Mitra Khalatbari

Eine Lampe im Dunkel

Die Niederschlagung der Proteste nach den iranischen Präsidentschaftswahlen vor zwei Jahren hat eine neue Welle von Aktivisten ins Exil getrieben. Maryam Aras und Amin Farzanefar haben zwei von ihnen getroffen

In den Tagen nach dem 12. Juni 2009 hielt Mehdi Mohseni sich bereits in Deutschland auf. Aber er lebte in einer virtuellen Welt rund um Facebook, Twitter, You­tube. Mohseni half aus der Ferne mit, Informationen zu verteilen, Proteste zu koordinieren, Webseiten mit neuesten Nachrichten zu bestücken, Internetfilter zu umgehen. Auch heute, zwei Jahre später, informiert er sich nach dem Aufstehen zuerst über den Stand der Dinge, konsultiert neben internationalen und von Exiliranern betriebenen Medien auch die staatliche Propaganda.

 

Für ein wissenschaftliches Projekt war Mohseni einige Wochen vor dem 12. Juni 2009 von Teheran nach Berlin geflogen. Der 12. Juni 2009: Der Tag, an dem die Iraner einen neuen Präsidenten wählen sollten. Blogaktivist ­Mohseni ahnte vor der Abreise nicht, dass es eine Reise ohne Rückkehr werden würde. Er hatte den Wahlkampf des gemäßigten Herausforderers Mir Hossein Moussavi unterstützt und erfuhr während seines Aufenthalts hier, dass viele von Moussavis Wahlkampfhelfern verhaftet worden waren. Er beschloss, nicht mehr zurückzukehren. Aus heutiger Sicht eine kluge Entscheidung: Wenig später bezeich­nete eine staatliche Zeitung Mehdi Mohseni als »geflüchteten Spion von CIA und Mossad«.

 

Mittlerweile lebt er in Köln und ist bei der Deutschen Welle in Bonn beschäftigt. Seine Wohnung im Agnesviertel, bestückt mit ein paar Ikea-Möbeln, wirkt noch etwas kahl. »Ich muss hier bei Null beginnen«, sagt er. »Aber besser könnte meine Situation eigentlich nicht sein: Ich kann frei leben und habe Arbeit.« Sein Deutsch möchte der 33-Jährige schnell verbessern, sein Leben ist jetzt hier, sagt er. Er spricht auch davon, dass es schlechte Tage gibt. Aber daran denkt er nicht gern.

 

Die schlechten Tage liegen für Mitra Khalatbari noch nicht allzu weit zurück. Als die Demokratiebewegung im Iran auf die Straßen drängte, war sie mittendrin. Heute blickt die 25-Jährige kritisch auf diese Tage zurück. »Wir waren so viele, dass wir dachten, alle wollten das gleiche. Aber neben den Millionen, die Teil dieser Welle waren, gibt es viele, die eigene Probleme haben und sich nicht darum kümmern, wer Moussavi und Karroubi sind und wofür sie stehen.«

 

Obwohl sie seit anderthalb Jahren in Köln lebt, hat die Journalistin erst vor kurzem Bleibebrecht erhalten. Dazwischen, zwischen den Demonstrationen in Teheran und dem Bleiberecht in Deutschland: die ganze Härte einer Flüchtlingsgeschichte. Ähnlich wie Mohseni hat auch sie sich im Präsidentschaftswahlkampf für einen Kandidaten der gemäßigten Opposition engagiert, für Mehdi Karroubi. Nach den Wahlen wurde es für sie immer gefährlicher, die Behörden hatten der jungen Frau schon den Pass abgenommen und die Ausreise verboten.

 

Wie viele Iraner in den letzten Jahrzehnten wählte Mitra Khalatbari die unsichere und strapaziöse Flucht über die Türkei und gelangte mit Hilfe von Schleusern und Hilfsorganisationen nach Deutschland, wo ihr Bruder seit elf Jahren lebt; erst in einem Heim nahe Dortmund, dann in Bergisch Gladbach. Dort wurde sie mit einer neuen Tortur konfrontiert: der deutschen Bürokratie. »Der Beamte wollte nicht glauben, dass ich kein Deutsch verstehe, und meinte, ich wolle mich vor der Arbeit drücken.« Sie sollte Laub einsammeln. »Das alles war so ein Albtraum, dass ich erst mal gar nicht Deutsch lernen wollte.«

