Ohne Titel, 2005, courtesy: Kunstmuseum Basel

Die ganze halbe Trockel

Seit Rosemarie Trockel im Jahr 1988 ihre Ausstellung in New York mit dem Titel »Endlich ahnen, nicht nur wissen« versah, geistert dieser Spruch als Motto ihrer Kunst durch zahlreiche Äußerungen zu ihrem mäandernden Werk. Ähnliches könnte gut und gerne auch für die Beweggründe gelten, die zur überraschenden Ab­sage der lange angekündigten gro­ßen Retrospektive in der Bundeskunsthalle Bonn geführt haben: Die spärlichen Aussagen hierzu bleiben nebulös und widersprüchlich und streifen wohl eher ungewollt den Kern von Trockels Kunstpraxis.

Ein großer Auftritt schien bereitet, denn nebenan im Kunstmuseum werden – ursprünglich als Erweiterung gedacht – die Zeichnungen, Collagen und Buchentwürfe der Künstlerin gezeigt. Es bleibt also beim konzentrierten Ein­blick in das grafische Werk der Kölnerin, deren erste institutionel­le Einzelausstellung vor nunmehr 26 Jahren im Rheinischen Landesmuseum ebenfalls in Bonn stattfand. Bereits damals spielten die Zeichnungen eine große Rolle, unterfüttern sie doch bis heute mit ihrem weit gefassten Spektrum an Serien und Motivreihen Trockels Strickbilder, Skulpturen, Installatio­nen und Filmarbeiten, die zuletzt 2005 im Museum Ludwig eine angemessene Würdigung erfuhren.

Nicht nur, aber vor allem in ihren Papierarbeiten entwirft Trockel eine Chiffrenschrift, die zwischen dem Sinnlichen und dem Sinn zu vermitteln sucht. Aus der Fülle der Merkmale und Strukturen der Welt hebt sie diejenigen hervor, die affektiv bedeutsam sind. Ein klares Bewusstsein für Zeitgenossenschaft und ein nahezu seismographisches Selbstverständnis fließen in die Tusche- und Bleistiftzeichnungen von We­sen ein, die zwischen Mensch und Tier nur graduelle Unterscheidungen zuzulassen scheinen. Trockels Anthropologie speist sich aus dem Geist der Romantik, die mit Ironie, Skepsis und dem Zweifel operiert und eine spielerische Erkenntniskompetenz der Kunst einfordert.

»Jede Nacht besucht uns ein Traum – Ein Beitrag zur Psychologie der höheren Töchter« lautet ein Buchentwurf der Künstlerin. Wer würde da noch daran zweifeln, dass wir Menschen Wesen mit Selbsterfahrungsbedarf sind.