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»Ich will kein Botschafter Afrikas sein«

Mahamat-Saleh Haroun ist der meistausgezeichnete afrikanische Regisseur der letzten Jahre: ein Gespräch über seinen neuen Film Un homme qui crie, seine Begeisterung für deutsche Stummfilme und die Situation des Kinos in Afrika

 

StadtRevue: Warum geht es in Ihren Filmen häufig um Vater-Sohn-Beziehungen?

 

Haroun: Wir haben im Tschad seit über 40 Jahren Bürgerkrieg. Wenn ein Konflikt so lange dauert, wird er von Generation zu Generation weitergegeben. Da Kriege von Männern geführt werden, heißt das: Er wird vom Vater auf den Sohn übertragen. Das ist das Problem.

 

Sie selber konnten als Jugendlicher vor dem Krieg nach Frankreich fliehen, aber er hat sie bei Dreharbeiten immer wieder eingeholt.

 

2006 habe ich »Daratt« im Tschad gedreht und plötzlich fielen die Rebellen über die Hauptstadt N‘Djamena her. Es herrschte für sechs, sieben Stunden Krieg. Es war wie vor 30 Jahren, als ich verwundet wurde. All die Erinnerungen kamen zurück. Zwei Jahre später drehte ich einen Kurzfilm im Tschad – und wieder kamen die Rebellen. Drei Tage tobte der Krieg, 500 Menschen starben.

 

Vom Krieg erzählen Sie aber nur indirekt in ihrem neuen Film »Un homme qui crie«.

 

Ich wollte dieses brisante politische Thema über eine ganz persönliche Geschichte erzählen. Inspiriert wurde ich von einem Hotel-Bademeister, der meinen Kindern das Schwimmen beigebracht hat. Wie die Hauptfigur meines Films verlor er aufgrund seines Alters seinen Posten und damit seine soziale Stellung und sein Selbstwertgefühl. Anders als im Film hat er seinen Sohn aber nicht in den Krieg geschickt.

 

Das Hotel, in dem die Hauptfigur arbeitet, wird von Chinesen übernommen, die erst mal Personal einsparen. Sehen Sie das Engagement der Chinesen in Afrika kritisch?

 

Nicht unbedingt. In Europa werden viele Artikel darüber geschrieben, dass China die neue aufstrebende Macht ist, währenddessen kommen die Chinesen nach Afrika und sichern sich dort ihre Einflusssphäre. Der Unterschied ist: Die Chinesen reden nicht bloß, sie handeln.

 

Und sie haben keine Skrupel auch diktatorische Regime zu unterstützen.

 

Diese Begegnung zwischen Afrika und Asien hat aber auch ihre guten Seiten. Ich glaube, die Gedankenwelt der Afrikaner ist völlig fixiert auf Schwarz und Weiß. Sie hören nicht auf, über die Sklaverei und all die Morde zu klagen, die Weiße an Afrikanern begangen haben. Sie rennen immer gegen dieselbe Wand. So kommt man aber einer Lösung nicht näher. Die Welt ist so vielfältig, es ist gut, auch andere Sichtweisen mit einzubeziehen. Wir müssen unsere Gedanken öffnen. Vielleicht werden Afrikaner in Zukunft ja auch Buddhisten.

 

Der kenianische Schriftsteller Binyavanga Wainaina kritisiert an westlichen Afrika-Darstellungen, dass sie immer nur Krieg und Elend zeigen. Könnte man diesen Vorwurf auch ihrem Film machen?

 

Wainaina begeht genau den Fehler, von dem ich gerade gesprochen habe. Er arbeitet sich an westlichen Bildern von Afrika ab. Aber der Krieg ist ja keine Erfindung des Westens. Ich habe viele Freunde und Familienangehörige durch ihn verloren. Wenn ich keinen Film darüber mache, ist es ein vergessener Krieg mit vergessenen Toten. Mich interessiert es nicht, ob im Westen ein Horrorbild von Afrika gezeichnet wird. In meinen Filmen bilde ich die ganze Bandbreite des Lebens im Tschad ab: Glück, Drama, Tragödie. In »Un homme qui crie« gibt es kein Elend, nur Realität.

 

Sehen Sie sich überhaupt als afrikanischen Filmemacher?

 

Ich komme aus dem Tschad, aber ich bin auch einfach nur Mahamat und habe meine eigene Geschichte, Philosophie und meine eigene Vision. Ich will kein Botschafter Afrikas sein. Ich will nicht, dass, wenn mein Film schlecht ist, jemand sagen kann, afrikanische Filme sind schlecht. Ich bin lediglich ein Filmemacher aus dem Tschad. Natürlich bin ich auf der anderen Seite auch ein afrikanischer Filmemacher, weil die ökonomischen Bedingungen für uns anders sind als etwa für europäische Regisseure.

 

Ihre Filme spielen zwar im Tschad, durch ihre Reduziertheit bekommen sie aber etwas Universelles. Ist ihnen das wichtig?

 

Wir sitzen alle im gleichen Boot, darum geht es mir. Ich beschäftige mich zum Beispiel nicht mit Traditionen. Überall gibt es Traditionen, aber sie sind das, was uns trennt. Gemeinsam sind uns Themen wie Liebe, Tod, Glück und Unglück.

 

In vielen afrikanischen Ländern gibt es keine Kinos mehr. Kann ihr Film auf 35mm im Tschad gezeigt werden?

 

Wegen des Bürgerkriegs gab es lange Zeit kein Kino im Tschad, aber die Regierung hat jetzt umgerechnet über eine Million Euro bereitgestellt für die Renovierung des Cinéma Normandie in N‘Djamena. Als mein voriger Film »Daratt« in Venedig den Spezialpreis der Jury gewonnen hat, sprach jeder im Land darüber und alle waren so glücklich und stolz. Also hat die Regierung beschlossen, dass es untragbar ist, dass es in der Hauptstadt kein Kino gibt.

 

Kennen Sie eigentlich Friedrich Wilhelm Murnaus »Der letzte Mann«? Die Hauptfigur erinnert an den Protagonisten Ihres neuen Films.

 

Ich bin froh, dass Sie Murnau erwähnen. Chaplin hat mich auch beeinflusst, aber Murnaus »Der letzte Mann« war besonders wichtig für »Un homme qui crie«. Stummfilme bieten die Essenz des Kinos, ich würde sehr gerne selber einmal einen drehen. Heutzutage ist das Kino zu dialoglastig und laut geworden. Viele Regisseure arbeiten wie ein Koch, der einen nicht mehr ganz frischen Fisch mit Unmengen Soße überschüttet, damit es niemand merkt.