Foto: Klaus Franke

Ist die Kölner Klagemauer antisemitisch?

Vor rund einem Jahr sorgte das Foto einer antisemitischen Karikatur an der Klagemauer auf der Domplatte für Ärger und mehrere Anzeigen gegen Klagemauer-Betreiber Walter Herrmann. Herrmann entfernte die Karikatur, kritisiert aber weiterhin die Politik Israels. Im Dezember verabschiedete der Rat der Stadt eine gemeinsame Resolution, in der Herrmann aufgefordert wird, »alle menschen- und völkerverachtenden Installationen umgehend zu entfernen und künftig auf solche zu verzichten«. Ist der Vorwurf berechtigt? Zwei Meinungen

 

»Die Klagemauer muss weg«

Antisemitismus ist historisch gesehen keine Erfindung der Linken, sie hat ihn auch nicht salonfähig gemacht.
Diese Gewissheit birgt zugleich Gefahren. Denn so konnte die bundesdeutsche Linke bis weit in die 80er Jahre von jeglicher Auseinandersetzung um Antisemitismus und Juden­vernichtung befreit denken und handeln und sich auf der großen antiimperialistischen Spielwiese ohne Bedenken dem Staat Israel, den man als imperialistischen Frontstaat der USA ansah, widmen. Antizionismus sei das Schlagwort der Stunde, denn natürlich würden politische Kämpfe ausgetragen, beileibe keine Ressentiments verbreitet.

Es ist nicht zu entschuldigen, dass sich auch in den aktuellen Debatten um israelische Militäraktionen und die Lage der Palästinenser regelmäßig antisemitische Untertöne einnisten, dass oft genug noch nicht mal zwischen Israelis und Juden unterschieden wird und gleichzeitig scheinbare Denkverbote kritisiert werden. Und dass Walter Herrmann seine vormals zu Recht viel beachtete Klagemauer seit Jahren für undifferenzierte und unsachliche Hetze gegen Israel missbraucht, ja dort lange eine mittlerweile aufgrund öffentlicher Proteste entfernte offen antisemitische Karikatur zeigte, ist ein Skandal.

Kritikern und Bürgern, die ihn wegen Volksverhetzung anzeigten, wirft der Politrentner vor, aus der Geschichte nichts gelernt zu haben, wenn sie die israelischen Massaker schweigend hinnähmen.

Sicherlich darf man die israelische Politik kritisieren, so wie man die Politik jedes Staates weltweit kritisieren kann und sollte. Doch sind einfache Parolen auf Papptäfelchen schlicht der falsche Weg, einen Konflikt begreifbar zu machen, den nicht wenige Experten für unlösbar halten. Dann ist der Weg nicht weit von der Meinung zur Meinungsmache, zum Ressentiment, zur Verunglimpfung, zum Antisemitismus.

Hinweise auf Meinungsfreiheit, Dokumentierung und künstlerische Freiheit führen ins Leere, im Gedächtnis bleiben stumpfe Parolen und einseitige Schuldzuweisungen, die klassischen Ingredienzien des Hasses. Die Klagemauer muss endgültig weg, Herrmann hat sich in seiner missionarischen Eindimen­sionalität selbst ins Abseits gestellt.

Christian Meier-Oehlke, StadtRevue-Autor



»Es gibt keinen Grund, sie zu entfernen«

In meiner Fotosammlung gibt es ein altes Schwarz-Weiß-Bild. Zu sehen ist Walter Hermann unter eine Zeltplane am Dom. Es ist Herbst 1991. Die Klagemauer musste gegen Angriffe von Neonazis geschützt werden, und so zog Walter Hermann kurz entschlossen auf die Domplatte. Zwei Jahre später wollte T. C. Boyle nach einem Interview von mir dort fotografiert werden. 1995 hängte der Dalai Lama ein Täfelchen an die Klagemauer, 1998 erhielt Walter Herrmann den Aachener Friedenspreis.

All das ist Geschichte. Wenn heute von der Klagemauer die Rede ist, geht es um den Vorwurf des Antisemitismus und des Anti-Israelismus. Was mich dabei stört, ist diese Bindestrich-Mentalität. Anti-israelisch, anti-semitisch, als wäre dies das gleiche. Keine Frage, Walter Herrmanns Klagemauer ist einseitig auf der Seite der Palästineser. Aber die Klagemauer ist nicht die ARD und nicht zur Ausgewogenheit verpflichtet.

Man kann sagen, Walter Hermann überschreite eine Grenze. Nur, welche eigentlich? Die, dass er Israel anklagt? Der Staat Israel ist ein Nationalstaat mit Menschen, die einen Pass haben, ein Parlament wählen, eine Armee besitzen. Israel ist ein Staat, der Gewalt anwendet. Das ist nichts Besonderes, jeder Staat macht das. Bei der Anwendung von Gewalt kommt es zu Opfern, das ist das Wesen von Gewalt. Und jede Gewaltan­wendung darf angeklagt werden. Zu Gewalt nicht zu schweigen, ist ein Wesenszug des Humanismus.

Wenn die Kritik an einem Staat gleichzusetzen ist mit »gegen diesen Staat sein«, dann ist Walter Herrmann meinetwegen »anti-israelisch«. So wie er mit seiner Kritik an den Golf­kriegen »anti-amerikanisch«, mit seinen Obdachlosen-Aktionen »anti-bürokratisch« und mit seinen Protesten gegen Miet-Haie »anti-kapitalistisch« war. Aber ein Anti-Humanist, ein Antisemit? Gilt für die Menschen, die Walter Herrmann so etwas vorwerfen, die einfache Gleichung Israel gleich Staat der Juden, ergo anti-Israelisch gleich antisemitisch? Was machen wir dann mit den vielen Bewohnern des Staates Israel, die keine Juden sind, oder als Juden ihren Staat kritisieren, oder mit all den Juden, die nicht Bürger des Staates Israel sind?

Die Klagemauer ist nicht antisemitisch, es gibt keinen Grund, sie zu entfernen.

Manfred Wegener, StadtRevue-Bildredakteur