Der schlaue Bauer

Auf einem Hof im Bergischen Land betreibt ein Landwirt seit fast dreißig Jahren einen alternativen Hof.

Vom Dioxin-Skandal blieb er

unbehelligt. Ralph Arens hat sich

bei Albert Trimborn umgesehen

 

Die Chronik der deutschen Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre ist lang. 1987 sorgten Fadenwürmer für unappetitlichen Fischgenuss. Vor zwanzig Jahren tanzten mit Tiermehl gefütterte Kühe wie wahnsinnig auf den Feldern. 1993 und 2006 kam Gammelfleisch in den Handel. 2002 wurde das Pflanzengift Nitrofen in Bio-Fleisch und Bio-Eiern entdeckt. Fast regelmäßig wird zu viel krebserregendes Dioxin im Tierfutter gefunden: 2006 mussten Schweine- und Hühner­mastbetriebe vorübergehend schließen.

Die Reaktionen waren somit auch wieder die altbekannten, als Ende Dezember ein neuerlicher Dioxinskandal Deutschland heimsuchte: Die Länderbehörden verboten zeitweise rund 5.000 Bauern, Eier, Hühner oder Schweine zu verkaufen. Politiker aller Parteien und Verbraucher waren empört. »Ich hoffe auf eine Bestrafung der Täter«, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner Ende Januar auf der »Grünen Woche«, der alljährlichen internationalen Agrar-Messe in Berlin. Fachleute versuchten zu beruhigen: Das Gift in den Eiern sei akut nicht weiter schlimm, da krebserregende Dioxine uns ohnehin überall begegneten.

Umweltschützer sehen grundlegende Probleme

Für Umweltschützer geht der neuerliche Dioxin-Skandal tiefer. Er zeige, so ­Reinhild Benning, Agrarfachfrau beim Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland, dass die Agrarindustrie ihre selbst produzierten Risiken einfach nicht in den Griff bekommt. »In immer größer werdenden Ställen für Hühner und Schweine werden zunehmend industriell hergestellte Futtermittel eingesetzt.«

Eine Einbahnstraße ohne Alternativen? Nicht ganz. Zum einen steigt die Zahl der Biobauern stetig. Zum anderen gibt es auch konventionelle Bauern, die schon vor langer Zeit weitsichtig waren. So wie Albert Trimborn. Seine rund 4500 Legehennen bekommen im Sommer wie im Winter Weizen, Gerste und Hafer sowie Körnermais als Zugabe für die Dotterfarbe. »Dieses Körner-Müsli verbessert die Qualität der Eier«, ist sich der Bauer aus dem Bergischen Land sicher.

Der andere große Vorteil: Trimborn ist unabhängig, muss kein Kraftfutter zukaufen. Alles wächst auf dem Gut Schiefelbusch, dass der 50-Jährige gemeinsam mit seiner Frau seit 25 Jahren bewirtschaftet. »Ich bin Unternehmer«, stellt Albert Trimborn klar: »Unser wichtigstes Kapital sind die Kunden.« Die Rechnung geht auf: Die meisten kämen wieder und lobten den Geschmack der Eier vom »Hof mit Herkunftsgarantie«.

Landwirtschaftskammer empfahl reine Milchviehhaltung

Dass ihm der Dioxinskandal, aber auch die BSE-Krise und das Gammelfleisch-Geschrei so wenig ausmachen, liegt an einer Entscheidung, die Trimborn 1982 getroffen hat. Der damals 21-Jährige wollte wie seine Brüder Bauer werden. Der Hof war zwar vergeben, seine Eltern hatten ihm aber eine Landfläche gekauft. Auch die Landwirtschaftskammer Rheinland wollte helfen und stellte ihm einen Betriebsentwicklungsplan vor. Trimborn sollte alles auf eine Karte setzen: Die Kammer empfahl eine reine Milchviehhaltung. »Zu rationalisieren und sich zu spezialisieren war damals angesagt«, erinnert sich Trimborn.

Aber Trimborn wollte nicht modern sein. Die Vorstellung, tagein, tagaus mehr oder weniger allein eine Milchfarm zu bewirtschaften, war ihm suspekt. Er wollte mit Menschen zu tun haben. Wer sich spezialisiere, habe zwar einen Rationalisierungsvorteil, sei dafür aber auch letztes Glied der Wertschöpfungskette, so der Bauer. »Was ist, wenn plötzlich keiner mehr Milch kaufen mag?« Tiere lassen sich nicht wie Maschinen abstellen: Hennen legen weiter, Kühe müssen gemolken werden.

