Foto: Manfred Wegener

Casting bei Herrn Tutas

Ein Weihnachtsmarkt-Händler hat sich ein ausgeklügeltes System einfallen lassen, um die Lohnkosten niedrig zu halten.

 

Die CDU Köln schimpft über den Bio-Weihnachtsmarkt am Dom: Die Buden seien karg, die Anordnung unübersichtlich und die Spülcontainer unhygienisch, heißt es in einer Pressemitteilung. Als Beleg liegt ein Foto bei, auf dem vom Weihnachtsmarkt nur Absperrgitter und rote Planen zu sehen sind. Bildunterschrift: »Dark side of the Weihnachtsmarkt«.

Die zumindest graue Seite des Weihnachtsmarktes ist das, was einige Frauen ihrer Darstellung nach erlebten, als sie sich bei Christina und Carl Tutas bewarben. Das Ehepaar aus Hamburg ist mit seinem Holzschmuck auf sechs Märkten in Deutschland vertreten und suchte im Herbst Verkäuferinnen für Köln. Das Ehepaar lud zu drei »Castings« ein. Sabine und Nadine* nahmen daran teil. Beide waren an der Vollzeit-Stelle interessiert. Binnen kurzer Zeit hätte ihnen Carl Tutas den Job telefonisch zugesagt: »Er versicherte mir, auf jeden Fall im Team zu sein und sagte, dass er sich noch nie so sicher bei einer Bewerberin gewesen sei«, erklärt Sabine. Ähnliches erzählt Nadine, die sich über die Zusage freute und zwei andere Jobangebote ablehnte.

Acht Frauen arbeiteten unentgeltlich zur Probe

Doch am Ende der ersten Arbeitsschicht erfuhren sie von der Standleiterin, dass sie zuerst einmal zur Probe arbeiten sollten – unentgeltlich. Davon sei bis zu diesem Zeitpunkt weder in den Bewerbungsgesprächen noch in E-Mails und Telefonaten die Rede gewesen, beteuern Sabine und Nadine. Beide waren von einer vollen Stelle ab dem 22. November ausgegangen. Sabine hatte das schon dem Arbeitsamt gemeldet und ab diesem Zeitpunkt keine Unterstützung mehr erhalten.

Laut Standleiterin ließ das Ehepaar Tutas in der ersten Woche des Weihnachtsmarktes acht Frauen zur Probe arbeiten, unentgeltlich. Nur zwei davon stellte es letztlich ein. Carl Tutas sagt dazu, es sei sein gutes Recht, zu testen, ob jemand verkaufen könne. »Es gibt leider viele, die nur herumstehen und die Zeit abdrücken«, erklärt er. Zwei bis vier Stunden lasse er Bewerberinnen ohne Bezahlung am Stand stehen. »Und wenn ich jemanden einstelle, kriegt er die Probearbeit auch nachträglich bezahlt.« Carl Tutas beharrt darauf, jeder Interessentin vorher mitzuteilen, dass sie zunächst nur zum unentgeltlichen Probearbeiten eingeladen werde. Dass er Sabine und Nadine eine volle Stelle zugesagt haben soll, bestreitet er. Das mache er immer erst dann, wenn sich jemand in der Praxis bewährt habe.

Verdi hält die Methoden für unsittlich

Auch wenn er die Wahrheit sagt, stellt es sich immer noch so dar: Sechs abgelehnte Frauen, vier Probestunden – im Verhältnis zu nicht einmal fünf Wochen Weihnachtsmarkt sind das ziemlich viele Arbeitstunden, für die die Schmuckhändler nichts bezahlen mussten. Und wie das Ehepaar nicht ohne Stolz bemerkt, halten sie das schon seit zwanzig Jahren und in mehreren deutschen Großstädten so.
Für Barbara Schipp, Juristin beim NRW-Landesbezirk der Gewerkschaft Verdi, ist das unsittlich. »In Grenzfällen, bei ganz speziellen Aufgaben kann ein sogenanntes Einfühlungsverhältnis legitim sein. Aber das endet spätestens, wenn der Arbeitnehmer zur Arbeit herangezogen wird. Wenn man am Stand steht und verkaufen soll, ist das sicherlich schon der Fall«, erklärt sie.

Zumal Sabine angibt, nicht vier, sondern sechs Stunden als Test-Verkäuferin hergehalten zu haben. Hinzu kommt, dass von der zugesagten Vollzeit-Stelle bald nicht mehr die Rede war. Die erste Woche habe sie die Standleiterin immer wieder gefragt, wann sie denn nun eingeteilt werde, die­se habe sie jedoch jedes Mal vertröstet, sagt Sabine. »Nach einer Woche hat sie mir plötzlich gesagt, dass ich gar nicht mehr kommen brauche. Da bin ich in die Luft ge­gangen und habe Herrn Tutas angerufen und ihm mit dem Arbeits­gericht gedroht. Der behaup­tete, ich lüge und legte einfach auf.«

»Für zwei Euro die Stunde Würstchen braten«

Auch für Nadine kam nach 36 Stunden Arbeit am Holzschmuck-Stand Anfang Dezember das Aus unerwartet. »Die Standleiterin teilte mir mit, dass Tutas das Personal auf ein Minimum reduziert habe, weil die Umsätze nicht wie erwartet seien.« Nadine wartet nun auf ihren Lohn. Sie wisse, dass beim dritten Casting in Köln am 20. November wieder fünf Frauen gesucht worden seien.

Nadine prüft nun mit einem Anwalt rechtliche Schritte, Sabine zögert – Tutas habe gesagt, er werde sie als Lügnerin darstellen. »Und ich möchte nicht noch mehr Ärger haben, als ich mit diesem Menschen schon hatte«, sagt sie, obwohl auch sie bis Redaktionsschluss kein Geld gesehen hat. Carl Tutas erwähnt im Gespräch gerne beiläufig, dass seine Schwester Anwältin sei. Und dass er einen fairen Stunden­lohn zahle, im Gegensatz zu anderen: »Ich könnte namentlich Standbesitzer nennen, die in Leipzig auf dem Weihnachtsmarkt für zwei Euro die Stunde Würstchen braten lassen.«

*Namen geändert