Blick von den Barrikaden: Polizeiaufgebot am hinteren Eingang des AZ; Foto: Manfred Wegener

»Zuletzt gewinnen immer wir«

Die Räumung des AZ war schon beschlossene Sache – erst in letzter Minute einigten sich die Besetzer mit der Sparkasse. Eine Chronik aus Kalk

Samstag, 2. April, 23.51 Uhr
Im Hinterhof des Autonomen Zentrums wird unter der Discokugel getanzt. Ein DJ spielt sanft pluckernden Minimal-Techno. Anna (Namen der Besetzer geändert) und Jan sitzen im Foyer und schauen auf eine Wand, auf die das Logo des AZ gemalt ist: eine Frau, aus deren Kopf Vögel fliegen. Jan hat es gestaltet, wie fast alle Bilder im Haus. »Wir standen hier mit Tränen in den Augen«, sagt Anna. »Wir haben gedacht, das ist dann alles weg.« Dienstagnacht war das. Damals waren sie noch Hausbesetzer.

 

Dienstag, 29. März, 2.06 Uhr
Wenn es nicht so kalt wäre, wähnte man sich in einem Ferienlager. Rund dreißig Menschen sitzen um eine Feuertonne auf dem Hof vor dem AZ. Man trinkt Bier, Joints machen die Runde. Auf der Gitarre spielt jemand einen Song von Gisbert zu Knyphausen. Zwei Mädchen lösen Matheaufgaben.

 

Der entspannte Eindruck trügt. Im Hintergrund werden Barrikaden aufgebaut. Letzte Nacht wurde bekannt, dass die Eigentümerin der ehemaligen KHD-Kantine an der Wiersbergstraße, ein Tochterunternehmen der Sparkasse, einen Räumungstitel erworben hat. Drei Wochen vor dem einjährigen Jubiläum der Besetzung. Nach mehr als 500 Veranstaltungen, nach Monaten, in denen man sich durch den Winter gekämpft hat, ohne Strom und Wasser.

 

Die Besetzer wollen passiven Widerstand leisten. Seit gestern haben sie auf ihrer Webseite und via Twitter zur Unterstützung aufgerufen. Im Laufe der Nacht kommen Leute aus Bonn und Aachen, auch von weiter her, aus Berlin oder aus Nürnberg.

 

Gegen fünf Uhr sind geschätzte 200 Menschen da. Auch Martin ist eben angekommen. Er war vergangene Nacht schon um vier Uhr da, und hat nun ein paar Stunden geschlafen. »Ich befürchte, dass die erst morgen oder übermorgen räumen. Dann sind nicht mehr so viele Leute hier. Die meisten müssen ja wieder in ihr Leben zurück. Dieser Ausnahmezustand ist nicht immer möglich.«

 

16.31 Uhr
So kalt es in der Nacht war, so warm ist es am Tag. Martin hat Recht behalten. Die Räumung hat nicht stattgefunden. Polizei und Besetzer haben sich auf einen Deal geeinigt: Die Besetzer bauen einen Teil der Barrikaden ab, als Gegenleistung passiert erstmal nichts. Trotzdem sind mittlerweile viele Beamte vor Ort. Wer aufs Gelände will, muss Ausweis und Rucksack vorzeigen. Am Nachmittag taucht ein Kamerafahrzeug auf.

 

Hinter den Barrikaden ist man erleichtert. Und müde. Jan war fast durchgehend am Info-Point, hat Außenposten koordiniert und im Minutentakt Anrufe entgegengenommen. »Einige haben mich schon mit Info-Point angeredet,« sagt er und grinst schwach. Auf dem Tisch: Lautsprecher, Wasserflaschen, Schwarzer Tee, Tabak. Auf einem anderen Tisch ist Essen aufgebaut. Tofu, Brot, vegetarische Aufstriche. Martin hat in den vergangenen Stunden Pressedienst gemacht und mit der Polizei kommuniziert. »Das läuft eigentlich ganz gut«, sagt er. Nur die Sparkasse hat auf eine Verhandlungsanfrage der Besetzer noch nicht geantwortet.

 

Mittwoch, 30. März, 9.32 Uhr
Die Nacht war ruhig. Erstmals herrscht vorsichtig optimistische Stimmung. Die Grünen und die Linke appellieren an die Sparkasse, nicht zu räumen. Im Kölner Stadt-Anzeiger steht ein positiver Kommentar. Zudem kommt heraus, dass Polizeipräsident Klaus Steffenhagen bereits am 17. März einen Brief an Oberbürgermeister Jürgen Roters geschrieben hat, in dem er eine Räumung als falsch bezeichnet. Für Freitag hoffen die Besetzer auf Gespräche mit Politik, Polizei und hoffentlich auch der Sparkasse. »Heute früh bin ich zum ersten Mal seit Tagen mit einem guten Gefühl eingeschlafen«, sagt Arnd.

 

18.07 Uhr
Von wegen gutes Gefühl. Am Nachmittag hat die Polizei das Gelände abgeriegelt. Es geht das Gerücht, dass morgen früh definitiv geräumt wird. Nur rund vierzig Menschen sind auf dem Gelände. Viele waren nachmittags zu Hause. Schlafen. Kraft tanken. Nun stehen sie auf der falschen Seite der Absperrungen.

