Keine Angst vor der Zukunft: Alexander Beneke; Foto: Manfred Wegener

Sex mit dem Tintenfisch

Erfolg in der Krise: Das Köln-Hanauer DVD-Label Bildstörung setzt auf Qualität – und Exzentrik

Folgt die DVD der CD auf dem Weg vom Geldesel der Branche zum Ramschartikel? Um ungefähr 15 Prozent brach der Umsatz im Kaufvideomarkt europaweit in den letzten beiden Jahren ein – und das trotz einer Steigerung von Blue-ray-Verkäufen um 76 Prozent allein 2010. Keine gute Zeit um ein DVD-Label aufzumachen, sollte man meinen. 2008 wagten es Alexander Beneke und Carsten Baiersdörfer dennoch und gründeten ihre Firma Bildstörung.

 

Kennen gelernt haben sich die beiden, als Baiersdörfer als Produktmanager für den Heimvideomarkt beim Kölner Filmverleih Rapid Eye Movies arbeitete, für die Benekes Firma Group of Pictures die Master der DVD- und Blue-ray-Titel herstellt. Knapp ein Dutzend Filme sind seit 2008 bei Bildstörung erschienen, von einer Krise ist bei ihnen nichts zu spüren. »Wir machen uns schon Gedanken, aber die Angst ist nicht so groß«, gibt sich Beneke entspannt am Küchentisch seines Büros in einem Hinterhof im Belgischen Viertel.

 

Mit den Verkaufszahlen ist er zufrieden, die Stückzahlen belaufen sich auf 1.500 bis 10.000 je nach DVD. Bei Musik-CDs würde man damit im Independent-Bereich schon einen Hit landen. Dabei ist eine DVD von Bildstörung nicht gerade billig (um die 20 Euro) und die Filmtitel und Namen der Regisseure dürften selbst die meisten regelmäßigen Kinogänger nie gehört haben.

 

Dass das Konzept der Köln-Hanauer Firma aufgeht – Baiersdörfer lebt und arbeitet mittlerweile in Hessen –, liegt zum einen in der Auswahl der Filme. Beneke fällt es allerdings schwer, die bisherigen Veröffentlichungen auf einen Nenner zu bringen: »Wir haben keine Lust auf verkopftes Arthouse-Kino, bei dem es um Mittelklassefamilien mit ihren Mittelklasseproblemen geht. Viele sagen, wir machen transgressives Kino, wobei wir das nicht so sehen. Uns interessieren zum Beispiel keine Exploitation-Filme aus den 70ern. Wir suchen besondere Werke aus, über die man nachdenken muss. Nachdem man sie gesehen hat, soll man sagen: ›Gleich noch mal!‹. Oder auch: ›Nie wieder!‹.«

 

Ein gutes Beispiel für so einen Film ist die erste Bildstörung-Veröffentlichung »Im Glaskäfig« (1986) des spanischen Schauspielers und Regisseurs Agustí Villaronga. Erzählt wird die Geschichte eines Naziverbrechers – im Film heißt er nur Klaus –, der nach dem Krieg im Spanien Francos untertaucht. Da ihn sein Trieb, kleine Jungs zu foltern und zu töten, nicht loslässt, stürzt er sich verzweifelt vom Dach. Er überlebt, gelähmt und gefangen in einer Eisernen Lunge, die ihn am Leben hält. Als ein neuer jugendlicher Pfleger in sein Haus kommt, der von Klaus’ Vergangenheit zu wissen scheint, hofft der Alt-Nazi offenbar, durch ihn endgültig erlöst zu werden. Doch die Realität wird weit grausamer sein.

 

»Im Glaskäfig« ist ein Psycho-Thriller von Hitchcock’scher Brillanz, aber zugleich eine Auseinandersetzung mit den Wurzeln des Faschismus, die in ihrer Komplexität und Schonungslosigkeit an Pier Paolo Pasolinis »Salò  oder Die 120 Tage von Sodom« heranreicht.

 

Ähnlich verstörend ist die sechste Veröffentlichung von Bildstörung: Andrzej Zu?awskis »Possession« (1980). Isabelle Adjani spielt darin eine junge Ehefrau und Mutter, die sexuell abhängig ist von einem seltsamen Tintenfischwesen, das in einer verfallenen Kreuzberger Wohnung haust. Doch weit eher als ein Monsterfilm ist »Possession« ein explosives Beziehungsdrama und ein Berlin-Film, in dem die Mauer fast so etwas wie eine Hauptrolle spielt. Im Vergleich eher bezaubernd als verstörend wirkt »Valerie – Eine Woche voller Wunder« (1970) von Jaromil Jireš, einer der letzten Filme der tschechischen »Neuen Welle«, der die Ängste und Sehnsüchte eines Mädchens an der Schwelle zum Erwachsensein in eine surrealistische Mischung aus Märchen- und Horrorfilm packt.

 

»Valerie« ist ein gutes Beispiel für die zweite Besonderheit der Veröffentlichungen von Bildstörung. Die DVD bietet nicht nur eine bessere Bildqualität als etwa die britische Disk des Films, sondern auch eine Menge Extras, ein dickes Booklet und – zumindest in der Erstauflage – eine CD mit dem wunderbar versponnenen Soundtrack von Luboš Fišer. Das Master für den Film kam von einem französischen Labor, das den Film für eine Fernsehausstrahlung abgetastet hatte. Beneke retuschierte und bearbeitete es in der eigenen Firma weiter. »Die Bild- und Tonqualität ist für uns essenziell«, erklärt er. »Wenn wir wissen, dass es von einem Film keine vernünftige Kopie gibt, nehmen wir Abstand von einer Veröffentlichung. Man muss zumindest die Chance haben, die Qualität von Major-Produktionen zu erreichen.« Vorbild für Bildstörung sind daher die Edelmarken Criterion aus den USA und Masters of Cinema aus England, die – zusammen mit Carlotta in Frankreich – die Maßstäbe setzen im Heimkino-Markt. Ziel ist es, immer mindestens ebenso gut zu sein wie die beste internationale Veröffentlichung.

 

Das 64-seitige Booklet zu »Valerie« enthält neben vielen Fotos aus dem Film sechs Texte, die von persönlichen Anmerkungen bis hin zu wissenschaftlichen Aufsätzen reichen. Die Macher von Bildstörung haben außerdem zusammen mit dem Briten Daniel Bird für ein 20-minütiges »Making of« einige der »Valerie«-Veteranen aufgesucht. Zudem bietet die DVD Audiokommentare, einen alternativen Soundtrack, ein Musikvideo der Band Broadcast und ein Beitrag über den »Valerie«-Kult in England.

 

Mit diesen geradezu überbordenden Extras stemmt sich Bildstörung gegen den Trend zur Ramsch-DVD. »Die Qualität von DVD-Veröffentlichungen ist rapide gesunken«, bestätigt Beneke. »Es gibt kaum noch Firmen, die Booklets beilegen, geschweige denn ausführliches Bonusmaterial anbieten. Es fragen immer wieder Leute, warum unsere DVDs im Laden 18 Euro kosten und auch keinen Cent billiger werden. Dann sage ich: ›Weil sie es wert sind.‹«

 

>Infos: www.bildstoerung.tv