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Zückerchen für Wutbürger

Bei der ersten Einwohnerbefragung sollen die Kölner am 10. Juli entscheiden, ob der Godorfer Hafen ausgebaut wird oder nicht. Bernd Wilberg über die Fallstricke einer vermeintlichen Bürgerbeteiligung

Das Schlagwort von der Bürgerbeteiligung hat derzeit Konjunktur in den politischen Debatten. Wenn selbst die Stammklientel der sogenannten Volksparteien auf die Straße drängt, wegen eines neuen Bahnhofs in Stuttgart oder einer Reaktorkatastrophe in Fukushima, dann sind die gewählten Vertreter alarmiert. Auch im Rat der Stadt Köln. Zwar entscheidet hier niemand über die Zukunft der Atomenergie. Doch auch so schauen die Bewohner einer Stadt, die einen windigen Messehallen-Deal und einen dilettantischen U-Bahn-Bau mit Todesopfern zu verkraften hat, skeptischer auf die Politik als zuvor. Vor allem, wenn es um Großprojekte geht.
 
In Politik und Verwaltung spürt man das wohl, weiß aber immer noch nicht so recht, wie damit umzugehen ist. So ist der Rat der Stadt beim Streit über die Umgestaltung des Opernquartiers einer Initiative gefolgt, die den Abriss des alten Schauspielhauses verhindern wollte. Bei der Bildungslandschaft Altstadt-Nord am Klingelpützpark wurden hingegen alle Proteste stoisch ausgesessen. In Ehrenfeld hat es eine Initiative geschafft, dass die Pläne für ein riesiges Einkaufszentrum auf dem Helios-Gelände in einer umfassenden Bürgerbeteiligung zumindest abgeschwächt werden können. Und an der Severinstraße entscheiden nun die Anwohner mit, wie es an der Unglücksstelle des Archiveinsturzes weitergeht, wenn die Bergungsarbeiten und staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen einmal abgeschlossen sein werden. Ein Konzept, wie Bürger mitentscheiden sollen, lässt sich hinter all diesen Fällen nicht erkennen.

Vorstoß nach mehr als einem Vierteljahrhundert 
 
Wie man den Wind, der einem ins Gesicht bläst, als Rückenwind nutzt – dieses absurde Kunststück versucht gerade die SPD aufzuführen. Mit den Stimmen von Grünen und Linke hat sie eine Einwohnerbefragung zum Ausbau des Godorfer Hafens beschlossen. Der SPD-Vorstoß, nach einer mehr als ein Vierteljahrhundert währenden Auseinandersetzung jetzt die Bevölkerung nach ihrer Meinung zu fragen, ist politisch geradezu tollkühn. So sehr, dass es selbst die CDU verschreckt, die bislang Partner der SPD in dieser Sache ist. Die Christdemokraten glauben, diesen Kampf um die Bürger nicht gewinnen zu können. Denn Grüne, Linke und selbst die FDP, die auch nicht an die wirtschaftlichen Vorteile einer Hafenerweiterung glaubt, versuchen seit langem, das Projekt zu verhindern, ebenso wie Naturschützer und Anwohner, darunter auch SPD- und CDU-Mitglieder.
 
Tatsächlich ist die Erweiterung des Godorfer Hafens in der Sürther Aue momentan schwierig zu vermitteln. Bei einer Infrastrukturmaßnahme für 65 Millionen Euro, deren wirtschaftlicher Nutzen fraglich ist und die ein Naturschutzgebiet zerstört, erfordert es viel Überredungskunst, um dafür Anhänger zu gewinnen. Zumal, wenn die Gegner zeigen können, dass mehr Fläche für den Container­umschlag auch am Niehler Hafen bereitgestellt werden könnte und zudem ein regionales Logistikkonzept aussteht, das auch andere Verkehrswege berücksichtigt und auf Kooperation mit anderen, derzeit konkurrierenden Hafenstädten setzt.

Bürgerinitiativen hoffen auf Grüne und Linke


Dennoch ist die SPD optimistisch, denn wichtige Interessengruppen außerhalb des Rates unterstützen das Projekt, so etwa die Gewerkschaften, die Industrie- und Handelskammer und nicht zuletzt die städtische Häfen und Güterverkehr Köln AG, mit SPD-Fraktionsgeschäftsführer Michael Zimmermann als Aufsichtsratsvorsitzendem. Sie alle verfügen über die Möglichkeiten, auf die öffentliche Meinung Einfluss zu nehmen. Imagekampagnen, Zeitungsanzeigen, Infostände. Die Bürgerinitiativen hoffen hingegen auf Grüne und Linke beim Kampf gegen die Hafenerweiterung; sie selbst haben noch nicht mal Geld für ein zeitgemäßes Web-Design.

