er schweigt in diesem Verfahren, lässt eine kurze begründende Erklärung von seinen Anwälten verlesen: Der Tod seines Vaters während der ungerechten Haft habe ihn für diesen Prozess verstummen lassen. Er sucht während der Verhandlung Blickkontakt mit den Zuschauern, lacht, und das Lachen überstrahlt seine Erschöpfung, seine Müdigkeit und seine Trauer.

Endlos die Verlesung der Anklage, der in den Akten abgelegten Zeugenaussagen, weiterer Dokumente. Lebhafter die mündlichen Aussagen der Entlastungszeugen, die kümmerlichen Versuche des Staatsanwaltes, deren Glaubwürdigkeit zu erschüttern. So kümmerlich, dass der vorsitzende Richter den staatlichen Ankläger ausbremst. Nach zwei Stunden eine Pause, wieder müssen wir in den stickigen Vorraum, die Hoffnung ist ein wenig gewachsen, wir wollen einfach hoffen.

Wie es weitergeht, erfahrt ihr in der aktuellen Ausgabe der StadtRevue.