Filigrane Netze: Sven Kacirek

Zarte Trommelexzesse

Elektronik-Produzenten erforschen die Polyrhythmik

Ein Überbleibsel der Hippie-Kultur sind die gefürchteten Trommelexzesse in den Parks deutscher Großstädte. Die Ur-Szene dürfte sich in jenem Moment des »Woodstock«-Films ereignet haben, als verzückte Fans nach dem erschütternden Regenguss zu trommeln anfingen – auf alle möglichen Gegenstände an allen unmöglichen Orten – und somit selbst zu Akteuren wurden, zu ihrem eigenen Star.

 

In Köln führen die Drums Off Chaos, ein vor etwa dreißig Jahren gegründetes Trommlerkollektiv um den Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit, diese Tradition fort, natürlich ungleich virtuose und konzentrierter, aber auf jegliches Solistentum verzichtend. Drums Off Chaos sind keine recording band, dafür vielen bekannt von ebenso ausufernden wie unermüdlichen Rhenania-Sessions. Ihre Rhythmen stampfen und marschieren, entpuppensich aber dennoch als verwirrend unentwirrbar: eine geglückte deutsch-afrikanische Symbiose.

 

Dass das Quartett jetzt mit einer spektakulären Veröffentlichung gefeiert wird (ihre erste offizielle!), ist eine Überraschung. Es ist aber auch Konsequenz einer geradezu logischen Entwicklung. Der Kölner Elektroniker Jens-Uwe Beyer (Pop­noname, Cologne Tape, Ambient-Veröffentlichungen auf Kompakt und Italic) hat sie zu einer Session eingeladen und ihre Stücke bearbeitet – oder besser: eingehüllt. Denn Beyer spinnt ein sehr filigranes Netz von flirrenden und schwebenden Sounds um die Schlagzeuger, ein ebenso subtiler wie auch kühler Kommentar. Die Musik von Drums Off Chaos wirkt so noch gebrochener, Hippie-Assoziationen rücken in weite Ferne.

 

Dieses Album verdankt sich einer eigentümlichen Entwick­lung: Produzenten elektronischer Tanzmusik haben in den letzten Jahren ein immer ausgeprägte­res Gespür für außereuropäische Rhythmen an den Tag gelegt, der Hype um die kongolesische Elektronik-Noise-Straßencombo Konono No.1 ist vielleicht das beste Beispiel. Dass Beyer den »ganz anderen« Rhythmus vor der eigenen Haustür gefunden hat, bei einer Combo, die wohl kaum ein hiesiger DJ oder Produzent auf dem Schirm hatte, ist schon der nächste Schritt.

 

Ebenfalls einen Schritt weiter ist der Hamburger Schlagzeuger- und Produzent Sven Kacirek gegangen. Er ist nach Kenia gereist und hat dort Aufnahmen mit verschiedenen Sängern gemacht, alles ganz einfach und unprätentiös. Um diese Gesänge legt auch er ein feines, filigranes Netz – allerdings nicht aus Ambient-Sounds, sondern  aus unzähligen Rhythmen, die er sehr sachte, fast schon verschämt spielt.

 

Kacireks Schlagwerk ist eher ein Anti-Schlagwerk, ein Streich- und Streichelwerk. Im Prinzip sind seine Stücke tanzbar, aber er inszeniert sie so zurückhaltend, dass man unwillkürlich innehält, um noch genauer hinzuhören. Kacirek und Beyer legen sehr respektvolle Bearbeitungen »alter« Musik vor – und spinnen dadurch den Faden der Zeit fort.

 

Tonträger: Drums Off Chaos & Jens-Uwe Beyer (Magazine/Kompakt); Sven Kacirek, »The Kenya Sessions« (Pingipung/Kompakt)