»Ich habe keine Milde«

Zwei Monate hat der nordrhein-westfälische Landesvorstand der SPD gebraucht, die Beteiligten an der Kölner Parteispendenaffäre namentlich zu benennen. 27 Sozialdemokraten sollen sich in den nächsten Wochen vor dem Schiedsgericht der Partei verantworten – größtenteils Mitglieder des örtlichen Führungszirkels. Der Parteivorsitzende der Kölner SPD, Jochen Ott, spricht im StadtRevue-Interview über seine Einschätzung der Spendenaffäre und über mögliche Konsequenzen.

SR: Viele Leute denken, in der Politik ginge es nur um Pöstchenschieberei und Bereicherung. Wundert Sie das?

Jochen Ott: Nein, es wundert mich nicht, wenn Leute das denken. Ich kann nur dazu aufrufen, dass viele in die Politik einsteigen, um das zu verhindern. In der Kölner SPD wird es in den nächsten Jahren darum gehen, 100 Bezirksvertreter und 45 Ratskandidaten aufstellen zu müssen. Es wird für uns nicht leicht sein, Leute zu benennen. Nach einem solchen Einschnitt wie der Spendenaffäre brauchen wir viele aktive Bürgerinnen und Bürger, die sich für die eigentlichen Ideen der SPD einsetzen wollen. Denn die »a-soziale« Politik der CDU/FDP-Mehrheit muss verhindert werden.

Der Aufruf ist nicht neu. Ist ihm denn schon jemand gefolgt?

Wir hatten etwa 250 Austritte in den ersten sechs Wochen, der Großteil schon nach einer Woche. Und es gab 40 Eintritte. Damit hätte ich eigentlich nicht gerechnet.

Sie bemühen sich nach eigener Ausage um eine vorbehaltlose Aufklärung. Wissen Sie mittlerweile, wie das System der Geldwäsche im Detail funktioniert hat?

Manfred Biciste hat ja gesagt, wie er das organisiert hat. Ich bin allerdings skeptisch, ob seine Aussagen wirklich so glaubwürdig sind. Schließlich hat er alle paar Wochen eine neue Wahrheit. Die Bundesrevision hat bei der Prüfung der Unterlagen zudem mehr Spender herausgefunden, als Biciste auf seiner merkwürdigen Liste zusammengestellt hat. Am Ende des Schiedsverfahrens werden wir ganz genau wissen, wer Teil des Systems war und wer nicht.

Es gibt immer noch unterschiedliche Angaben über die eingeflossenen Summen.

Meines Wissens nicht. Es geht um 511.000 Mark. Das ist die Summe, die Biciste angegeben hat, und die sowohl die Wirtschaftsprüfer als auch die Bundesrevision herausgefunden haben. Norbert Rüther hat ausgesagt, er habe 830.000 Mark angenommen. Was mit der Differenz geschehen ist, weiß ich nicht. Rüther sagt, er habe den Rest im Wahlkampf ausgegeben.

Wie bewerten Sie das Handeln der Beteiligten in der Spendenaffäre?

Man muss das sehr differenziert betrachten. Nehmen wir mal Martin Theison, der einen Rechtsstreit gegen den Express wegen eines von ihm verantworteten Flugblatts verloren hat. Er hat darauf verzicht, dass die Partei ihm die Prozesskosten erstattet und dafür eine Spendenquittung erhalten. Das wäre ein normaler Vorgang, wenn es ordentlich verbucht worden wäre. Das geschah aber nicht. Manfred Biciste hat ihm, wie anderen auch, etwas untergeschoben. Andere haben die Quittungen weggeworfen. Wieder andere haben gedacht, damit seien Auslagen erstattet worden. Ich kann das nur so wahrnehmen. Bei Einzelnen kann ich mir vorstellen, dass sie unschuldig sind, bei anderen nicht.

Ist es nicht merkwürdig, nicht darauf zu reagieren, wenn man Spendenquittungen erhält, obwohl man keine Spende geleistet hat?

Das würde ich auch so sehen. Aber die Praxis, im ehrenamtlichen Engagement entstandene Kosten durch Spendenquittungen abzugelten, ist durchaus legal – wenn neben der Ausgabe auch die Einnahme verbucht ist. Das ist die Aufgabe des Kassierers und dem haben die meisten vertraut.

Haben Sie auch Spendenquittungen bekommen?

Nein.

Was bedeutet es für Sie, dass beinahe der gesamte Führungszirkel der Kölner SPD aus den 90er Jahren auf der Spendenliste steht?

Es werden auch Leute beschuldigt, die nicht zu den Führenden gehören: Theison, Lob-Preis, Schulz-Krause. Aber sicher ist es so, dass ein bestimmter Kreis von Leuten permanent beteiligt war...
... und die Annahme fingierter Quittungen belegt ein Einverständnis mit der Art und Weise, wie die SPD, insbesondere ihre Spitzenfunktionäre, Politik gemacht hat – möglicherweise auch aus Eigeninteresse.
Ich weiß nicht, ob das Eigeninteresse war. In jedem Verein gibt es Leute, die den Ton angeben. Das Problem wird es auch in Zukunft geben. Die Komplexität der Politik allein in dieser Stadt ist so groß, dass man gar nicht auf allen Gebieten Experte sein kann. Die Frage ist, wie man in Zukunft darauf vertrauen kann, dass die Kollegen ehrliche Arbeit machen.

Sind Sie froh über die Aufgabenteilung mit dem Landesvorstand? Schartau als Scharfrichter und Sie als derjenige, der milde gesinnt den Laden in Köln zusammen hält?