 

Hinter den Barrikaden wandelt sich die deprimierte Stimmung im Laufe des Abends, es wird kämpferischer. Die Besetzer versammeln sich auf dem Dach, wo sie den Unterstützern vor der Polizeiabsperrung näher sind. Die Konfettikanone wird geholt, als die Munition ausgeht, wird Salat runtergeschossen. Ein Besetzer trägt einen Zylinder und spuckt Feuer. Das Soundsystem spielt Frittenbude: »Wir wollen die Freiheit der Welt  und Straßen aus Zucker«. Später am Abend wird im Hof die Leinwand aufgespannt, mit dem Beamer kommuniziert man zwischen drinnen und draußen. Twitter-Nachrichten werden übermittelt, der Film »The Incredibles« geschaut. Im Zeichentrick geht ja meist alles gut aus.

 

Donnerstag, 31. März, 6.28 Uhr
Zwei Hundertschaften aus Wuppertal sind wenige Meter weiter auf der Dillenburgstraße in Posi­tion gegangen, außerdem ein Was­serwerfer und mehrere Räumpanzer. Die Räumung kann jederzeit beginnen. Es gibt noch Hoffnung: Am späten Abend hat die Sparkasse sofortige Verhandlungen über einen Nutzungsvertrag angeboten, wenn die Besetzer das Gelände freiwillig verlassen. Keine Option für die Menschen drinnen: »Dann sind wir das Haus los.«

 

Was in den Folgestunden passiert, erinnert stellenweise an absurdes Theater. Im Halbstundentakt wandern Angebote zwischen Sparkasse und Besetzern, zwischen draußen und drinnen hin und her. Es wird immer voller vor den Barrikaden. Jörg Frank von den Grünen und Jörg Detjen (Linke) haben sich als Vermittler eingeschaltet. Der Express bietet einen Live-Ticker der Ereignisse an. RTL ist da, Center-TV würde gerne zwei Vermummte in Aktion filmen.

 

11.18 Uhr
»In zehn Minuten ist Räumung«, sagt Verhandler Tom. Es sei denn, man nimmt das letzte Angebot der Sparkasse an: Die Besetzer verlassen das Gelände, eine Delegation aus AZ-Betreibern, Polizei und Sparkasse besichtigt das Haus, anschließend finden Gespräche statt. Im Blitzplenum wird beschlossen, dass man weiterhin darauf besteht, während der Begehung auf dem Gelände zu bleiben. »Das war‘s«, sagt Sophie und drückt aus, was alle in diesem Moment denken.

 

Um kurz vor halb zwölf beginnt die Räumung. Binnen Minuten haben sich ein Wasserwerfer und zwei Räumfahrzeuge an den hinteren Barrikaden postiert. Die Fotografen klettern auf einen kleinen Schuppen neben den Barrikaden. Perfekte Sicht. Das war‘s, nach 350 Tagen AZ. Oder doch nicht? Tom kommt aufs Gelände zurück und bittet zum Plenum. Die Sparkasse ist nun doch bereit, der Bedingung der Besetzer, während der Begehung und darüber hinaus auf dem Gelände zu verbleiben, zuzustimmen.

 

13.00 Uhr
Es ist soweit: AZ-Betreiber, Polizei, Security und Sparkassenvertreter betreten gemeinsam das Gebäude. Noch am selben Tag will man bei Allzweckwaffe Pfarrer Franz Meurer über einen Nutzungsvertrag verhandeln. Die Skepsis bleibt: »Keine Ahnung, ob das jetzt gut für uns ist oder schlecht«, sagt Martin. Sicher ist: Die Räumung ist erstmal vom Tisch.  Die Barrikaden werden abgebaut, Wasserwerfer und Räumfahrzeuge rücken ab. Die Wiersbergstraße ist wieder offen.

 

Freitag, 1. April, 21.17 Uhr
An die vergangenen Tage erinnert nur ein Banner: »An alle Nachbar_innen: Danke und Sorry, euer AZ« Vor dem Haus studieren zwanzig Menschen die Zeitungsberichte, trommeln, spielen Didgeridoo.
Plötzlich schallen Sprechchöre über den Platz: »Kein Tag ohne Autonomes Zentrum.« Die Security geht, der Vorvertrag ist da. »Plenum – unsere Lieblingsbeschäftigung«, ruft jemand. Tom liest den Vertragsentwurf vor – fünf Seiten Juristendeutsch. Trotzdem hören alle zu. Bis Ende September dürfen die Ex-Besetzer mietfrei im AZ bleiben, lediglich Nebenkosten und Renovierungen müssen sie selber tragen. »Wir haben ein AZ. Geile Scheiße«, ruft Anna.

 

Samstag, 2. April,  19.04 Uhr
Auf der Domplatte haben sich 400 Menschen versammelt, Junggesellenabschiede posieren für ein Foto vor einem Hintergrund aus Punks, Antifas und Queers. Der Lautsprecher verbreitet Hafenstraße-Flair und spielt »Zuletzt gewinnen immer wir« von Slime. Am Mikrofon liest jemand Schlagzeilen der letzten Tage vor: »Razzia-Zoff um besetztes Jugendzentrum«.

 

Um kurz nach acht setzt sich die Demo in Bewegung, zieht mit Sambaspielern am Rathaus vorbei über die Deutzer Brücke auf die Kalker Hauptstraße. Was als Protest geplant war, wird zur Jubeldemo. Vor den Köln-Arcaden bleiben die Shopper stehen, im Nimet Grill groovt das Personal zur Musik vom Lautsprecherwagen. Jugendliche schließen sich der Demo an. Die Polizeieskorte bleibt zurück, als die Demonstranten in die Wiersbergstraße abbiegen.