Von Preisschwankungen auf dem Weltmarkt unabhängig

Trimborns Konzept war daher von Anfang an ein anderes: Er wollte auf mehreren Standbeinen stehen, regional vermarkten und möglichst unabhängig sein. Eier, Milch, Fleisch und Gemüse sind nur im Hofladen, an Spargelfeldern und in örtlichen Läden zu kaufen. Auf dem Gut leben Milchkühe, Kälber und Schweine. Im Frühjahr kommen Gänse für den Weihnachtsbraten hinzu. Dann wird auch Spargel gestochen, und im Sommer werden Erdbeeren gepflückt. Um alles zu bewirtschaften, stellt die Familie zeitweise bis zu dreißig Helfer ein.

Das Futter für seine Tiere stellt der Bauer selbst her, auch wenn es teurer als etwa das aus Brasilien eingeführte ist. Dafür ist er von Preisschwankungen auf dem Weltmarkt unabhängig: Hundert Kilogramm Weizen kosteten letzten Sommer zwölf Euro, im Winter bis zu 25 Euro. Wer Futter billig einkauft, wisse letztlich nie, was er bekommt, so Trimborn.

Auch bei der Milchversorgung geht Trimborn einen ungewöhnlichen Weg: »Unsere Kälber kriegen nur Muttermilch zu trinken!« Zwar wäre es billiger, die Milch der Mutterkuh einer Molkerei zu liefern und für die Kälber Pulver zu kaufen. Aber es geht Trimborn nicht nur darum, dass ein Kalb ausreichend Mineralstoffe aufnimmt und der Energiegehalt stimmt. »Kälber, die Muttermilch trinken, sehen gesünder und robuster aus.«

»Verbraucher nur noch Endkonsument im Supermarkt«

Die Trimborns sind von ihrem Konzept überzeugt – und wollen auch ihren Kunden ein Bewusstsein für moderne Landwirtschaft und gesunde Ernährung vermitteln. »Viele Verbraucher sind nur noch Endkonsument im Supermarkt und wissen nicht, wie Gemüse, Eier und Fleisch hergestellt werden.« Um moderne Landwirtschaft erfahrbar zu machen, ist der Bauernhof offen für Schulklassen, Kindergärten oder Betriebsausflüge. Und klar: Auf dem Gut haben alle Hennen einen Auslauf, und die Milchkühe können auch im Winter an die frische kalte Luft.

Hoffnung macht, dass Trimborns Denk- und Arbeitsweise nicht mehr hoffnungslos altmodisch scheint. Die Kammern empfehlen den Landwirten wieder verstärkt Diversifizierung. Das hat aber weniger mit den Skandalen zu tun als mit einer Änderung der Agrarpolitik: In den letzten zwanzig Jahren fielen bis 2005 schrittweise sämtliche Garantiepreise für Milch, Getreide, Raps oder Rindfleisch. Bauern müssen ihre Produkte jetzt am freien Markt verkaufen.

Bundesregierung verfolgt anderen Ansatz

Sich breit aufzustellen und gleichzeitig das Futter für Vieh und Geflügel selbst herzustellen, ist aber immer noch die Ausnahme – und auch gar nicht für alle Landwirte so einfach machbar. Da ist einmal die langfristige Planung: »Das Getreide, das wir diesen Winter und 2011 verfüttern, haben wir 2009 gesät und 2010 geerntet «, sagt Trimborn.

Zudem gibt es ein Platzproblem: Es sind schlicht nicht genügend Äcker vorhanden, damit Bauern den benötigten Mais und das erforderliche Getreide für Vieh und Geflügel selber anbauen können. Sie müssten dazu auf dreimal so vielen Äckern wie heute Kraftfutter anbauen. Denn weniger als ein Drittel des in der EU benötigten Kraftfutters wird hier auch angebaut – das meiste stammt aus Übersee.

Die Bundesregierung verfolgt einen anderen Ansatz. Lebensmittel werden wieder sicherer, verspricht Ilse Aigner in einem 14-Punkte-Programm: Firmen, die Kraftfutter herstellen, sollen künftig eine behördliche Genehmigung brauchen, sie sollen auch keine Fette für Industrie und für das Vieh in den selben Anlagen herstellen. Und sowieso soll alles besser überwacht werden. Bislang handelt es sich dabei jedoch lediglich um Versprechen. Nach dem letzten Skandal heißt wohl auch weiterhin: vor dem nächsten Skandal.

Kontakt: Bauerngut Schiefelbusch
Schiefelbusch 3, 53797 Lohmar