Foto: coloniacs

Aussage statt Ansage

In den Medien kommen Fußball-Ultràs fast aus­­schließ­lich als Chaoten und Randalierer vor. Eine einseitige Betrachtung, findet Christian Steigels

An sein erstes Mal im Müngersdorfer Stadion kann sich Tim Metz* noch gut erinnern. Nicht an den Gegner und das Ergebnis, aber an die Stimmung auf den Rängen, die bengalischen Feuer und die lautstarke Unterstützung. »Damals habe ich mehr neben mich geguckt als auf den Platz«, erzählt er. »Und da war‘s dann eigentlich schon um mich geschehen.«

 

Gut zwanzig Jahre später gehört der 27-Jährige BWLer selbst zu denen, die Stimmung machen. Mit Choreografien, die die komplette Südkurve einspannen, riesigen Bannern und Dauer-Gesängen. Metz ist ein Ultrà. Knapp eineinhalb Tausend solcher aktiven Fans gibt es in Köln, schätzt er. Mehrere Jahre war er in der größten und bekanntesten Kölner Ultràvereinigung »Wilde Horde« aktiv. Vor zwei Jahren gründete er mit Freunden die »Coloniacs«, eine kleinere Gruppe mit rund 25 Mitgliedern.

 

Gemeinsam fahren sie zu jedem Spiel des 1. FC Köln – um ihren Verein anzufeuern und sich mit den gegnerischen Ultràs zu messen. »Neben dem Fußball findet noch ein zweiter Wettbewerb zwischen den Kurven statt: Wer ist lauter, wer ist besser, wer ist kreativer?«, erklärt er. Ein zeitintensives Hobby, denn das Dasein als Ultrà beschränkt sich nicht auf neunzig Minuten am Wochenende. Spruchbänder werden gemalt, Choreografien organisiert, Info-Flyer erstellt. Zwei Mal im Jahr kommt ein mehr als hundert Seiten starkes Fanzine heraus. »Das klingt immer sehr pathetisch, aber das ist eine Lebenseinstellung«, sagt Metz. »Das ganze Leben wird um den Spieltag gebaut, um die Gruppe herum«, erklärt auch Jan Lehner, wie Metz ebenfalls Mitglied bei den »Coloniacs«.

 

Um die Faszination zu verstehen, hilft ein Blick zurück: Entstanden ist die Ultrà-Bewegung in den 60er Jahren in Italien aus den Arbeiter- und Studentenprotesten. Vieles war der Straße entliehen: Fahnen, Spruchbänder, bengalische Feuer. Der Politologe Jonas Gabler spricht in seinem 2010 erschienen Buch »Die Ultras« von einer »Gegenkultur, die die Autorität des Staates, seine Institutionen und die Gesellschaft kritisch betrachtete«.

 

»Neben dem Fußball findet noch ein zweiter Wettbewerb
zwischen den Kurven statt: Wer ist lauter, wer ist besser,
wer ist kreativer?«

 

In Deutschland begann die Zeit der Ultràs in den 90er Jahren. Die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs führte damals zu einer »Entproletarisierung«, wie Gabler es nennt und zu weniger Stimmung in den Stadien. Zum ursprünglichen Ziel, die Atmosphäre wieder zu verbessern, gesellte sich zunehmend auch der Kampf gegen den Kommerz. Zumal Aspekte wie die Änderung der Anstoßzeiten zur besseren Vermarktung, die Erhöhung der Eintrittspreise und die Abschaffung der billigen Stehplätze die Fans direkt betrafen. Auch heute noch verstehen Ultràs sich als Bewahrer eines anderen, ursprünglicheren Fußballs. Sie lehnen Vereins-Merchandising kategorisch ab, stellen stattdessen eigene Schals und Shirts her.

 

Bei den meisten Gruppen beschränkt sich das Engagement auf fußballpolitische Themen. Die »Coloniacs« betrachten sich als gesamtgesellschaftlich politisch und engagieren sich auch gegen Rassismus, Homophobie und Sexismus im Stadion. »Wir sind Ultràs mit Aus- statt Ansage«, sagt Metz. »Wir dulden keine Rassisten in unserem Umfeld, und keine sonstigen diskriminierenden Äußerungen.« Sie versuchen aufzuklären, im Stadion und außerhalb. Gemeinsam mit der »Schickeria«, einer Ultrà-Gruppe des FC Bayern München, veranstalteten sie kürzlich einen Abend zum Thema Sexismus im Stadion. Auch die »Wilde Horde« positionierte sich schon »Jäje Rassismus«, wie es auf einem Banner heißt.

