Will Unruhe in die Strukturen bringen: Berit Schuck, © Matthias Horn

Komplizen in der U-Bahn suchen

Berit Schuck ist künstlerische Leiterin von »Heimspiel 2011«. Im Interview spricht sie über das gleichnamigeTheater-Festival, das im April in Köln gastiert.

StadtRevue: Frau Schuck, das Festival »Heimspiel 2011« soll zeigen, wie sich das Theater in den letzten fünf Jahren entwickelt hat. Was ist das Besondere?

 

Berit Schuck: Es sind zahlreiche dokumentarische und partizipative Theaterformen entstanden, die auf vielen Ebenen für Veränderungen sorgen und die Theater vor allem stärker in ihrer Stadt verankern. Ich würde von einer Demokratisierung sprechen: In den Theatern kommen heute nicht mehr nur die Texte und Konzepte ausgewiesener Theater­autoren auf die Bühne, sondern auch die Geschichten und Erinnerungen von Menschen aus anderen Milieus.

 

Im Rahmen von Heimspiel finden sechs Produktionen in Köln statt. Zwei davon sind Förderprojekte des Heimspiel-Fonds, die anderen kommen aus dem Ausland. Welcher Zusammenhang besteht zwischen ihnen?

 

Alle Produktionen sind durch ihre Darsteller fest in den Milieus verankert, von denen sie erzählen. Sie setzen sich mit einem Problem ihrer Stadt auseinander. Für die Einladung nach Köln war jedoch entscheidend, dass sie dafür eine schlüssige oder überraschende Form finden, die das Publikum erobert, egal wo gespielt wird. Ein Beispiel: »Trollmanns Kampf« vom Jungen Schauspiel Hannover erzählt die Lebensgeschichte des sinto-deutschen Boxers Johann ›Rukeli‹ Trollmann, der in den 30er Jahren in Hannover gelebt hat, von den Nazis verfolgt und dann in Neuengamme ermordet wurde. Es spielen keine Ensembleschauspieler, sondern junge Sintiza und Sinti, unterstützt von Schauspielern, Musikern und der Jazzsängerin Dotschy Reinhardt. Dadurch wird sofort klar, dass es in der Inszenierung nicht nur um eine fast vergessene Geschichte der Stadt Hannover geht. Es geht auch darum, dass die Sinti noch immer ausgegrenzt werden, egal ob in Hannover, Köln oder Paris, und dass sie normalerweise eben nicht auf der Bühne eines Stadttheaters stehen.

 

Das Projekt des Argentiniers Mariano Pensotti »Sometimes I Think, I Can See You« findet in der U-Bahnstation Rudolfplatz statt. Inwiefern ist das repräsentativ für die im Fes­tival vorgestellte Entwicklung?

 

Insofern, als es sich gezielt mit der Rolle des Zuschauers ausein­andersetzt. Die Kölner Autoren Guy Helminger und Thorsten Krämer sowie Gesine Danckwart und Lisa Rank werden auf dem U-Bahnhof Texte über zufällige Passanten und Fahrgäste schreiben, die in Echtzeit auf die gegenüberliegenden Wände projiziert werden. Die eigentliche Per­formance findet dann in den Köpfen der Anwesenden statt. Sie werden zu Akteuren in einer Erzählung und können sie zugleich durch ihr Verhalten verändern. Eine wunderbar komplizierte Situation, die dazu verführt, nach Komplizen Ausschau zu halten – und die nächste U-Bahn zu verpassen.

 

Wie vertragen sich solche Produktionen eigentlich mit dem herkömmlichen Stadttheater, seinem Programm, seinem Betrieb?

 

Dokumentarprojekte, Interven­tionen im Stadtraum oder auch große Beteiligungsprojekte sorgen für Unruhe in den Strukturen eines Stadttheaters. Mehrmonatige Re­cherche- und Probephasen sind in einen Repertoirebetrieb mit Probenzeiten von sechs bis acht Wochen schwer unterzubringen. Laiendarsteller oder sogenannte ›Experten des Alltags‹, ohne die viele solcher Projekte gar nicht entstehen würden, lassen sich wiederum kaum in Schauspielerensembles integrieren. So etwas kann lähmen, aber auch zu produktiven Konflikten und neuen Erfahrungen führen.

 

Wie sehen Sie die Lage am Kölner Schauspiel – finden hier diese produktiven Konflikte statt?

 

Am Schauspiel Köln arbeiten die technischen Abteilungen viel flexibler als üblich, also selbstorganisiert wie in der freien Szene und zugleich im Korsett einer strengen Aufgabenverteilung, wie man es aus großen Häusern kennt. Außerdem ist die Dramaturgie hier so besetzt, dass sie sowohl herkömmliche Uraufführungen und Stückinszenierungen als auch intensive Recherchen für mehrmonatige Projekte betreuen kann. Ich würde das Kölner Modell als Stadttheater mit erweiter­ten Produktionsstrukturen beschreiben.

 

>