Die migrantische Unschärferelation
Der Winterschlaf der Akademie der Künste der Welt ist vorbei. Nachdem das Vorzeigeprojekt ein Jahr lang unter Führung der Stabstelle für Medien eher dahindümpelte, hat im Frühjahr Kulturamtsleiter Konrad Schmidt-Werthern wieder die inhaltliche Betreuung übernommen. Seit Mai liegt nun außerdem die im Ratsbeschluss vom 30. Juni 2009 geforderte wissenschaftlich-empirische Studie zum möglichen Programmangebot der Akademie vor. Das Kulturamt übergab den Auftrag an den Kunstsalon e.V..
Die Untersuchung »Kulturwelten« analysiert das Kölner Kunst- und Kulturangebot auf seinen internationalen und interkulturellen Anteil hin. Insgesamt 4839 Veranstaltungen haben die Soziologin Susanne Keuchel und ihr Mitarbeiter Dominic Larue vom Zentrum zur Kulturforschung in St. Augustin herangezogen. Als Datenbasis diente der Veranstaltungskalender der StadtRevue aus den Monaten Oktober und November 2009 sowie Juli und August 2010. In einem zweiten Schwerpunkt wurden Migrantenkulturvereine zu ihren Programmen und ihrer Einschätzung des Kölner Kunst- und Kulturangebots befragt. Gespräche mit zehn Kulturakteuren, wie dem Schriftsteller Navid Kermani oder Philharmoniechef Louwrens Langevoort, runden die Untersuchung ab.
Nach der Studie ist etwa ein Drittel des Kölner Kunst- und Kulturangebots als »interkulturell« zu klassifizieren, ob das nun Gastspiele von Bands, internationale Kooperationen oder Bildungsangebote für Migranten sind. 84 Prozent davon stammen aus dem europäischen und angloamerikanischen Kontext. Allerdings bleiben die wichtigsten Herkunftsländer Kölner Migranten dabei deutlich unterrepräsentiert. Die Studie verfährt nach einem streng quantifizierenden Ansatz. »Wir haben uns Parameter gesetzt und stur gezählt, ohne zu bewerten«, sagt Susanne Keuchel.
Doch ganz so wertfrei darf ein solcher kultureller Zählappell nicht sein. Lässt sich Karin Beiers am 24. Oktober 2009 gespielte »Lear«-Interpretation so umstandslos der englischen Kultur zuordnen? Oder was ist mit dem Konzert des israelisch-amerikanischen Pianisten Yefim Bronfman mit Werken von Schumann, Widmann und Tschaikowsky? Interkultur über die Ethnisierung von Kunst zu bestimmen, hat einen üblen Beigeschmack. Außerdem scheint diese nationale Quellenkunde in Zeiten der Globalisierung und eines hybriden Kulturbegriffs zumindest fragwürdig.
Analysiert man das interkulturelle Angebot nach Kunstsparten, so dominieren laut Studie die Bereiche Musik sowie Film-Video-Fotografie und hier vor allem zeitgenössische und populäre Werke. Erstaunt das wirklich angesichts zweier künstlerischer Massenmedien, die in einen weltweiten Markt eingebunden sind? Selbstkritisch verweisen die Verfasser darauf, dass das Quantifizieren hier an seine Grenzen stößt: Der Vergleich einer Ausstellung mit täglich wechselnden Musik- oder Kinoprogrammen ist kaum noch aussagekräftig. Dass sich das interkulturelle Kulturangebot schließlich in der Innenstadt (75 Prozent) konzentriert, migrantische Kölner aber vor allem in Kalk, Chorweiler, Mülheim und Porz leben, klingt nur dann besorgniserregend, wenn man es aus seinem sozialen und stadtentwicklungsgeschichtlichen Kontext herauslöst.