 

Eine emanzipatorische Bewegung im Fußballstadion, die sich gegen Diskriminierung einsetzt und jungen Menschen politische Orientierung und ein Betätigungsfeld bietet – das klingt wünschenswert. In den Medien kommen Ultràs allerdings fast ausschließlich als Kriminelle und Randalierer vor, die andere Stadionbesucher durch das Abbrennen von Bengalos gefährden und zu Gewaltexzessen gegen Polizei und Ultrà-Gruppierungen anderer Vereine neigen. Zuletzt wieder nach dem Heimspiel gegen München, als ein Polizist von mutmaßlichen Wilde-Horde-Mitgliedern verletzt wurde.

 

In den vergangenen Jahren habe die Gewalt von und zwischen Ultràs zugenommen, geben Metz und Lehner zu. »Innerhalb der Bewegung hat teilweise eine Fokusverschiebung stattgefunden«, sagt Metz. »Wir müssen uns natürlich fragen: Inwieweit sind wir schuld daran, dass es so ist?«, fragt Lehner. Bereits vor einem Jahr haben die »Coloniacs« die Spruchband-Aktion »Ultrà zurück auf die Ränge« gestartet. Statt auf der Straße sollen sich Ultrà-Gruppen im Stadion bekämpfen – mit Spruchbändern und Choreografien. Doch die eigenen Leute sind oft nicht leicht zu kontrollieren, vor allem in Gruppen wie der Wilden Horde mit mehr als 700 Mitgliedern. »Da kauft sich irgendwer Symbole der Gruppe, baut dann Kacke, und dann werden alle Ultràs wieder über einen Kamm geschert«, beschwert sich Metz.

 

Bei der Zunahme der Gewalt spielt auch die ständige Repression eine Rolle, findet er. Jede Woche sähen sich die Fans einem Polizeiaufgebot wie bei Großdemonstrationen ausgesetzt. Sie würden regelmäßig eingekesselt, im Stadion durchgehend gefilmt. Bei Demos ist dieses verdachtsunabhängige Filmen nach einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts von 2010 verboten, bei Fußballspielen und anderen Großveranstaltungen ausdrücklich nicht.

 

Drastische Strafen gehören zum Alltag. Metz hat das am eigenen Leib erfahren. Zwei Jahre lang hatte er wegen einer Auseinandersetzung mit einem gegnerischen Fan bundesweit Stadionverbot. »Das war eine harte Strafe, aber bei mir gab es wenigstens einen Grund. Es gibt aber auch Leute, bei denen ist gar nichts vorgefallen.« In der Tat werden Stadionverbote auch wegen weitaus geringerer Vergehen verhängt. Weil Fans bei Auswärtsspielen unerlaubt Fahnen und Banner in den Block bringen, beispielsweise. Vor eineinhalb Jahren entschied der Bundesgerichtshof zudem, dass für ein Stadionverbot weder eine Straftat noch sonst eine Beteiligung nachgewiesen werden muss. Es reiche schon die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, aus der heraus Gewalttaten verübt wurden. Eine Praxis, die auch bürgerliche Kommentatoren kritisierten.

 

Ultrà-Gruppen wie die »Coloniacs« fordern, dass Stadionverbote – wenn überhaupt – nur noch nach erfolgter Verurteilung verhängt werden dürfen, zudem will man gemeinsam mit Amnesty International eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten erwirken, um willkürliche Repression einzudämmen. Und mit der Aktion »Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren« wollen sie die ihrer Meinung nach unverzichtbare Pyrotechnik auf verantwortungsvoller Basis entkriminalisieren. Im Zuge dessen vernetzen sich die Fan-Gruppierungen zunehmend. 2007 hat sich der Dachverband Kölner Fanclubs gegründet, eine Interessensvertretung für Kölner Fans. Auch bundesweit schließen sich Ultrà-Gruppen zusammen. Ende 2010 fand in Berlin die dritte Demo zum Erhalt der Fan-Kultur statt. »Das ist ein wichtiges Zeichen, um zu zeigen: Auch die vermeintlichen Hardcore-Fans sind in der Lage, reflektiert zu handeln«, sagt Metz.

 

Neben diesen konkreten Änderungen wünschen sich Metz und Lehner aber auch eine differenziertere Auseinandersetzung mit ihrer Kultur: »Wir wollen, dass man uns ernst nimmt.« In der Tat ist die Situation der Ultràs vergleichbar mit der anderer Jugendbewegungen wie Graffiti-Malern oder Skateboardern. Letztere kämpfen für die Ausübung ihres Lifestyles im öffentlichen Raum Stadt, die Ultràs im öffentlichen Raum Stadion. Und in beiden Fällen herrscht eine Doppelmoral: Auf der einen Seite werden die Menschen kriminalisiert, auf der anderen instrumentalisiert, weiß Metz: »Vor allem sind wir Gewalttäter und Chaoten. Aber die Choreografien, die Pyrotechnik, das lässt sich verkaufen. Als wir mal in den Boykott getreten sind, haben sich die Fans in den Logen beschwert: Warum ist hier keine Stimmung mehr?«