»Mein schönes NRW«, 2010, Foto: Bernd Hegert

Staatskanzlei kunterbunt

Emil Schumachers Exil oder: Der Kulturbegriff der Genossin Kraft

Liebe Ministerpräsidentin Hannelore Kraft,

 

ich weiß nicht, ob man als Leserin Ihrer Pressemittelungen auch einen Leserbrief schreiben kann, ich würde das nämlich gerne tun. Es gibt da einen doppelten Anlass, und beide sind, um es gleich zu sagen, un­erfreulich.

 

In Ihrer Neujahrsansprache haben Sie auf »Ruhr2010« zurückgeschaut und alle gewürdigt, die geholfen haben, »dieses kulturelle Großereignis zu einem unvergesslichen Ereignis zu machen«. Ich war dankbar, dass Sie nicht »Event« gesagt haben, aber doch irritiert. 2010 war das Jahr der großen Kulturhauptstadt­sause, die kosten durfte was wolle und wirklich viel Spaß gemacht hat, auch wenn hinterher immer noch niemand »Metropole Ruhr« erklären kann. Unvergesslich ist mir indes, dass in diesem nord­rheinruhrwestfälischen Kultursuperjahr in einem gefühlten Paralleluniversum die Kulturetats der pleiten Kommunen rasiert, Theaterschließungen verkündet, Festivals abgesagt, Ausstellungsetats gestrichen und Fördergelder ausgesetzt wurden. Widersprüche muss man aushalten, aber das war gespenstisch. Ihre Meinung dazu hätte mich schon interessiert!

 

Stattdessen kam in der zweiten Woche des Nicht-Kulturhauptstadt-Jahres 2011 eine Pressemitteilung, die uns Redaktionen zur Berichterstattung über ein kulturelles Kleinstereignis ermun­terte. Sie haben, war da zu lesen, Ihr Büro umdekoriert. Emil Schumacher raus, ein buntes Kinderbild von blühenden NRW-Landschaften rein, gemalt von Grundschülern aus dem Sauerland für den Kreativwettbewerb »Mein schönes Nordrhein-Westfalen«. Das Bild ist wirklich hübsch, und die Aktion kam bestimmt gut an, bei allen Muttis und Vatis und Lehrern und SPD-Wählern und potenziellen SPD-Wählern, also quasi bei allen.

 

Bei mir nicht. Ihre Begründung, das Gemälde des weltbekannten Hagener Expressionisten und documenta-Teilnehmers sei Ihnen zu »düster«, kann ich angesichts der landes- und weltpolitischen Lage nachvollziehen, aber warum nicht ein anderes Kunstwerk? Kunst raus, Pädagogik rein – ich dachte wirklich, die Sozialdemokratie wäre da weiter! Gut, Sie wollten ein Zeichen setzen. Sie mögen Kinder, insbesondere kreative Kinder, das haben wir durchaus gemeinsam. Sie machen sich stark für kulturelle Bildung, klasse. Aber warum fällt der SPD zu Kultur immer nur Bildung ein? Das ist nicht das gleiche!

 

Ich hätte von Spitzenpolitikern, egal welcher Partei, gerne klare Bekenntnisse zu Kunst und Kultur. Ohne deren Legiti­mierung als bildungspolitische Zweckveranstaltung, ohne Umwegsrentabilitätsstudien zu ihrem ökonomischen Nutzen (Kreativwirtschaft, FDP, CDU), ohne integrationspolitische Instrumentalisierung (Leitkultur, CDU/CSU), ohne Gefasel von Leuchttürmen und Tourismusförderung (Standortfaktor, alle). Also ein Bekenntnis zu Theatern, Konzert- und Literaturhäusern, Filmkultur,   zu allen Künstlern, zu den unterfinanzierten Museen und Kunstvereinen in »unserem schönen Nordrhein-Westfalen«. Dafür stand Emil Schumacher. Für seine von Ihnen verschmähten Ölschinken erhielt er übrigens, genau wie Sie, den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen.

 

Hochabsichtsvoll, Ihre Melanie Weidemüller