Methodisch sei die Untersuchung in Ordnung, sagt der Kölner Soziologe und Ethnologe Erwin Orywal, der an der Erstellung des Konzepts der Akadamie beteiligt war. Er spricht sogar von einer »Pionierleistung«, bemängelt nur die zehn Gespräche mit Kulturakteuren: »Das ist ein bisschen dünn«. Auch die kulturpolitischen Sprecher der Parteien äußern sich zwar positiv zum Analyseansatz oder zum ausformulierten Handlungsbedarf, bleiben aber trotzdem skeptisch. Ulrich Wackerhagen (FDP) hinterfragt am Beispiel Mozart die Ethnisierung von Kultur und gesteht eine gewisse Ratlosigkeit angesichts der Statistik ein; einen Kulturbegriff, der auch die »Lebenswirklichkeit von Migranten« einschließt, hätte sich die Grüne Bettina von Bülow gewünscht. Die Kulturausschussvorsitzende Eva Bürgermeister (SPD) vermisst eine Analyse des Publikums und der Kulturorte und Ralph Elster (CDU) bemängelt die schwachen Datensätze, gerade bei den Einzelgesprächen. Selbstkritisch gibt er zu: »Es stand zu wenig Geld zur Verfügung.«
Mag sein, dass mit einem Budget von 36.000 Euro für Recherche und Drucklegung nicht mehr möglich war. Doch liegt darin der Grund, warum die Studie zwei Aufgabenstellungen des Ratsbeschlusses gar nicht erst untersucht, nämlich die »Ansprache der Publika durch bestehende Kultureinrichtungen« und die »kulturellen Präferenzen« von Jugendlichen ab 16 Jahren?
Ihr größtes Verdienst hat die Studie darin, dass sie die Migrantenkulturvereine aus dem kulturpolitischen Dunkel holt. »So einen Katalog gab es bisher nicht«, schwärmt Erwin Orywal. Kölns Kulturdezernent Georg Quander sieht in der Analyse sogar eine Aufforderung zu einem neuen Dialog. 77 Vereine wurden nach Struktur, Mitgliedern und Programm untersucht. Der Schwerpunkt der Angebote liegt auf Vorträgen, Musik- und Tanzveranstaltungen, oft mit »traditioneller Kunst«, also Folklore. Erstaunlicherweise äußern die Akteure der Kulturvereine große Zufriedenheit mit dem städtischen Kulturangebot, allerdings vermissen sie mehr Veranstaltungen aus den eigenen Herkunftsländern. Das bestätigt die Studie: Kunst aus der Türkei, Italien, Russland oder Afrika macht nur jeweils ein bis zwei Prozent am interkulturellen Gesamtangebot aus. Das mag empirisch stimmen, doch werden hier schlicht Kunstwerke mit Migranten verrechnet, ohne zu fragen, ob die Wanderungsbewegung von Kunst mit der von Menschen korreliert und welche Rolle der Markt dabei spielt. Zugleich steht damit die Forderung im Raum, dass die Akademie dieses Ungleichgewicht beheben soll. Kulturdezernent Quander wiegelt ab: »Es ist nicht unser Ansatz, der Akademie zu sagen, was sie zu tun hat.« Den Satz wird er noch häufiger aussprechen müssen, denn die Empfehlungen der Studie für das Programm der Akademie lauten: mehr Kunst aus typischen Migrantenländern, die Förderung unterrepräsentierter Kunstsparten und die Vernetzung mit Migrantenkulturvereinen.
Der größte Vorwurf gegen die Studie, der allerdings den Auftraggebern und nicht den Soziologen zu machen ist, ist die fehlende Publikumsanalyse. Was nutzt eine Bestandsaufnahme interkultureller Programme, wenn man nicht weiß, wer was sieht? Das meint auch der Kulturdezernent und kündigt prompt eine zusätzliche Studie an: »Es muss eine qualitative Untersuchung nachgeschoben werden, die die Interessen des Publikums, die Inhalte der Darbietungen und die aktuelle Kultur in den migrantischen Herkunftsländern untersucht«, so Quander.
Das hätte man auch gleich machen können. Die Schmalspuranalyse hat schließlich einen ideologischen Grund: Die Verengung des Kulturbegriffs auf die Kunst zementiert die Ansicht, dass die Probleme von Interkultur und Migration künstlerisch-kulturell und nicht politisch, gesellschaftlich oder ökonomisch zu lösen sind. Die Apologeten der kulturellen Bildung wird’s freuen. Die Akademie wird’s befördern. Die Kunst aber muss angesichts dieser ihr zugeschriebenen Heilserwartung kapitulieren. Die Rache der Politik für dieses Versagen wird fürchterlich sein.
Susanne Keuchel, Dominic Larue:
Kulturwelten in Köln. Eine empirische Analyse des Kulturangebots mit Fokus auf Internationalität und Interkulturalität. ARCult Media, Köln 2011.