Ich hab’ keine Milde, ich hab’ überhaupt keine Milde. Im Gegenteil. In den ersten Wochen war es schwierig überhaupt Emotionen zu haben, dann war ich entsetzt und traurig. Natürlich müssen jetzt Konsequenzen gezogen werden. Die Öffentlichkeit wird in Zukunft eine vollkommen anders strukturierte Kölner SPD-Ratsfraktion erleben. Aber wer meint, nur mit personellen Veränderungen wird man die Affäre bewältigen können, der irrt.

Kann man mit den alten Leuten eine neue Politik machen?

Die gesamte Liste, also auch die Reserveliste, wurde 1998 in der Erwartung gemacht, dass die Ratsfraktion viel stärker wird. Ich verstehe daher Ihre Frage nicht, denn ich gebe zu bedenken, dass auch die potentiellen Nachrücker damals schon aktiv Politik gemacht haben. Der Wählerauftrag an uns reicht bis 2004 – und viele Genossinnen und Genossen leisten seit vielen Jahren gute Arbeit. Trotzdem ist es unsere größte Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich die innerparteiliche Erneuerung bei der Aufstellung der neuen Ratskandidaten Ende 2003/Anfang 2004 widerspiegelt. Bis dahin wird es innerhalb der Fraktion sicherlich Veränderungen geben, aber das kann man vor Beendigung des Schiedsverfahrens noch nicht absehen. Fakt ist aber auch: die Leute sind vom Volk gewählt; selbst wenn wir sie nicht mehr in der Fraktion haben wollen, können sie ihr Mandat behalten.

Das wurde von vielen ja bereits angedroht. Ist das nicht symptomatisch? Ging es in der Ratspolitik bislang nicht fast ausschließlich darum, den eigenen Einfluss, die eigene Machtbasis zu sichern?

Politik hat sich in den vergangenen Jahren vielfach dahingehend gewandelt, dass einzelne Protagonisten die Stadt als ihr Eigentum betrachtet haben. Aber diese Tendenzen gab es auch bei der CDU, denn auch in Zeiten der SPD-Mehrheit war die CDU immer eingebunden. Das macht es zwar nicht besser, aber es ist einfach verlogen, wenn die Schwarzen jetzt so tun, als würden sie mit dem roten Filz aufräumen. Diese Art und Weise Politik zu machen, muss beendet werden. In der SPD ist dieser Politikstil zu Ende gegangen.

Wesentliche politische Entscheidungen hingen mit diesem Politikstil zusammen. Müssen bestimmte Entscheidungen jetzt nicht revidiert werden? Zum Beispiel die für die Müllverbrennung und die für Privatisierungen – insbesondere für die sozialdemokratische Variante der Privatisierung, nämlich die Public Private Partnership?

Beim Thema Privatisierung habe ich im vergangenen Jahr immer wieder deutlich Position bezogen. Ich teile die Auffassung nicht, dass alles Private besser sein soll als alles Staatliche. Ich bin da nicht ideologisch, man muss im Einzelfall schauen, was der Staat leisten muss und was nicht. Aber wenn es eine öffentliche Wirtschaft gibt, dann gibt es in diesen Unternehmen auch Aufsichtsräte. Also müssen wir uns mal darüber unterhalten, wie transparent Aufsichtsräte sind und welche Qualifikationen man als Aufsichtsrat braucht. Denn die Unternehmen müssen natürlich vom Rat kontrolliert werden.

Was ist mit der Entscheidung für die Müllverbrennung?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe mich früher, mit Anfang 20, nicht mit dem Thema Müll beschäftigt. Ich hoffe, dass die Staatsanwaltschaft klären kann, ob es da zu unrechtmäßigen Entscheidungen gekommen ist. Dann wird es sicher Diskussionen darüber geben müssen. In Zukunft werden wir darauf achten müssen, dass Entscheidungsprozesse in den Fraktionen transparent sind. Und ich bin jetzt, noch stärker als bisher, für die Zulassung von Bürgerbegehren, insbesondere bei Großprojekten.

Kann man es sich als Kölner SPD-Vorsitzender in diesen Zeiten leisten, sich nicht, auch rückblickend nicht, mit der Müllverbrennung zu beschäftigen?

Dieses Thema wird aufgearbeitet, selbstverständlich. Ich bitte aber auch darum, die Kirche im Dorf zu lassen. Ich hab einen Beruf und ich muss mich mit der Spendenaffäre beschäftigen. Ich stelle mir auch die Frage nach den Überkapazitäten und wie Entscheidungsprozesse abgelaufen sind. Ich kann jetzt aber nicht die Archive von 94 bis 99 durchkämmen, das ist zeitlich nicht möglich.

Auch in der SPD gab es unterschiedliche Vorstellungen von der richtigen Abfallpolitik. Durchgesetzt haben sich Positionen, die etablierte Unternehmen begünstigten.

Ja, es gab eine Mehrheit, die Heugel und Rüther gestützt hat, über einen langen Zeitraum, und in der Fraktion gab es sogar eine deutliche Unterstützung für die Politik der beiden. Auch der so genannte linke Flügel hat bei solchen Entscheidungen immer mitgestimmt. Darin sieht man, dass die gesamte Struktur der Kölner SPD zu hinterfragen ist. Doch daraus abzuleiten, dass alle, die zugestimmt haben, von den Spendendeals und der Korruption wussten, das ist ein bisschen vermessen.