Falls dennoch die SPD die Abstimmung verlieren sollte, wäre zumindest ein Knackpunkt der kriselnden Koalition mit den Grünen verschwunden. Zudem könnte sich die SPD als Vorkämpfer für mehr Bürgerbeteiligung gerieren. Doch wahre Bürgerbeteiligung ist mehr als eine Einwohnerbefragung, bei der mit Ja oder Nein abgestimmt werden darf, wenn sich die Politik in ein Patt manöv­riert hat. Hierin liegt eine unterschätzte Gefahr der Abstimmung. Dass nämlich die Kölner nach der Einwohnerbefragung vollends das Vertrauen in die Politik verlieren. Wie das?

Der Ausbau kommt, wenn weniger als 88.000 Kölner dagegen stimmen
 
Zum einen ist in der Befragung ein Desaster schon angelegt, weil noch unklar ist, wie die Politik mit der Meinung der Bürger überhaupt umgehen will. Die CDU hat Recht, wenn sie darauf hinweist, dass das Ergebnis für den Rat der Stadt juristisch nicht bindend ist. Dass die CDU aber derart andeutet, die Entscheidung der Bürger zu ignorieren, ist ein fatales Signal. Ins selbe Horn tuten vorsorglich auch Ausbaugegner, darunter Teile der Initiativen und die FDP. Zum anderen dürfte schwierig zu vermitteln sein, dass sich zwar zumindest SPD, Grüne, Linke und Deine Freunde an das Bürgervotum halten wollen, ganz gleich wie es ausfällt – jedoch nur, wenn eine Stimmenmehrheit erzielt wird, die mindestens zehn Prozent aller Wahlberechtigten hinter sich versammelt.

Konkret bedeutet das: Rund 88.000 Stimmen sind für oder gegen die Hafen­erweiterung nötig. Nur mit diesem Quorum ist die Abstimmung überhaupt gültig, so ist es beschlossen worden. Das aber heißt auch, dass der Ausbau kommt, wenn weniger als 88.000 Kölner dagegen stimmen. Denn dann würden SPD und CDU in einem erneuten Kraftakt die juristischen Hebel so ansetzen, dass ihr gemeinsamer Ratsbeschluss von 2004 doch noch umgesetzt werden könnte; bislang ist die Hafenerweiterung aus formaljuristischen Gründen – nicht in der Sache – vom Oberverwaltungsgericht Münster gestoppt worden.

Einwohnerbefragung dominiert von strategischen Interessen

 
Die Chancen der Ausbaugegner stünden freilich besser, wäre im Rat nicht beschlossen worden, dass auch die Kölner ab 16 Jahren zur Abstimmung zugelassen sind, die nicht aus einem EU-Staat stammen. Dadurch hatte sich das Zehn-Prozent-Quorum noch mal erhöht. Die Grüne konnten gar nicht anders, als diesem Vorschlag der Linken zu folgen, wollten sie nicht als migrationspolitische Heuchler dastehen. Die FDP hingegen, wie die Grünen Gegner eines Quorums, stimmte dagegen, weil mit mehr Wahlberechtigten das Quorum steigt und die Erfolgsaussichten der Ausbaugegner sinken. Die Linke wiederum wollte auf ein Quorum nicht verzichten, nimmt dafür auch einen Hafenausbau in Kauf.

So wirft diese Einwohnerbefragung, obwohl mehr von strategischen Interessen und weniger von der Idee einer umfassenden Bürgerbeteiligung geleitet, interessante Fragen auf: Wann sollen die Kölner mitentscheiden? Wer soll überhaupt abstimmen dürfen? Und ist ein Quorum überhaupt demokratisch? Es wäre Aufgabe der Politik darüber eine breite Diskussion anzustoßen. Aber sie versagt hier ebenso wie zum Beispiel beim Kölner Bürgerhaushalt, der zwar den Unmut der Bürger kanalisiert, aber kein politisches Verständnis schafft. Das sind bloß Zückerchen für die Wutbürger.

Wie viele Kölner interessiert das überhaupt?

Am 10. Juli werden die Kölner also die Frage entscheiden, ob ohne eine Garantie, dass dies der Stadt wirtschaftlich nützt, für 65 Millionen Euro ein Hafen ausgebaut und ein Naturschutzgebiet ruiniert werden soll. Noch bedeutsamer ist aber ist die Antwort auf die Frage, wie viele Kölner das überhaupt interessiert. Denn zugespitzt kann man sagen, dass die Bürger erst am Wahlabend wissen, ob sie mit ihrer Stimmabgabe tatsächlich an einer Abstimmung teilgenommen haben oder ob ihre Stimmabgabe umsonst war. Eine zu geringe Beteiligung ließe jedoch nicht nur die Stimmenmehrheit eventuell an einem unsinnigen Zehn-Prozent-Quorum scheitern. Sie lieferte vor allem denjenigen Politikern Argumente, die auf die Meinung außerhalb des Rats verzichten wollen, weil, wie sie meinen, dort ohnehin kein Interesse bestehe.