 

Seit zwei Monaten lebt sie in Köln bei ihrem Bruder; der den Iran nach den Studentenprotesten 1999 verlassen musste. Als sie hier ankam, wurde sie von einer Podiumsdiskussion zur nächsten gereicht, sagt sie. Vieles fällt ihr noch schwer, das merkt man ihr an. Doch sie hat schon einiges von Köln gesehen, kennt Cafés und Restaurants, die Anlaufstellen der iranischen Community. Nein, einen Lieblingsplatz hat sie in Köln noch nicht gefunden. Aber am Rhein geht sie gern spazieren. Von der Wohnung ihres Bruders am Ebertplatz ist sie schnell dort, sie sitzt dort oft lange auf einer Bank, erzählt sie.

 

Auch Mehdi Mohseni geht oft spazieren. Als er gerade bei der Deutschen Welle in Bonn anfing und dort noch in einer Pension am Stadtrand wohnte, musste er abends auf dem Heimweg durch den Wald und sich mit einer Lampe den Weg durchs Dunkel leuchten. »Es war schön, aber auch ziemlich gruselig«, ­grinst er. In Köln flaniert er die Ringe entlang. Die Leute, der Trubel, das gefällt ihm. In Teheran ist er immer auf der Vali-Asr-Allee, der Prachtstraße, geschlendert. Ja, natürlich hofft er, wieder in den Iran reisen und seine Familie besuchen zu können.

 

Mitra Khalatbari fühlt sich zerrissen. Nach all der gegenseitigen Hilfe und Solidarität im Sommer 2009 sind die Menschen zu ihren alltäglichen Sorgen zurückgekehrt. Wie sich die iranische Bevölkerung verhalte, sei schlecht vorhersehbar. Vor einigen Jahren noch hätte keiner gedacht, dass möglich sein könnte, was vor zwei Jahren geschah. Aber jetzt mache sich die Abstumpfung wieder breit. Von den Exiliranern würden junge Aktivisten wie sie dagegen wie Heilige verehrt. Das scheint ihr auch nicht geheuer zu sein.

 

Die Hoffnung auf eine politische Öffnung in ihrer Heimat hat sie noch nicht begraben. Zum persischen Neujahrsfest am 21. März sind endlich ihre Eltern zu Besuch gekommen. Sie hatte sich vor ihrer Flucht nicht einmal verabschieden können. Allmählich, sagt sie, fängt sie damit an, sich auf ein Leben hier einzulassen. In den nächsten Monaten wird sie Deutsch pauken, jeden Tag in einer Sprachschule in Deutz. Und irgendwann würde sie gerne wieder an die Uni gehen und ihr Studium abschließen.

 

Ein Ereignis, zwei verschiedene Schicksale. Und doch teilen Mitra Khalatbari und Mehdi Mohseni einiges. Die Popularität der iranischen Protestbewegung hat ihnen zu einem Forum und zu Kontakten verholfen. Ali ­Samadis Dokumentarfilm »The Green Wave«, in dem beide zu Wort kommen, führte zu Solidaritätsbekundungen aus der ganzen Welt. Auch in Köln sind sie in ein Netzwerk eingebunden, dass sie sehr schätzen. Doch ist der Blick auf die Landsleute, die hier seit mehr als dreißig Jahren leben, nachdenklich: Mögen viele schnell Fuß gefasst haben, so klammern sich einige noch immer an einen Iran, den es so nicht mehr gibt. Der Austausch mit den hier aufgewachsenen jungen Deutsch-Iranern läuft besser, obwohl sie mitunter kaum Persisch sprechen.

 

Wenn sie jetzt auf den Iran schauen, aus der Ferne und durch die Brille einer anderen Kultur, scheint es den neuen Exilanten, dass es noch Zeit braucht, bis ihr Land demokratiefähig ist. »Was wir vergessen haben: In diesen dreißig Jahren Islamische Republik ist unsere Kultur ziemlich auf den Hund gekommen. Selbst wenn die Regierung ausgetauscht wird – zunächst einmal müssen die Menschen sich ändern«, meint Mitra Khalatbari. Das sieht Mehdi Mohseni ähnlich. Der Weg, durch das Dunkel mit der Lampe, er kann noch dauern.